Wie fair oder angemessen kann Festivalförderung sein? Muss sie das überhaupt? Wie werden Festivals für Klassik, Jazz oder Rock/Pop in den Bundesländern gefördert? Im September wurde vom Bund eine Studie zur Festivalförderung in Deutschland veröffentlicht. Mit erstaunlichen Zahlen. Manchmal aber nicht tiefblickend genug. Die nmz hat die Festivalförderung der Länder deshalb mit konkreten Summen verifiziert. Auch haben wir die Förderrichtlinien näher betrachtet und eine beträchtliche Unwucht bei der Praxistauglichkeit festgestellt – aber auch Modellhaftes gefunden, das Vorbild für alle Länder sein könnte.
Informationen zur Länderfestivalförderung auf einen Blick. NRW hat leider auch auf nochmalige Nachfrage hin, keine nach Genres getrennten Förderdaten genannt. Um die Einzelwerte nicht zu verfälschen, flossen die Werte daher nicht in die Übersichtstabelle ein. Tabelle: Bernd Schweinar
Der Festival-„Förder-Gap“ der Länder
Als Thomas Goppel noch Präsident des Bayerischen Musikrates war, beklagte er im Verband regelmäßig die Ungleichheit zwischen Sportförderung und den Mitteln für die Musik. Gleichzeitig betonte er den Vorsprung der Sportverbände hinsichtlich deren Lobbyerfahrung. Was er nicht sagte, war, dass er in seiner Zeit als Bayerischer Kunstminister das Ungleichgewicht kaum merklich verändert hat. Die Studie „Musikfestivals in Deutschland – Vielfalt, Strukturen und Herausforderungen“ von BKM/Initiative Musik, DMR/MIZ und Bundesstiftung Livekultur hat durchaus markante Ergebnisse erbracht. Wenn man aber nur Stückzahlen aufruft, wie viele Festivals der unterschiedlichen Sparten gefördert werden, kommt das fiskalische Ungleichgewicht wenig zum Erscheinen. Und die Kultur steht vor finanziell schwierigen Zeiten. Die Crux der „Freiwilligen Leistungen“ wird mehr als blaue Flecken hinterlassen. Kommunale Kulturfördermittel werden absehbar arg einbrechen. Umso wichtiger die Kulturförderung der Länder.
Womit wir beim Geld wären. Von 16 Bundesländern haben uns 14 ihre Summen genannt, mit denen sie Klassik-, Jazz- und Rock/Pop-Festivals in den Jahren 2024 und 2025 gefördert haben und fördern. Lediglich Hessen und das Saarland haben uns trotz vier Wochen Reaktionszeit und nochmaliger Erinnerung nicht geantwortet. Transparenz öffentlicher Mittel?
Über 20 Millionen Euro Ländermittel für Festivals
Die „Festivalstudie“ des Bundes thematisiert die Daten des Jahres 2024. Mit diesen vergleichen wir unsere Recherche, haben aber auch die Werte für 2025 abgefragt. Mit 21,8 Millionen Euro förderten 14 Bundesländer 2024 insgesamt 630 Festivals (mit kleiner Fehlerquote in Bayern, dazu später mehr). Nordrhein-Westfalen wird in der Bundesstudie als das Land mit den meisten Festivals geführt: 325 an der Zahl als Spitzenreiter vor Bayern mit 303. Allerdings sieht sich NRW trotz Nachfrist nicht in der Lage, die Aufteilung analog zu den Bundeszahlen für Klassik, Jazz und Rock/Pop zu benennen. Das Land förderte 2024 aber 82 Festivals mit 2,7 Mio EUR aus dem Landeshaushalt – damit allerdings auch nur jedes Dritte.
Jazz & Pop unterrepräsentiert
Bereinigt um NRW gaben die anderen 13 Länder an, dass sie 2024 im Klassikbereich 269 Festivals mit 15,1 Millionen Euro gefördert hatten. 80 Jazz-Festivals kamen auf fast 1,5 Millionen Euro und 199 Rock-/Pop-Festivals wurden mit 2,5 Millionen Euro bedacht. Macht statistisch im Durchschnitt rund 56.000 Euro pro Klassikfestival, 18.500 Euro pro Jazz-Festival und rund 12.500 Euro pro Rock/Pop-Festival.
Zumindest eine fiskalisch auffallende Zahl – um nicht fast von einem Gap zu sprechen. Alle Detailzahlen in der oben stehenden Tabelle! Hervorhebenswert Rheinland-Pfalz, das von 83 der Studie bekannten Festivals 77 fördert! Umgekehrt erhalten in Mecklenburg-Vorpommern nur 8 von 52 Festivals Ländermittel. Oder in Sachsen nur 8 von 113. Unwuchten auch in anderen Ländern, für die der Platz hier nicht reicht.
In den Förderrichtlinien der Länder werden „kommerzielle“ Veranstaltungen durchwegs von der Förderung ausgeschlossen. Aber was ist ein „kommerzielles Festival“? Oder ab wann ist eine Veranstaltung „kommerziell“? Wenn man Tickets verkauft – und vorher logischerweise nicht weiß, wie viele Besucher tatsächlich kommen? Kein verantwortungsvoller Veranstalter kann so hellseherisch kalkulieren, dass er erst mit der letzten verkauften Karte auf Null kommt. Aber (scheinbarer) „Gewinn“ ist für Ministeriumsbeamte, die sich auf ihr Haushaltsrecht berufen, vergleichbar mit Feuer unter dem Dach. Die Erfahrung zeigt vielfach, dass Rock/Pop-Festivals per se als kommerziell angesehen werden.
Hier ein Beispiel zur Quadratur des Kreises im Ministeriumsdickicht. Aus einem dreiseitigen Ablehnungsbrief. Es sei „erforderlich, dass bereits dem Antrag vollständige und aussagekräftige Unterlagen zum Festival-Thema, zur Anzahl der Bands, zu Bandnamen und zu den Gagen pro Band beigefügt werden. Andernfalls kann leider nicht beurteilt werden, ob Künstlerinnen und Künstler sowie das Programm ein überregionales Publikum anziehen werden und die Gagen angemessen sind“. Einerseits wird für den Antrag also quasi eine vollständig abgeschlossene Planung verlangt. Andererseits schließt das Land in seinen Regularien eine Förderung aber aus, wenn bereits ohne Genehmigung eines so genannten „vorzeitigen Maßnahmebeginns“ mit der Vorbereitung begonnen wurde.
Festivals beispielsweise für den Sommer 2026 beginnen im konkreten Vorlauf bereits im Sommer 2025 und müssen in der Regel ihre Buchungen von Material, Personal und Künstlern bis Ende November in vertraglich trockenen Tüchern haben. Wer später kommt, erhält oftmals kein Equipment mehr, keine Security und auch Künstleragenturen buchen ein halbes Jahr und länger im voraus die Termine. Oder man zahlt horrende Kurzfristpreise auf alles!
Fördervorgaben reformbedürftig
Wenn dann zum Beispiel ein Land wie Bayern – inzwischen über den Bayerischen Musikrat – die Bewerbungsfrist für 2026 auf den 15. März 2026 definiert und einen Förderbescheid für die Sommermonate des Veranstaltungsjahres in Aussicht stellt, dann ist das – praxisfern. Aber Bayern ist nicht allein. Die Festivalstudie hat gezeigt, dass der weit überwiegende Zeitraum der Festivaldurchführung in den Monaten von Mai bis September liegt. Dem muss auch bei den Antragsregularien endlich Rechnung getragen werden. Die Initiative Musik gGmbH hat aus Bundesmitteln inzwischen ebenfalls einen „Festivalförderfonds“ für Jazz und Rock/Pop-Festivals. Damit kann zumindest noch etwas an Finanzierung on top draufgesattelt werden. 2024 waren das rund 4,4 Millionen Euro und 2025 bisher rund 3,7 Millionen Euro für alle Bundesländer. Und es wird per Festbetragsfinanzierung agiert! Fördervorgaben sind hier inhaltlicher Natur, wie Nachwuchspräsentation, Barrierefreiheit, Diversität – alles fiskalisch abgrenzbare Kosten. Und man kann bis zu 5 Prozent Overheadkosten in Ansatz bringen. Projektbeginn ist das Datum der Antragseinreichung (i.d.R. ca. Oktober des Vorjahres) und Projektlaufzeit bis Ende des Folgejahres/Festivaljahres (z.B. 31.12.2026). Das alles gehe konform mit den Richtlinien des Bundesverwaltungsamtes, so die Pressesprecherin.
Informationen zur Länderfestivalförderung auf einen Blick. NRW hat leider auch auf nochmalige Nachfrage hin, keine nach Genres getrennten Förderdaten genannt. Um die Einzelwerte nicht zu verfälschen, flossen die Werte daher nicht in die Übersichtstabelle ein. Tabelle: Bernd Schweinar
Inoffiziell wird uns das auch durch einen Dialog mit einer Person eines Landesrechnungshofes bestätigt. Dort heißt es: Wirtschaftsförderung wird üblicherweise auch an gewinnorientierte Kapitalgesellschaften wie GmbHs bewilligt. Hier würden genau abgegrenzte Projektkosten definiert und der Eigenfinanzierungsanteil aus dem Unternehmenskapital zusätzlich zur Landesförderung deklariert. Ähnliches sollte auch für Festivalfinanzierung möglich sein. Kosten etwa für eine Nachwuchsbühne oder ein Kostenanteil der Hauptbühne für die Nutzungsdauer von Nachwuchskünstlern könnten anteilig in einen Förderantrag eingerechnet werden. Werbung oder Security. ebenfalls alles anteilig. Berechnet zum Beispiel nach Auftrittsdauer oder Anteil der Newcomer am Gesamtprogramm. Der erforderliche Eigenfinanzierungsanteil würde vom Veranstalter verbindlich eingebracht (finanziert z.B. aus dem Ticketing). Das würde grob gesprochen auch in der Wirtschaftsförderung ausreichen. Warum nicht bei der Kultur? Wobei man sagen muss, dass sich im Popkulturbereich die Profiveranstalter vor dem Verwaltungsaufwand drücken. Denen sind Förderverfahren ohnehin vielfach zu bürokratisch und binden wichtige Personalressourcen.
Weitere Hürde: die Rückstellungsgelder. Ein Festival fällt schnell mal einem schweren Unwetter zum Opfer. Oder einer Pandemie. Bis hinauf zu mittleren Festivalkategorien sind Ausfallversicherungen viel zu teuer und kaum umlegbar. Ein Festivalausfall kann schnell zur Insovenz der Veranstalter führen. Laut Festivalstudie erzielten ohnehin nur 15 Prozent der angefragten Festivals Gewinn. Und 30 Prozent machten beim letzten Festival Verlust. All das will aufgefangen sein.
Dafür bilden auch gemeinnützige Vereine in der Regel zweckgebundene Rücklagen. Nur: bei (institutioneller) Landesförderung ist das nicht selten ein Förderhindernis.
Niedersachsen vorbildlich
Landesministerien verschanzen sich üblicherweise in ihren Richtlinien hinter Haushaltsregularien. Überjährigkeit? Ein Fremdwort. Selbst bei genehmigten Doppelhaushalten. Konstruktiv der Ansatz von Niedersachsen. In deren Richtlinien heißt es: „Der Antrag für eine Projektförderung im Jahr 2026 ist bis zum 15.10.2025 zu stellen.“ Und zum vorzeitigen Maßnahmebeginn heißt es dort weiter: „Gem. der Allg. Kulturförderrichtlinie gilt der vorzeitige Maßnahmebeginn mit Antragseingang über das Online-Antragssystem als genehmigt. Die Genehmigung ist der Eingangsbestätigungsmail zu entnehmen.“ Vorzeitige Ausgaben unterliegen natürlich dem Risiko der Antragssteller, dass der Antrag nicht bewilligt wird. So geht ein kleiner aber effizienter Verwaltungsschritt.
Apropos Verwaltung: trotz Hinweis durch die nmz auf die vom Popkulturverband gemeldeten Festivalzahlen benennt die bayerische Kulturverwaltung für 2024 eine Summe von 301.000 Euro für 123 Rock/Popfestivals und in 2025 einen Betrag von 350.000 Euro für gar 176 Rock/Popfestivals. Die jeweils rund 300.000 Euro stammen aus Mitteln der „Freie Szene“-Förderung und sind richtig. Aber der Popverband finanziert damit auch Einzelveranstaltungen und Netzwerktreffen zur Förderung des ländlichen Raums. Konkrete Festivalsumme sind lt. Popverband in Bayern für 2024: 19 Festivals mit 121.000 Euro und in 2025 deren 33 Festivals mit 180.000 Euro. In der bayerischen Verwaltung ist man über den zweiten Platz mit 303 Festivals in der Bundesstudie gleich so euphorisiert, dass man diese Anzahl mit den gemeldeten Festivals sogar noch toppt – und den nmz-Fehlerhinweis ignoriert. „Bavaria One“, könnte Markus Söder wieder sagen. Das Ministerium im O-Ton: „Die Bundesstudie zeigt, dass die bayerischen Festivals durch die staatliche Unterstützung auch in herausfordernden Zeiten sehr gut aufgestellt sind: 17 Prozent aller in die Wertung einbezogenen Musikfestivals in Deutschland finden im Freistaat Bayern statt. Lediglich Nordrhein-Westfalen – allerdings mit einer deutlich höheren Einwohnerzahl und deutlich mehr urbanen Strukturen – weist mit 19 Prozent einen marginal höheren Anteil auf – erst mit deutlichem Abstand folgen mit einem Anteil von jeweils 10 Prozent Baden-Württemberg und Niedersachsen auf den nächsten Plätzen.“
Betrachtet man die Tabelle der Länderfestivalförderung bleiben Fragen: Wer ist für dieses Ungleichgewicht der Förderung verantwortlich? Wie kam es dazu? Und warum hat niemand die Intention, dieses Ungleichgewicht zu nivellieren? Dient die kommende Haushaltskrise als Argument, um hier eine gebotene und ausgewogenere Finanzierung anzupacken?
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