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Befreite Klangwelten: Louis Sclavis in Münster. Foto: Stefan Pieper
Befreite Klangwelten: Louis Sclavis in Münster. Foto: Stefan Pieper
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Festival-Dramaturgie im Kleinformat: „Jazz in between“ 2010 in Münster

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Als Klarinettist Louis Sclavis, Bassist Henri Texier und Schlagzeuger Aldo Romano mehrfach den afrikanischen Kontinent bereisten, kehrten sie den Spieß gewissermaßen um, verglichen mit dem, was die meisten Jazzmusiker auf ihren Weltreisen praktizieren. Sie erforschten weniger die vorgefundenen Musiktraditionen, um sich diese etwa selbst einzuverleiben und damit hausieren zu gehen.

Vielmehr trugen sie ihre eigene Musik in die Sozialmilieus zahlloser Dörfer auf dem schwarzen Kontinent, waren neugierig auf die Reaktionen. Die Einheimischen kamen, gaben sich vorbehaltlos-tanzend der eigenwillig-komplexen Musik der Franzosen hin. Musik wieder auf ihren archaischen Aspekt von Kommunikation reduziert!

Die drei Protagonisten dieses wegweisenden Projekts sind international gefragt und angesichts ihrer vielen Parallel-Projekte oft genug ausgebucht. Ein Glücksfall daher umso mehr für den Veranstalter Fritz Schmücker, jenes Trio fürs Jazzfestival in Münster zu verpflichten – genauer gesagt zu „Jazz in between“, jenem kleinen „Zwischen-Festival“ jenseits der großen, rein rechnerisch den ungeraden Jahren vorbehaltenen dreitägigen Festival-Biennale.

Also wieder ausverkaufte Ränge in Münster! Und auch jenseits des weitgereisten Trios garantierte der Jazz aus Frankreich einmal mehr einen Abend aus dichter Emotion und Atmosphäre. Das preisgekrönte „Megaoctet“ des Pianisten Andy Emler entfaltete sich als ungemein frisch aufspielende Großformation, verstand sich auf das freudige Ausnützen sämtlicher Freiräume, welche die großzügige Spielzeit angesichts von nur drei Programmpunkten erlaubte. Die Rhythmusgruppe brachte polymetrische und manchmal auch mit indischer Perkussion aufgeladene Grooves ins Rollen. Das garantierte viele intensive Stimmungsbilder, die von charaktervollen Einzelsolisten wie von einem lebendig-konsistenten Gruppensound verdichtete, in sinnlich aufgeladenem Breitwandspektrum erstrahlten.

Auch im „Kleinformat“ eines einzigen Abends lässt sich eine farbenfrohe Festival-Dramaturgie erzeugen, wenn nur die Gegenpole stimmen. Das elektroakustische Gitarrenduo bestehend aus Uwe Kropinski und Helmut Joe Sachse machte dies deutlich: Zwei versponnen wirkende Feingeister, die in weitgehend freier Assoziation auf zweimal sechs Saiten nebst allen -auch perkussiv genutzten Resonanzräumen- improvisierten. Schwindelig machte hier zuweilen eine vorpreschende Bluegrass-Stilistik, ständig garniert mit vielen impulsiven Geräuscheffekten...

Schließlich die Vollendung: Sclavis, Romano und Henri Texier eröffneten ohne Umschweife ihren Set – aber was auf den drei fabelhaften Alben dieser Konstellation überaus dicht konzentriert wirkt, das inszenierte dieses Trio auf der Live-Bühne zuweilen etwas atemlos, vielleicht sogar beiläufig. Wir kennen die Herangehensweise von Sclavis´ Liveauftritten: Er neigt zur Präsentation einer Vielzahl intellektueller Aspekte auf engem zeitlichen Raum. Da wird das Spiel seiner Bands oft skizzenartig. In Münster wurde dadurch zwar punktuell, aber nicht durchgängig jene rituelle Magie ausgeschöpft, die in dieser Materie ohne Frage vorhanden wäre.
Das ist natürlich von den allerhöchsten Maßstäben geurteilt, die bei dieser Konstellation auf der Hand liegen.

Denn auch in den Städtischen Bühnen demonstrierten Sclavis, Texier und Romano, dass von ihnen nach wie vor Maßstäbe ausgehen in punkto befreiter Klangwelt und vollendeter Improvisationskunst. Da ist das melodiöse Spiel von Sclavis, das vor allem in lyrischen Momenten so viel entwaffnende Klarheit entblößt. Und seine endlosen Soli, die er mittels unvergleichlicher Zirkularatmung minutenlang berauschend dahinfließen lässt, in leuchtende Ton-Labyrinthe mitreißt. Texiers Bass-Spiel agiert auf höchstem Energielevel, meist in fließender Grenzüberschreitung zum Rein-Perkussiven und in stetiger vibrierender Präsenz. Und Schlagzeuger Aldo Romano schien an diesem Abend wie in entrückter Trance zu agieren. Mit müheloser Leichtigkeit verdichtete er die unmöglichsten Metren zu Wogen aus geschmeidiger Bewegung.

Zwar war in Münster spürbar, dass die Geburtsstunde dieser Konstellation schon einige Zeit her scheint – höchste Referenz blieb das Spiel der drei dennoch!

 

 


 

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