Hauptbild
Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Theos Kurz-Schluss: Wie mich das Verkommen des Fußballsportes genauer betrachtet aber meist unbewusst durchs Leben begleitete

Publikationsdatum
Body

Heutzutage, wir schreiben das Jahr 2031 – nach arab/neosowjet-Kalender fünf nach Putin – schießt mir der Rest meiner Magensäure ins verbliebene Gedärm, wenn ich die derzeit allgegenwärtigen multilingualen Sprüche der KI-Digital-Comments aus Mini-Booms aller Art Soccer-Kommentare schwafeln höre: Von höchster Fußballkunst, von tänzerischem Körpereinsatz bei heftigsten Fouls, von bester Ballbehandlungskultur und Tik-Tok-reifen Zauberbildern in der Box schwelgen die Robbies. Man schelte mich einen ewig gestrigen Tattergreis, aber sowohl von Kunst und Kultur – solange es sie noch gab – wie von Fußball hatte ich zeitlebens eine ganz andere Vorstellung – und eine jeweils wechselvolle Beziehung dazu.

Zugegeben: Schon als Kind verwöhnten mich meine Eltern Mitte der 1950er Jahre luxuriös mit einem Familien-Schwarz-Weiß-Fernseher. Gucken durfte ich zwar nur ganz wenig, Fußball aber immerhin. Vermutlich hoffte mein Vater, dass die Flimmerbilder meine Motivation zu körperlicher Ertüchtigung intensivierten. Taten sie moralisch auch zunächst. Ich entsinne mich allerdings eines skandalösen WM-Halbfinal-Spieles 1958 zwischen Schweden und Deutschland. Völlig unberechtigt wurde unser begnadeter Verteidiger, Juskowiak hieß er, glaube ich, früh von einem äußerst parteilichen Schiedsrichter wegen eines Kinkerlitzchens im sogenannten „Hassspiel von Göteborg“ vom Platz gestellt – wir verloren drei zu eins. Das hätte mir schon zu denken geben sollen. Und erst recht Folgendes auch: Als angeblich nicht sonderlich begabter Ersatz-Mittelfeldspieler meiner vierten Gymnasialklasse versuchte ich, mein nur zart aufkeimendes männliches Image dadurch aufzupolieren, indem ich im Gegensatz zu meinen Mannschaftskameraden barfuß spielte. Mein Ruhm dauerte ungefähr fünf Minuten. Dann stieg mir ein adidas-bewaffneter Gegner so gründlich auf den rechten Fuß, dass ich dank etlicher gebrochener Zehen und sonstiger Knöchelchen eine Woche schulfrei sowie einen fetten Gips bekam. Ersteres fand ich noch recht kommod, ansonsten war meine Faszination für den sogenannten Schulsport zeitlebens gestört. Und für Fußball interessierte ich mich einstweilen allenfalls noch passiv.

Einen gewissen Höhepunkt freilich erlebte mein imaginäres Ballgefühl 1966, als ich im Rahmen eines Schüleraustausches zu „Fußball dahoam“ nach London landverschickt wurde, um meine miesen Englischkenntnisse etwas aufzubessern. Der Bildungsveranstalter verschaffte unserer Nachhilfegruppe als mächtiges Zuckerl Stehplatzkarten für das Endspiel England-Deutschland – ungefähr in der letzten Reihe des alten Wembley-Stadions. Dank des durch etliche „Pints of Guinness“ bereits kräftig geschärftem Blick konnte ich hundertpro feststellen, dass das – von einem russischen! Linienrichter, wie ich mir später anlas – aberkannte eigentliche Wembley-Siegtor voll im englischen Kasten war. Es sei der Grauschleier beschönigender späterer Erklärungsversuche darübergestülpt, zumal eine Reihe seinerzeit außerordentlich fairer englischer Hooligans unseren Schmerz in diversen Pubs großzügig narkotisierte.

Bei allem merken Sie: Obwohl eigentlich ein kritischer Kulturbeobachter aus mir geworden ist, habe ich den zunehmend kulturlosen Ballsport nie ganz aus den Augen verloren. Insofern bestätigte mich Argentiniens WM-Gewinn dank Maradonas Handspiel in der Einschätzung zumindest der Profi-Division dieses Kickens als zunehmend mafiöse Geldvermehrungsmaschinerie. Ebenso wie der Verkauf des „Sommerglückes“ 2006 an Deutschland oder die „infantinöse“, komplett korrupte Vergabe der WM seinerzeit 2022 an das Vereinigte Kühlmaschinen-Produktions-Emirat von Katar. Als ein letztes Aufscheinen von Sportsgeist mag man noch werten, dass die deutsche Nationalmannschaft vor ihrer Disqualifizierung durch die FIFA-Bandidos geschlossen wenigstens mit der One-Love-Armbinde aufs Spielfeld lief. Dass als Nationalhymne dann „Auferstanden aus Ruinen“ erklang, war wohl schon einem Hack der „Last Generation“ zuzuschreiben – keine bewusste Fehlzuspielung aus Scheichens Heimtücken-Repertoire.

Die Entscheidung der FIFA, alle Fußballweltmeisterschaften wenigstens der nächsten 20 Jahre in Katar zu veranstalten, hat neben elementar korrupten, menschenverachtenden, der blanken Funktionärsgier geschuldeten Gründen leider auch ein, zwei akzeptable: So sind die Stadien in Katar schon mal professionell klimatisiert, was man von den Spielstätten der wenigsten anderen Bewerber behaupten kann – angesichts der Erderhitzung um gut drei Grad mit entsprechenden Folgen wie Überschwemmungen, Stürmen, Hitzewellen leider eine notwendige Voraussetzung für einen geordneten Wettbewerbsverlauf.

Auch die Reduzierung auf acht überprüft maskuline – und ab 2036 auch für Burka- oder Tschador-tragende Frauen – teilnahmeberechtigte Elfer-Gruppierungen deutet auf eine gewisse Kontinuität der Existenz dieser Spitzensportart hin. Sollten sich die klimatischen Bedingungen überraschenderweise noch stärker zuungunsten entwickeln, arbeiten diverse Software- und Chip-Schmieden bereits an der Entwicklung von Avataren bekannter Spielergrößen. Alternativ wird auch über den Ersatz menschlicher Akteure durch humanoide Roboter, mit bester spielerisch-künstlicher Intelligenz geforscht. Umstritten allerdings bleibt im Sinne einer kulturellen Aneignung der Einsatz von intensiv dressierten Kamelen beispielsweise als Torhüter.

Der/die/das neue FIFA-Vorsitz-Inhabende Ali Ben Hatschi Soraya Halef Erika Wladimir Hoeneß hat sich in seiner/ihrer Antrittsrede als Macho, Bipolarer, Queerer und femininer Antialkoholiker für Reformen aller Art offen gezeigt.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur


 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!