Wegen eines militärischen Großaufmarschs glich die Dresdner Innenstadt am Montag Abend einer Polizeihochburg. Angesichts einer derart uniformdeutsch starrenden Belagerung glich es fast einem kleinen Wunder, dass sich im Forum Tiberius, dem Internationalen Forum für Kultur und Wirtschaft, eine ganze Menge Bürgersinn versammeln konnte, um über Belange der Kulturstadt zu debattieren. Konkreter Anlass der Podiumsdiskussion am pseudohistorischen Neumarkt war das Kulturkraftwerk Mitte. Das könnte in Zukunft zum Standort von Staatsoperette und Theater der Jungen Generation (TJG) werden. Könnte! Doch selbst manche Befürworter sagen: Ja, aber …
Das Thema ist nicht neu. Weil die Staatsoperette Dresden und das Theater der Jungen Generation a) in jeweils desolaten Spielstätten und b) relativ weit außerhalb des Stadtzentrums residieren, ist seit Jahren eine Diskussion über Sanierung, Neu- und/oder Umbau, Zusammenlegung an diesem oder jenem Ort im Gang. Wie das bei Diskussionen in Dresden so ist – man denke nur an das scheinbar endlose Thema Waldschlösschenbrücke, dem die Aberkennung des UNESCO-Welterbetitels zu verdanken ist – dauern sie lang und sind wenig fruchtbar. Der konservative Geist der Selbstbeweihräucherung verhinderte bislang erfolgreich noch jeglichen Neubau, von dem auch nur die kleinste Signalwirkung ausgehen könnte! Der Starrsinn aus dem Hause von Ex-Ministerpräsident Biedenkopf vertrieb gar einen Frank Stella, dessen Projekt einer Kunsthalle den Ewiggestrigen zu modern gewesen war. Sowieso hat die Idee eines futuristischen Gewandhauses nahe der nachgebauten Frauenkirche keine Aussicht auf Verwirklichung. Und auch die Gedanken an ein neues Konzerthaus für Staatskapelle und Philharmonie dürften längst ausgeträumt sein.
Nicht von der Hand zu weisen ist aber der Zwang, für Deutschlands letztes noch eigenständig agierendes Operetten- und Musicaltheater eine neue Bleibe zu finden. Denn rein baupolizeilich bespielt das Ensemble um Intendant Wolfgang Schaller in Dresdens Stadtteil Leuben eine Bühne ohne Netz und doppelten Boden. Ähnliches gilt für das TJG am anderen Ende der Stadt. Das für Kinder und Jugendliche enorm wichtige, von ihnen enorm frequentierte Haus, eine frühere Tanzgaststätte in Dresdens Westen, zehrt schon lang nur noch von Ausnahmegenehmigungen und einem halboffiziellen Bonus wegen des Engagements für den Nachwuchs. Intendantin Felicitas Loewe ist, wie ihre Vorgänger, bereits mehrfach vertröstet worden, was den künftigen Fortbestand betrifft.
Seit Jahren gibt es immer mal wieder so eine Art Konsens, dass Abhilfe geschaffen und am besten gleich noch eine Vision für die Zukunft verwirklicht werden muss. Die Idee, beide Theater im 1994 stillgelegten Kraftwerk Mitte anzusiedeln und dort auch gleich noch den Boden für weitere Kreativwirtschaft zu bereiten, ist längst nicht mehr neu. Doch erst vor wenigen Wochen hat Dresdens Oberbürgermeisterin, die Krippenerzieherin Helma Orosz, ihren Stadtrat mal wieder auf eine angeblich neue, vorgeblich kostengünstigere Variante einschwören wollen. Am Hauptbahnhof rottet das Wiener Loch vor sich hin, eine nach dem Wiener Platz benannte Investruine, deren Absicherung den Steuerzahler jährlich etwa 400 000 Euro kostet. Seit 1996! Als auch der CDU-Lokalpolitikerin klar wurde, damit nicht länger durchzukommen, wurde erneut die Idee befürwortet, aus dem einstigen Heiz- ein künftiges Kulturkraftwerk zu stemmen. Inzwischen hat sich auch eine Interessengemeinschaft dazu gegründet, die sich aus der Zusammenlegung von Operette und TJG eine Initialzündung für Ateliers, Galerien, Gastronomie und Tourismus verspricht. Doch über ein „Ja, aber …“ ist man noch nicht hinausgekommen. Dabei könnte der gesamte Stadtteil, die Friedrichstadt, davon nur profitieren, ist man sich sicher. Doch solange Bremser und Bedenkenträger auf den entscheidenden Stellen sitzen und die Posten der Fachbürgermeister nach Parteibuch statt Sachkompetenz besetzt werden, sind die Prognosen im sächsischen Elbtal weniger von Weitsicht denn von Düsternis getragen.
Selbst die Debatte am Forum Tiberius, bei der die Befürworter des Kulturkraftwerks weitgehend unter sich waren, kreiste um das Ewigkeitsthema Dresdnerischer Verklärung. Architekt Peter Kulka brachte vehement seine aus Vergangenheit und möglicher Zukunft der Stadt erstellte Analyse vor und verband sie mit der einleuchtenden Beobachtung, dass Konzeptionelles hier noch stets zerredet werde. Doch eine Stadt der Hochkultur, hier führte er Semperoper und Staatsschauspiel an, brauche eine Alternativkultur und müsse „auch mal was wagen, nicht nur verwalten“. Insgesamt, so schien man sich einig, fehle es noch immer an einem kulturellen Gesamtkonzept für die Stadt, die seit zwanzig Jahren Sitz der sächsischen Landesregierung sei und sich so gern mit Kulturmetropolen von Weltgeltung messe.
Ein paar Fakten kamen natürlich auch rüber an diesem bestens bewachten Abend: 10.000 Menschen seien in der Halbmillionenstadt an der Elbe in der sogenannten Kreativwirtschaft tätig, Tendenz steigend. Andere Städte, Leipzig etwa mit seiner florierenden Baumwollspinnerei, hätten es längst vorgemacht, wie aus stillgelegter Industriearchitektur vitale Kunst- und Kulturzentren entstehen könnten. Dresden hingegen, eine Stadt, die zwar alles andere als schuldlos, doch dank des Verkaufs kommunalen Wohnungsbestands einigermaßen schuldenfrei ist, wage sich nicht an Visionen, sondern verharre desillusionierend im Verwaltungsdenken. Dabei sei klar, dass Staatsoperette und TJG rascher Rettung bedürften. Offen ist lediglich, ob dies mit einer Initialzündung für morgen und übermorgen verbunden werde oder aber erneut nur provinziell verharre. Dabei dürfe man sich nicht allein von Kostenfragen leiten lassen, sondern müsse die Realisierbarkeit eines Zukunftsprojekts vor Augen haben.
Nach Stunden schien sich die Diskussion bei aller Einigkeit im Kreise zu drehen. Die Kosten der gleichzeitigen Polizei- und Militärpräsenz hätten eine wunderbare Grundlage für den Umbau des Kraftwerkgeländes zu einer Kulturstätte sein können. Von den positiven Konsequenzen für einen derzeit noch weitgehend unentdeckten Stadtteil zu schweigen. Und sowieso von den Auswirkungen für eine so gern für ihre Selbstgenügsamkeit belächelte Stadt. Immerhin soll es am 11. Dezember einen Tag der Offenen Tür im einstigen Kraftwerk geben. Das ist doch schon mal ein Schritt, der vom Aber ins Ja zielt.