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Abschlusskonzert des Bartók-Camps bei den Salzburger Festspielen. Foto: Wiener Philharmoniker
Abschlusskonzert des Bartók-Camps bei den Salzburger Festspielen. Foto: Wiener Philharmoniker
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Bartók-Camp – Wiener Philharmoniker und Salzburger Festspiele vermitteln

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In großer Zahl hatten sich Jugendliche aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und aus den USA zum einwöchigen Workshop in Salzburg gemeldet. Leider konnten nur 35 von ihnen im Schloss Arensberg mitmachen. Seit drei Jahren gibt es dieses Angebot unter der Leitung von Hanne Muthspiel-Payer.

Die Musikauswahl ist stets vorgegeben: das, was in der entsprechenden Woche im Festspielhaus neu inszeniert wird, ist Thema. Diesmal standen auf dem Programm: Béla Bartóks Vier Orchesterstücke op 12, seine „Cantata profana – Die neun Zauberhirsche“ und sein Einakter „Herzog Blaubarts Burg“. Ein Programm für Jugendliche?

Bereits am ersten Tag, quasi ohne Vorbereitung der Jugendlichen auf die Musikwerke, besuchten alle die Generalprobe und wurden eingeladen zu einer Führung durch den Gebäudekomplex des Festspielhauses. Sehr gemischte Reaktionen: „…really exciting to experience some new forms of music“, das war die Meinung weniger; …an manchen Stellen war die Musik etwas schwierig und somit etwas ermüdend“, das traf wohl die Reaktion der Mehrheit. Für manche war sogar die Führung das Beste. Fünf Tage später jedoch, bei der eigenen Schlusspräsentation, fühlten sich alle von der Musik Bartóks angesprochen, sie hatte Erlebnisqualität gewonnen. Wieder zeigte sich, dass die Ablehnung nicht an der Musik selbst liegt, sondern am Vermittlungsprozess.

Hanne Muthspiel-Payer und Elisabeth Aigner-Monarth (Leitung) hatten angesichts der zu erwarteten Schwierigkeiten Leitlinien für ein Konzept entwickelt, die einleuchten:

1. Weniger ist mehr: die Arbeit im Camp soll sich auf die „Cantata profana“ konzentrieren.

Von diesem Stück wurde im Vorfeld eine instrumentale Kurzfassung für Violine, Klarinette, Horn und Kontrabass eingerichtet, die später bei den Proben und im Konzert von Philharmonikern gespielt wurde.

2. Eigentätigkeit und Subjektbezug eröffnen persönliche Zugänge.

- Mit Michael Klier (Amsterdam) hatten Hanne Muthspiel-Payer und Elisabeth Aigner-Monarth leicht spielbare oder singbare Stücke von Bartók ausgewählt, die auf seine Beschäftigung mit der Bauernmusik zurückgehen. Sie wurden für Melodieinstrumente bearbeitet, wobei der Schwierigkeitsgrad höchst unterschiedlich ausgelegt war, damit alle, die Instrumente mitgebracht hatten, beim Musizieren integriert werden konnten. Michael Klier entwickelte darüber hinaus mit den Jugendlichen kleine eigene Kompositionen.

- Dem Libretto der „Cantata“ liegt ein Märchen zugrunde, das, sehr verkürzt gesagt, die Ablösung von Kindern aus dem Elternhaus problematisiert. Ausgehend von Bartóks Vorlage haben die Jugendlichen in der „Schreibwerkstatt“ autobiografische Texte geschrieben, die selbst erfahrene oder vorgestellte Situationen von Ablösung aus der Familie thematisieren. Diese Texte wurden auch vorgetragen.

3. Die Präsenz der Musik durch Visualisierung und Theatralisierung steigern.

- Der Wiener Maler Sebastian Weissenbacher erarbeitete im „Malersaal“ mit den Jugendlichen neben Bühnenbildelementen Bartók-Ansichten. Ein Foto des Komponisten wurde vergrößert, dann übermalt oder fragmentiert; Bartóks Gesicht gewann so immer neuen Ausdruck, wurde „lebendig“, spiegelte in einem zerrissenen, dann wieder zusammengeklebten Bild die innere Situation des Komponisten in den Jahren des amerikanischen Exils.

- Der Bremer Tänzer und Choreograph Wilfried van Poppel entwickelte im „Tanzsaal“ mit den Jugendlichen zur Kurzfassung der „Cantata“ eine Tanzgestaltung, die von alltäglichen Bewegungsabläufen und Haltungen der Jugendlichen ausging. Am Ende stand eine Tanzperformance, die  dem Ablauf und dem wechselnden Ausdruck der Musik entsprach.

 

4. Fachleute von außen einbeziehen

- Jeden Tag kam ein Philharmoniker, stellte sein Instrument vor und arbeitete mit den Jugendlichen an den Stücken, die sie für die Abschlusspräsentation übten. Bei den Proben und beim Abschlusskonzerte spielten einzelne Philharmoniker die „Cantata profana“.

- Aus den Briefen und Texten Bartóks wurden Dokumente auswählt und zur Verfügung gestellt, welche die Lebensstationen des Komponisten wiedergeben. Mit den Jugendlichen wurden sechs Texte für das Konzert ausgewählt und deren Vortrag für den Abschluss geübt.

Im Laufe des Bartók-Camps wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch die Freizeit genutzt. Im Park gab es Spiele; das Schwimmbad war in der Nähe, Filme wurden gezeigt. Sogar eine Abschlussdisco wurde von den erfahrenen Erlebnispädagogen inszeniert.

Aus den höchst unterschiedlichen Ergebnissen der Arbeitsgruppen entstand eine abwechslungsreiche Abschlusspräsentation, die in der Universitätsaula nahe dem Festspielhaus einem Publikum vorgeführt wurde. Jeder Jugendliche war mehrfach beteiligt. Es entstand eine ganz eigene, in sich schlüssige Konzertform, in der Singen und instrumentales Musizieren, Vorlesen und Tanzen, Einzeldarbietung und Gruppenauftritt sich ablösten. Die Beleuchtung wurde als Mittel der Gestaltung eingesetzt.

Den roten Faden bildete Bartóks Leben, veranschaulicht mit Dokumenten, welche die Jugendlichen vortrugen. Die Klammer über alledem waren die ständig wechselnden Bartók-Ansichten. Sie wurden über der Szene projiziert. Schwer zu sagen, was die Zuhörer besonders beeindruckte: Der letzte Brief Bartóks, vorgelesen von einer 13-Jährigen? Das Violinsolo einer 11-Jährigen? Die „Cantata“, gespielt von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, kombiniert mit dem Lesen von autobiografischen Texten aus der Schreibwerkstatt? Oder die „Cantata“ als große Tanzszene, die in lang anhaltender Stille endete?

Alle Jugendlichen lagen auf dem Boden. Liegend sangen sie zum Schluss leise ein Lied von Bartók und hielten dabei das Bild von Bartók über dem Kopf: Bartók war in diesem Konzert allgegenwärtig als Bild, als Person, als Komponist in seiner Musik. Es war den Jugendlichen, aber auch den Zuhörern anzusehen: diese Musik hatte für sie mit der Vorbereitung und in dieser Aufführungsform Ereignischarakter gewonnen. Dabei hatte sich ein Hören eingestellt, bei dem viele Sinne beteiligt sind: das  Sehen, die Bewegung des Körpers, das Spüren der Raumatmosphäre und des Miteinanders. Mehr als „ganz Ohr“.

 

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