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Los Angeles feiert die amerikanische Erstaufführung von Schrekers „Die Gezeichneten“

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Soeben hat die Los Angeles Opera ihre „Ring“-Inszenierung von Achim Freyer mit einer interpretatorisch, optisch und technisch gleichermaßen innovativen, wie hinreißenden „Götterdämmerung“ abgeschlossen. Beinahe notgedrungen stand und steht in deren Schatten die erste amerikanische Produktion von Franz Schrekers „Die Gezeichneten“, und dies trotz enormen Mäzenatentums der Opera League und privaten Sponsorings.

Sehr lange hat es gedauert, bis das Œuvre des verfemten Wiener Komponisten den Sprung über den großen Teich geschafft hat; zu Lebzeiten des Musikdramatikers waren seine Werke in Amerika moralisch eben so wenig tragbar, wie Zemlinskys mit Hoffnung auf die USA komponierter „König Kandaules“.

Nach einer konzertanten Aufführung des „Fernen Klang“, vor drei Jahren in New York, gab es nunmehr erstmals eine szenische Produktion einer Schreker-Oper in den Vereinigten Staaten. Den „Gezeichneten“ soll allerdings, bereits im Sommer dieses Jahres, ein szenischer „Ferner Klang“ folgen. In L.A. wurde statt eines Ausstatters ausschließlich eine Projektions-Designerin engagiert, und Wendall K. Harrington griff mit ihren Permanentprojektionen tatsächlich in die Vollen. Eine filmische Umsetzung – noch dazu vor den Pforten von Hollywood – hätte dem Komponisten fraglos gefallen, denn Schrekers vierte Opernpartitur antizipiert eine Reihe filmischer Strukturen, im dritten Aufzug insbesondere rasche Schnitt- und Gegenschnittfolgen der gesungenen Dialoge. Der Einsatz diverser, sich überlagernder 3D-Projektionsebenen, vor hinter und auf den Seiten der Bühne, ist technisch verblüffend perfekt gelungen. Inhaltlich allerdings fehlte merklich ein Regisseur, der aus dem Zuviel an Bildern und Filmen ein stimmiges Ganzes geschaffen hätte.

Leider verstärkte die diskrepante Ästhetik virtueller Räume, mit Schiele-Gemälden, gemalter Natur in der Disney-Nachfolge und Mandalazeichnungen, nur den Eindruck jener fragwürdigen Beliebigkeit, der auch zwischen den handelnden Personen herrschte. Nachdem der zunächst vorgesehene Regisseur aufgrund radikaler Sparmaßnahmen abgesprungen war, hatte kurzfristig Routinier Ian Judge die Inszenierung übernommen, aber in dreizehn Tagen nicht mehr als einige aussageschwache Arrangements bewerkstelligt. Mit dem Auf- und Abtragen von Möbelstücken auf der (im Gegensatz zu Freyer) ausgiebig genutzten Drehscheibe der extrem schrägen „Ring“-Bühne, ist der komplexen Handlung von Schrekers selbst getexteten „Gezeichneten“ nicht beizukommen.

Deren Doppeldeutigkeit beginnt ja schon im Titel: in der Übersetzung „The Stigmatized“ zielt er nur mehr auf die körperliche Deformation der Haupthandlungsträger und lässt die Bedeutung gezeichneter Seelenzustände durch die psychosomatisch herzkranke Malerin Carlotta außen vor. Insbesondere nach den starken Deutungen von Neuenfels, Krämer, Kusej und – mit deutlichen Abstrichen – selbst von Lehnhoff, wirkt eine Produktion, in der die meisten der in der Entstehungszeit der Oper gewandeten Sängerdarsteller kaum zu wissen scheinen, wozu sie gebeten sind, mehr als problematisch. Nachdem die deutschsprachig besungene Entführung eines Kindes (das hier unverständlicherweise von einem erwachsenen Tenor gesungen wurde), szenisch überhaupt nicht eingelöst wurde, passierte dann an musikalisch falscher Stelle, im Zwischenspiel zum letzten Bild, die drastische Vergewaltigung einer nackten, jungen Frau.

Der diffizile Chor aber, dem in diesem Akt eine entscheidende Funktion zwischen Verführung, Exzess, Hinterfragung und Individualisierung zukommt, wurde hinter die Bühne verbannt, und eine Hand voll maskierter Statisten konnte die gebotenen szenischen Aktionen des Chores nicht ersetzen. Glücklicherweise stand der szenischen Ratlosigkeit musikalisch eine zwingende Deutung, wie aus einem Guss, entgegen. Nach seinem intensiven Einsatz für Zemlinskys Opern erweist sich James Conlon mit seiner Deutung der „Gezeichneten“ auch als ein optimaler Schreker-Interpret, dessen ungekürzte Version Naganos Salzburger Stückwerk (jetzt auch auf DVD) an Intensität deutlich überragt. Die auf der Bühne vermisste Sinnlichkeit wird hier geradezu greifbar, von der Spannung der bitonal flirrenden ersten Takte, bis zum Wiederaufflammen des Sehnsuchtsmotives am Ende, mit einer fulminanten Atelierszene und nach einem auch musikalisch zwingend vorangetriebenen Zusammenbruch und Verstummen des Orchesters im Finale.

Conlons enagierte, in der Entfaltung der Schrekerschen Mischklänge eigenwillige, aber stets fundierte Lesart wurde von der Universal Edition als musikalische Erstaufführung einer reduzierten Fassung angekündigt. Conlons Reduktion erfolgte aufgrund von Platzmangel im Orchestergraben, aber sie ist als „Fassung“ nicht hörbar, denn sie verzichtet auf keinen Ton und tut nur das, was in den rund eintausend Bühnenaufführungen dieser Oper nach der Uraufführung im Jahre 1918 an mittleren und kleinen Bühnen Gang und Gebe war, etwa das vierfache Holz auf drei Bläser zusammenzuziehen. Im Parkett klingt das L.A. Opera Orchestra matter als in den Rängen, aber auch ohne den „Ring“-gedeckelten Orchestergraben würde es die sängerisch kraftvollen Leistungen von Anja Kampe (Carlotta), Martin Gantner (Vitelozzo Tamare) und James Johnson (Herzog Adorno) nicht zudecken. Allerdings gelingt nur jenen Solisten, die ihre Partien bereits an anderen Bühnen verkörpert haben, die intendierte musikdramatische Wirkung: Wolfgang Schöne zeichnet einen zwischen politischem Amt und familiären Rücksichten changierenden Podesta, und Robert Brubaker, in Salzburg ein Crossdresser, ist nunmehr ein mit zwei Krücken glaubhaft agierender Spastiker Alviano, mit einer faszinierenden Bandbreite stimmlicher Ausdrucksmöglichkeiten.

In der Los Angeles Opera wird zu jeder Oper das entsprechende (Haupt-)Thema als Einlass- und Pausensignal geboten. Am Premierentag gab es insgesamt vier Vorträge des Schreker-Biographen Christopher Hailey sowie – unmittelbar vor der Premiere – den Vortrag des musikalischen Leiters: James Conlon spielte die wichtigsten Themen und die von ihm erkannten Bezüge zu Verdi über sein iPhone ein. So auf das besondere Opernereignis eingestimmt, feierte das Publikum die amerikanische Erstaufführung entsprechend stürmisch.

Ein Teil der international angereisten Schreker-Gemeinde reiste anschließend sogleich nach Palermo weiter, wo „Die Gezeichneten“ ab der kommenden Woche täglich als Stagione zu sehen sind.

Weitere Vorstellungen: 18., 22. und 24. April 2010

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