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Gewagte Koppelung? Metzmacher und das DSO mit von Schillings, Schreker und Schönberg in der Berliner Philharmonie

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Ein Instrumental- oder Gesangssolist, der sich mit Mikroport verstärken lässt, seinen Part abliest und dennoch ständig daneben haut, der Rhythmus für unwichtig erachtet, falsch betont, ganze Zeilen auslässt oder Wörter hinzuerfindet, würde zweifellos ausgebuht. Jedoch ein Filmschauspieler, der in der Berliner Philharmonie ein Melodram zu besten gibt, wird offenbar nach anderen Kriterien bewertet. Denn was der mit Vorschusslorbeeren umjubelte Klaus Maria Brandauer als Rezitator in Max von Schillings’ „Das Hexenlied“ abgeliefert hat, war schlichtweg eine Zumutung.

Dass sich das Publikum gleichwohl begeistert zeigt, beweist zweierlei: die enorme Wirksamkeit der 1902 entstandenen Komposition und die Verkommenheit der Tradition des Konzertmelodrams.

Ingo Metzmacher, der aus künstlerischer Überzeugung durchaus gerne und heftig in ein politisches Fettnäpfchen tritt (Pfitzners „Von Deutscher Seele“ am Tag der Deutschen Einheit), koppelt in seinem fünften Konzert der Reihe „Versuchung“ drei Kompositionen in D, deren Komponisten mit Berlin verbunden sind, aber auf politisch extrem divergierenden Seiten, Max von Schillings einerseits und Franz Schreker und Arnold Schönberg anderseits:
Schillings wurde 1932 Präsident der Preußischen Akademie der Künste, an der Schreker und Schönberg lehrten, und ein Jahr später teilte Schillings seinen beiden Kollegen deren Suspendierung vom Amt mit. Als Opernintendant hatte Schillings jedoch Schrekers Opern durchaus gepflegt.

Ernst von Wildenbruchs Ballade erzählt von der schönen, unschuldig zum Feuertod verurteilten jungen Hexe, deren Gesang den jungen Mönch Medardus ein Leben lang, bis in den Tod, nicht loslässt. In seiner Konzerteinführung und im Programmheft mutmaßt Habakuk Traber einen versteckten Antisemitismus, bereits in der Dichtung, aufgrund der schwarzen Haare der Hexe. Diese Tendenz habe Schillings durch die „talmudische Terz“ und sein „Changieren zwischen Dur und Moll“ , das ins „Shtetl“ verweise, noch intensiviert, wohingegen der Choral der Mönche „manche Wendung aus patriotischem Liedgut“ enthalte. Dabei übersieht und überhört der Konzertdramaturg, dass die Musik ein klares Plädoyer für die Hexe und und gegen die Mönche bezieht.
So jedenfalls tönt es auch, wenn Ingo Metzmacher, mit Schwung und Farbenreichtum, Schillings’ einst überaus populäre (allein vom Komponisten zweimal für Schallplatte eingespielte) Komposition mit dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin entfesselt; und diese Gesamtwirkung wird nicht einmal durch eine ungenügende Rezitation zerstört.

Vermutlich hätte Metzmacher Franz Schrekers spätes Melodram „Das Weib des Intaphernes“ der Schillings-Komposition vorgezogen, und dieses Melodram hätte auch thematisch trefflich in Metzmachers „Verführungs“-Konzept gepasst. Aber womöglich hätte diese Programmzusammenstellung noch mehr Besucher der diesmal merklich schlecht besuchten Philharmonie verschreckt, als es offenbar der Hauptprogrammpunkt Schönberg tat.

Völlig zu Unrecht, denn nie zuvor habe ich Schönbergs Opus 5 so süffig und tänzerisch gehört, wie an diesem Abend. Schönbergs „Pelleas und Melisande“ deutet Metzmacher quasi filmisch, indem er die Figuren des Bühnenstücks und ihre Themen klar entwickelt und dramatisch zueinander in Beziehung setzt, – bis hin zur Verdichtung dieser erlebten Bilder, am Ende des kurzen Lebens der sterbenden Melisande. Das schafft – wer hätte es gedacht – klanglich sogar einen Bogen zu den düsteren Klostergesängen von Schillings, zeigt aber auch, dass Schönbergs Symphonische Dichtung, mit Waldweben und Meistersinger-Polyphonie, sehr viel stärker in der Romantik verwurzelt ist als Debussys Bühnenwerk oder die (allerdings zehn Jahre jüngere) Komposition Franz Schrekers, die den Anfang des Konzerts bildete:

Bei Schrekers „Vorspiel zu einem Drama“ bebte der ganze Körper des Dirigenten vor Spannung, was das Deutsche Symphonie Orchester Berlin bereitwillig aufgriff, um so die Nerven des Auditoriums ins Pulsieren zu versetzen. Während Habakuk Traber diese Komposition fälschlich als bearbeitetes Vorspiel zur Oper ausgibt, schafft Metzmacher das vom Komponisten intendierte Gesamtspannungsfeld der Antagonisten in dieser symphonisch paraphrasierten Handlung der „Gezeichneten“.
Und damit weist sich der Dirigent wohl nicht zufällig auch als ein idealer künftiger Interpret des Bühnenwerks aus.

Das Konzert wird am 30. Mai um 20:04 im rbb ausgestrahlt.

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