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Esther Hoppe und Nicolas Altstaedt beim Münchener Kammerorchester. Foto: Florian Ganslmeier
Esther Hoppe und Nicolas Altstaedt beim Münchener Kammerorchester. Foto: Florian Ganslmeier
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Phänomenale Phänomene: Das Münchener Kammerochester mit dem Cellisten Nicolas Altstaedt und der geigenden Dirigentin Esther Hoppe

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Während hierzulande in München und dieser Tage im Februar 2013 ziemlich Viele von weltfähiger Saalakustik und Weltnineaukonzertsaal reden, vollbringt das Münchener Kammerorchester (MKO) ein ums andere Mal Geniales, Gravierendes, Großartiges. In Abonnementkonzerten, mit carte blanche-Angeboten, nach Art von Aidskonzerten.

Aktuell im 5. Konzert der laufenden Saison, angeleitet von der körperlich sportiv-agil und musikalisch auf dem Stand des dritten Jahrtausends faszinierend agierenden Konzertmeisterin Esther Hoppe, ereignet sich innerhalb des immer schon Außergewöhnlichen am Hauptspielort im akustisch herausragenden Prinzregententheater Zauberhaftes: Die klasse Klasse Q11 des musischen Pestalozzi-Gymnasiums übernimmt den allerorten zur Routine sich eingespielt habenden Job der Konzerteinführung in die Engführungen des Programms.

Und das hat in München zuvor noch keiner erlebt: Startend aus der Pole-Position des MKO-Saison-Mottos DRAMA geht es in den heiligen Hallen des Prinzregententheaters, das freilich schon munter trimedial erprobt ist (Bayerischer Filmpreis, Bayerischer Fernsehpreis und anderes) mitten hinein in die Inhalte vermittelnde Zeitgenossenschaft. Mit audiovisuell aufgemischter Direktheit fragen sich die Prä-Abiturietinnen-und-Abiturienten zum Kern der Bretter, die der Welt ihre Sinnfälligkeit geben, durch. Dramatische Expansionen realisieren den gespielten Mord, das Moderatorenpaar vermittelt zwischen den einzelnen Kapitelstars, die der Musik (und dem Programm) ihre Rätsel entreißen, ohne allerdings den Zauber zu verraten, das Auratische, das Musikalische an sich. Es wird pathetisch geschritten zur Pavane – von links und rechts den Bühnenraum erschließend, es werden inhaltliche Feinheiten aus Partituren herausgearbeitet ohne jeglichen Doktorandenseminaristentonfall. Und dann ist diese virtuelle Sendung schon vorbei.

Was hier so spielerisch und phantasievoll herausdestilliert wurde aus den programmatisch-dramaturgischen Leitlinien des Programms, arbeitet sich nun durch Gehirnwindungen und Herzkammern, öffnet Seelenbereiche sowie Denkterritorien. Und wer schon mal den Gedanken gedacht haben mochte, dass Frank Martin ein Langweiler sei, der konnte hier die Welt nicht mehr verstehen: Seine Etudes für Streichorchester von 1955/56 faszinierten in ihrer kontrapunktisch-stringenten Sinnlichkeit, die Pavane couleurs du temps (1920) überraschte in ihrer jazzige Haltungen durchdringenden Rhythmisierung.

Esther Hoppe akzentuierte das mitreißend. Doch was ihr mit dem a-moll Cellokonzert von Carl Philip Emanuel Bach, dem Bach seiner Zeitgenossen, die den einstens extra-großen Johann Sebastian der einhundertjährigen Vergessenheit überantwortet hatten, das erwies derart packende Zeitgenossenschaft von heute im Darstellen der Musik von damals, dass kaum glaubhaft erscheinen mochte, wie stark der Carl Philip Emanuel im Dramatisieren, im Kontrastieren, im Zusammenführen von dramatisch Divergierendem denn doch war. Das war in solcher Dichte und mitreißenden Musikalität im Endeffekt vor allem durch den Affekt des Solisten Nicolas Altstaedt zu leisten. Wie der sich – nicht zuletzt – körperlich, in Einheit mit seinem Instrument, einbrachte, der Dirigentin behilflich war beim Steigern des Dramatischen, das hätte bei einer anderen musikalischen Besessenheit zu Girlanden des Peinlichen geführt.

Hier spielte sich Schlüssiges in Reinkultur ab. Schöner, reiner, toller kann solche Musik nicht erklingen. Und besser lässt sich nicht erkennen, welch großer Komponist Carl Philip Emanuel Bach denn doch war. Dass an dieser Stelle noch irgendetwas draufgesetzt hätte werden können, das war gemeinhin unvorstellbar. Doch dieser Abend erbrachte den Beweis, dass es doch ging. Die Orchesterbearbeitung des ersten Streichquartetts „Kreutzersonate“ (1923) von Leos Janácek belegte obendrein, dass eine Streichquartettumformung für Streichorchester nicht immer in der Unschärferelation verharren muss, in der gemeinhin Beethovens Große Fuge in solcher Gestalt häufig daherkommt.

Der Abend lässt an die ungemeine Vielfalt, Phantastik, Intelligenz und musikalische Kompetenz denken, die das Münchener Kammerorchester seit vielen Jahren ja nun schon in dieser Musikstadt permanent aufs neue im Angebot hat – ohne je Ermüdungserscheinungen erkennbar werden zu lassen. Viele in dieser Stadt lamentieren, dass selbige so konservativ sei. Doch wenn dem Publikum keine Alternative zu rein konservativen und rein konventionellen Programmen angeboten wird von den Veranstaltern, dann darf keiner sich wundern. Das MKO macht das halt anders. Das ist das Unvergleichliche.

Wo es am Tag danach doch schon weiter geht, in der Serie von Konzerten, die zusammen mit den Münchner Kammerspielen im Großen Haus angeboten werden - während immerhin nahezu zeitgleich in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste der „Happy New Ears Preis“ der Hans und Gertrud Zender Stiftung an den Publizisten Martin Zenck und an die Komponistin Isabel Mundry vergeben wird samt Förderpreis für Havard Enge und anschliessend in der musica viva des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Residenz Zeitgenossenschaft sich quasi überschneidet mit dem MKO-Kammerkonzert.

Hier geht es, gut besucht nach 22.00 Uhr, um Henri Dutillieux und - Maurice Ravel. Auch hier stellt sich Begeisterung ein mit Nicolas Altstaedt und Esther Hoppe, mit Kelvin Hawthorne und Kosuke Yoshikawa. Das leicht Spröde, das beim Großmeister Dutilleux und partiell auch bei Ravel aufklingen  kann – mutiert hier zu Musik pur, zu sinnlicher Struktur in klarer französischer Diktion, so als wäre „ein ganzes Weltall - fern fast wie aus einer Gruft“ (Baudelaire in Stefan Georges Übersetzung im Motto zum Paul Sacher gewidmeten Dutilleux-Stück) in den Münchner Kammerspielen gelandet, zur Darstellung von „Trois strophes sur le nom de Sacher“ für Cello solo von Henri Dutilleux von 1976, der Duo Sonate von Maurice Ravel aus dem Jahr 1922 und „AINSI LA NUIT“ (1976) von Henri Dutilleux für Streichquartett. Phänomenale Phänomene, hellwach zu nachtschlafener Zeit…
 

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