Zum Credo des Komponisten Hans Werner Henze gehörte eine politische Verantwortung, der sich ein Künstler nie entziehen darf. Eines der plakativsten Beispiele dafür ist Henzes Rezital für Sänger und Kammerensemble „El Cimarrón“, das nun im Oberhausener Stadttheater im Rahmen der Kulturhauptstadt-2010-Projekte zur Aufführung kam.
„El Cimarrón“ erzählt die Biografie des entlaufenen kubanischen Sklaven Esteban Montejo, schildert in eindringlicher Sprache die Zustände von Unterdrückung, Aufbegehren und Flucht. Aus den Tonbandprotokollen Montejos hat Hans Magnus Enzensberger das Libretto geschaffen, aus welchem die Dialektik zwischen Unterdrückung und Befreiung spricht.
Und das „El Cimarron Ensemble“ ließ solche Botschaften im Oberhausener Theater unter die Haut gehen: Da krachen schließlich die abgeworfenen Ketten der Sklaverei mit beängstigendem Getöse auf den Oberhausener Bühnenboden. In bedrängender Präsenz erhebt der aufbegehrende „Cimarrón“ alias Robert Koller seine druckvolle Bariton-Stimme. Anklagend ist seine Gestik, stolz die Mimik. Die Sprache der durch Hans Magnus Enzensberger eingerichtete Textvorlage offenbart die schonungslose Authentizität eines Erfahrungsberichts.
Henze hat hier plakativ-direkte, bisweilen gar minimalistische Gestaltungsmittel kombiniert, um die Geschichte des Sklaven Esteban Mojito zum parabelhaften Lehrstück über Sklaverei und ihre Überwindung, also über die Dialektik zwischen Unterdrückung und Befreiung zu verdichten. Lakonische Worte legen die erlittenen äußeren Verletzungen bloß. Sie offenbaren aber auch die geschundene Seele im Inneren eines Menschen, dessen Leben von frühester Kindheit an jeden Tag im ersten Morgengrauen zur Zwangsarbeit auf den Zuckerrohr-Plantagen begann.
Doch Esteban bricht aus, ihm gelingt die (tödliche) Überwältigung eines Aufsehers. Panische Nervosität verdichtet sich auf der Bühne zum Bersten und wird mit aufpeitschenden Klängen und ruhelosem Umher-Hetzen seitens aller Beteiligten szenisch umgesetzt. (Regie Michael Kerstan). Befreit von den Ketten, flüchtet der ehemalige Sklave in die Einsamkeit des Waldes. Versöhnliche, fast schon süßliche Nuancen steuert die Musik in diesen Momenten bei. Doch der idyllische Urzustand ist Illusion. Esteban sehnt sich nach Liebe, und dafür muss er zu den Menschen zurückkehren. Zwar wird später die Sklaverei und irgendwann auch die spanische Kolonialherrschaft beseitigt, doch bleibt die erniedrigende Fronarbeit für all jene bestehen, die unten sind und auch in allen Stadien von Fortschritt immer unten bleiben werden.
Kollers kunstvoller Stimmeinsatz mutiert in fließendem Übergang zwischen lakonischem Sprechgesang und immer wieder daraus erwachsender stark expressiver Emphase. Scheinbar mühelos meistert er noch so verquere Intervallsprünge, mit denen die Partitur gespickt scheint. Ein Kaleidoskop aus instrumentalen Klängen überhöht, verdichtet und unterstreicht das Deklamatorische in jedem Moment. Mit fragiler Feinheit, dabei höchst pointiert lässt Christina Schorn auf der Konzertgitarre viele bestechende lyrisch-kommentierende Momente entstehen. Flöte und großes Schlagwerk setzten ebenfalls auf ein variantenreiches Spektrum – welches bei aller revolutionärer Wucht vor der Nachzeichnung selbst der feinsten Seelenregungen dieses stolzen Revolutionshelden nie kapitulieren musste!