Albert Lortzings letzter Opernpartitur, am Abend vor seinem Tod uraufgeführt, begegnet man nur selten an den Bühnen, Richard Genée hingegen ist dem Theaterpublikum nur noch als Librettist bekannt. Der von ihm getextete und komponierte „Musikfeind“ wurde erstmals im Jahre 1862 und im selben Jahr auch letztmals aufgeführt – in Schwerin, und im Mecklenburgischen Staatstheater war er nun wieder zu erleben.
Spannend an Richard Genées Komischer Operette in einem Akt ist die musikalische Disposition, der Esprit und Witz, die gar nicht weit entfernt sind von Johann Strauß’ Musiksprache. Dass der Dauererfolg von dessen erfolgreichster Operette „Die Fledermaus“ zu einem Großteil auch auf das Libretto von Genée zurückzuführen ist, scheint auch dessen frühere Operette „Der Musikfeind“ zu belegen. Dieses Dreipersonenstück besitzt bereits die Idiomatik der „Fledermaus“, angefangen von einem – in beiden Bühnenwerken – zunächst hinter der Szene erklingenden Tenor namens Alfred, über eine Möchtegern-Sängerin namens Ida, bis hin zur musikalischen Schilderung des völlig betrunken an seinen Arbeitsplatz heimkehrenden Baritons (hier der Rentier Hammer, dort der Gefängnisdirektor Frank), wobei die musikalische Groteske dieser Aktion in nuce auch schon die Beckmesser-Pantomime der sechs Jahre später uraufgeführten „Meistersinger von Nürnberg“ antizipiert.
Die Schweriner Operndirektorin Ute Lemm vermutet, dass Genées Titel auf E. T. A. Hoffmanns „Kreisleriana“, Bezug nimmt, auf die „Anekdote von dem Musikfeind“. Das Handlungsmuster des alten Oheims, der sein Mündel bewacht und die Musik nicht ausstehen kann, verweist zurück auf Ben Jonson und durch Stefan Zweig voraus auf Sir Morosus in Richard Strauss’ elfter Oper „Die schweigsame Frau“. Die gemeinsamen Wurzeln aber liegen in der Commedia dell’ arte, wie sie dann etwa auch in Donizettis „Don Pasquale“ zum Tragen kommen.
Der musikalische Witz bewusst falsch gesetzter Betonungen ist in Wagners „Meistersingern“ ebenfalls anzutreffen, in Genées Partitur aber scheint er zurückzuverweisen auf jene Praxis in Lortzings „Zar und Zimmermann“. Die ein Jahrzehnt vor dem „Musikfeind“ entstandene „Opernprobe“ ist die Liebesgeschichte um einen dilettierenden adeligen Opern-Enthusiasten, zugleich aber um Sitten und Unsitten, wie um hintergründige Motivationen des Musikgeschäfts.
Die Inszenierung und Textfassung der Regisseurin Anke Rauthmann verknüpft beide Musiktheaterstücke zu einer Grundhandlung um einen Rundfunk-Redakteur Hammer, der die Musik hasst. Durch den komponierenden Freund seiner Sekretärin (und zugleich Nichte) hört er eine Melodie aus seiner Kindheit wieder und wird so von seinem Musikhass geheilt. Er stimmt der Verheiratung seiner Sekretärin mit jenem Komponisten zu, dem er gerade – als angeblichem musikalischen Ignoranten – die Stelle eines Wortredakteur zugestanden hat. Hammer aber lauscht mit Kopfhörern einer alten Schallplatte von Lortzing und wird in der aktiv empfundenen Handlung der „Opernprobe“ selbst zu einem die Musiker fördernden Mäzen.
Dazu weitet der Ausstatter Robert Pflanz das mit Mikrofonen verhangene Studio-Büro der Operettenhandlung zu einem Grafenschloss, in dem der Himmel voller Klaviere und dann voller Geigen hängt. Baron Reinthal und sein Diener sind Golfer, die vor dem Schloss ein Zelt aufgeschlagen haben. Wenn sie dem Grafen vorsingen, mutieren sie in Paillettenkostümen zu Popkünstlern: Lautsprecher und übergroße E-Gitarre schweben aus dem Schnürboden, und mit seiner Arie „Ob ich dich liebe“, umschlingt der Tenor die ihn bewundernden Damenchor-Dienerinnen mit der Strippe seines Mikrofons, die ihrerseits Feuerzeuge schwenken.
Passend zum Studio-Ambiente, werden beim ersten Stück Amplituden auf die Übertitelungsfläche projiziert. Die Textverständlichkeit des kernigen Baritons Sebastian Kroggel, der den Musikfeind Hammer und dann den Grafen mit viel Spielfreude verkörpert, macht Übertitel wirklich entbehrlich, die Diktion der anderen Solisten nicht immer. Kerem Kurk setzt seinen Tenor als singender Komponist Alfred Moll, wie auch als Popstar-Baron, nicht immer ganz zielsicher ein. Katrin Hübner ist eine quirlige Ida und als Kammerzofe Hannchen hier auch die Dirigentin des mit unsichtbaren Instrumenten aufspielenden Chores der Dienerschaft (Einstudierung: Ulrich Barthel); in notenbestickter Strumpfhose macht sie ebenso gute Figur, wie beim gemeinsamen Strip mit Diener Johann (Bariton Markus Vollberg gefällt, trotz Imponiergehabe) in gestreifter Badewäsche.
Ewald Donhoffer packte Richard Genée bei der ersten Wiederaufführung mit solchem Elan an, dass er bereits in den ersten Takten der Ouvertüre seinen Dirigentenstab in die Luft wirbelte. Dass dann bei Lortzing einiges wackelte, lag jedoch nicht am verlorenen Stab, denn den hatte der musikalische Leiter nach der Pause wieder. Die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin spielte unter Donhoffer sehr sauber, wenn auch wenig klangvoll.
Am Ende versinkt Lortzings behutsam ans Heute angenäherte Geschichte in der Bühnenversenkung, nur der ehemalige Musikfeind bleibt als einsamer Genießer seiner alten Schallplatte übrig. So ähnlich wie er, mochten sich auch einige Besucher vorkommen, denn das anwesende Publikums war handverlesen. Unverständlicherweise haben die Schweriner Premierenabonnenten diese ungewöhnliche Musiktheaterpremiere nicht in ihrem Anrecht. So blieben rund zwei Drittel der Sitze des prunkvollen Staatstheaters unbesetzt, und auch der Zuspruch am Ende des zweieinhalbstündigen Abends hielt sich in Grenzen. Auswärtige Besucher bekundeten hingegen, dass Genées Partitur sie nach Schwerin gelockt hat. Ein Weg, der sich durchaus lohnt.
Weitere Aufführungen: 2., 22. Dezember 2012, 13. Januar 2013.