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lte Gaslaternen und ein Vehikel aus der Zeit der ersten Autos – so alt ist „Der Doblinger“ schon!  Foto: © Doblinger

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… entweder ein Wirtshaus oder eine Musikalienhandlung … – traditionsreiches Wiener Musikhaus vor dem Aus?

Vorspann / Teaser

Musik – das braucht nicht nur ein Musikinstrument, einen Spieler, ein ganzes Orchester gar. Wenn man nicht gerade improvisiert, dann braucht man dazu Noten. Diese werden, wenn sie die Hände des Komponisten verlassen haben, in einem Verlag hergestellt und hernach in einem Musikaliengeschäft verkauft. Bereits zu Anfang des Jahres wurde der traditionsreiche Wiener Musikverlag Doblinger nach Großbritannien verkauft. Auch für das Ladengeschäft, das Musikhaus Doblinger, droht jetzt nach 200 Jahren das Aus – wegen eines Mietvertrages und einer Privatstiftung aus dem Umfeld eines Finanzdienstleistungsunternehmens.

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„Laufkundschaft hat das Musikhaus Doblinger nur wenig“, erzählt Michael Fischer, Vorstandsmitglied des Musikhauses. Obwohl das Musikhaus in der Dorotheergasse nur etwa eine Gehminute vom Stephansdom mitten im Zentrum von Wien entfernt ist, so liegt es eben doch in einer Nebenstraße. Auch die beiden dort gelegenen evangelischen Stadtkirchen schaffen im tiefkatholischen Wien keinen regen Besucherstrom. Ebenso wie das Auktionshaus Dorotheum, das in Literaten- und Künstlerkreisen beliebte Café Hawelka und das Trzesniewski („Die unaussprechlich guten Brötchen“) lockt das Doblinger nur Menschen an, die gezielt hierherkommen kommen wollen – und Touristen, denn alle diese Orte finden sich absolut zurecht in den aktuellen Wien-Reiseführern.

„Das Doblinger“ – wie es von Kunden gern genannt wird – ist eine musikalische Institution in der österreichischen Bundeshauptstadt und weit darüber hinaus. Seit über 200 Jahren gibt es sie schon – doch nun droht ihr durch die Kündigung ihres Mietvertrages das Aus. Wie es bei „Institutionen“ so ist, geht es hier um weitaus mehr nur als wirtschaftliche Interessen, den schnöden Mammon. Auch wenn sich im Musikalienhandel in den letzten Jahren etwa durch Kopiergeräte, Computer und Notentablets bei den möglichen Kunden von Musikgeschäften viel verändert hat, so ist das Doblinger trotzdem wirtschaftlich gesund und schreibt nach eigenen Angaben schwarze Zahlen. Wohl mit einem gewissen Stolz wird auf der Homepage verkündet, dass man eines der „umfangreichsten Notensortimente Europas mit Noten aus aller Welt“ im Angebot habe.

Wie in so vielen Kulturrichtungen gingen auch bei Doblinger während der Coronazeit die Zahlen bergab. Daher musste der Musikverlag Doblinger sich von seinem Musikhaus trennen. Das Musikhaus wurde verkauft und es kam zu einem Besitzerwechsel. Heute führt das Musikhaus, das in seinem angestammten Ladengeschäft in der Dorotheergasse verblieb, Andreas Lanner. Das Verlagsgeschäft des Musikverlages Doblinger, der im 1. Stock in der Dorotheergasse 10 residierte, verblieb zunächst in den Händen des Erben der Doblinger-Dynastie, Herrn Peter Pany.

Im Januar diesen Jahres verkaufte Pany den Musikverlag Doblinger an die „Wise Music Group“, die ihren Sitz in London hat. Hier beginnt nun das Problem: Der Mieter des Ladenlokals im Erdgeschoss und des Verlages im 1. Stock war zu dieser Zeit der Musikverlag Doblinger. Lanner mit seinem Musikhaus hatte – obwohl es sonst keine weiteren Verquickungen zwischen Musikverlag und Musikhaus mehr gab – einen Untermietvertrag beim Musikverlag. Dieser Untermietvertrag erlosch nach österreichischem Mietrecht wohl automatisch mit der Kündigung des Hauptmietvertrages.

Bis Juni 2025, so berichtet Fischer, sei seitens des Besitzers keine negative Meldung zu hören gewesen. Das Verhältnis zum Vermieter, der auch in diesem Haus wohnt, war ungebrochen gut. Man sei deshalb davon ausgegangen, dass das Musikhaus weiterhin in der Dorotheergasse bleiben könne. Die österreichische Kronenzeitung will erfahren haben, dass die Eigentümer des Hauses, eine Wiener Privatstiftung aus dem Umfeld eines Finanzdienstleistungsunternehmens, keinen weiteren Mietvertrag mit dem Musikhaus beabsichtige. Bis Ende des Jahres soll das Musikhaus nun ausgezogen sein.

200 Jahre

Begonnen hat alles am 1. August 1817. Damals hat ein gewisser Friedrich Mainzer im Eckhaus Dorotheergasse/Stallburggasse eine Musikalienleihanstalt gegründet. Mainzer war in Königsberg geboren worden, sein Vater Franz war dort Konzertmeister. Seiner Musikalienleihanstalt gliederte er 1825 eine Verkaufsabteilung an. Nach seinem Tod im Jahr 1836 fällt das Geschäft an seine geschiedene Frau Theresia, die es weiterführt. Nach ihrem Tod 1857 steht das Geschäft zum Verkauf und Ludwig Doblinger, dessen Namen das Geschäft bis heute trägt, übernimmt das Ruder.

Doblinger war 1809 als Sohn eines Gastwirtes im ländlich gelegenen Utzennaich in Oberösterreich geboren. Wir wissen von ihm, dass er 1843 bereits als Geschäftsführer der Antiquar-Musikalienhandlung von Franz Xaver Ascher in Wien tätig war. Dieser schrieb ihm in sein Dienstzeugnis, dass er „stets sehr täthig, ordnungsliebend und in jeder Hinsicht moralisch und verläßlich“ sei. Ein solches positives Dienstzeugnis gehörte neben finanziellen Sicherheiten zu den Grundvoraussetzungen, in Wien ein Geschäft führen zu dürfen.

150 Jahre

„Der Doblinger“ (also das Geschäft) machte eine große Reise durch die Wiener Innenstadt. Gegründet an der Ecke Dorotheergasse/Stallburggasse, verlegte es Theresia Mainzer in das Bürgerspital am Lobkowitzplatz. Ludwig Doblinger führte seine Musikalienhandlung und -leihanstalt zunächst in der Naglergasse, ab 1. März 1858 unter der Tuchlauben und ab 1. Mai 1858 in der Goldschmiedgasse. Hier begann er auch verlegerisch tätig zu werden. 1873 siedelte er sein kleines Unternehmen in der Dorotheergasse 10 an, wo es seitdem unter seinem Namen bis zum heutigen Tag zu finden ist – immerhin gut 150 Jahre.

Als sich Ludwig Doblinger 1876 zur Ruhe setzte, übernahm der erst 24-jährige Bernhard Herzmansky das Geschäft. Die Überlieferung erzählt, dass er mit seinen Eltern aus Böhmen nach Wien gekommen war, um „entweder ein Wirtshaus oder eine Musikalienhandlung“ zu betreiben. Herzmansky erweiterte sein Unternehmen um einen Verlag, der unter anderem die Werke so illustrer Komponisten wie Carl Michael Ziehrer, Franz Lehár, Anton Bruckner und Gustav Mahler verlegte (und im eigenen Ladenlokal natürlich auch verkaufte). Spätestens jetzt war Doblinger ein aktiver und namhafter Teil des Musiklebens – eine Erfolgsgeschichte!

1921 übernahm nach dem Tod des Vaters Bernhard Herzmansky jun. die Geschäfte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland wurde Herzmansky jun. verhaftet und saß in Wien und im Konzentrationslager Dachau ein. Sein Unternehmen, das aber weiter Bestand hatte, durfte er selbst nicht weiterführen. Erst nach dem Krieg durfte er dort wieder selbst tätig werden und das Unternehmen weiterentwickeln und modernisieren. In der Folge blieb „Der Doblinger“ in der Familie – Christian Wolff, ein Enkel von Herzmansky sen., übernahm die Führung, hernach der Enkel Helmuth Pany und ab 2009 der Urenkel Peter Pany. 2021 trennte Pany Musikhaus und Musikverlag und verkaufte das Musikhaus.

Ende eines kulturellen Zentrums?

Über 200 Jahre war das Musikhaus Doblinger ein zentraler Treffpunkt für Musiker aus aller Herren Länder und natürlich aus Wien. Das Doblinger ist eine Institution – wer in Wien und Umgebung Musik macht, etwas mit Musik zu tun hat, kommt früher oder später ins Doblinger: Ensemblemitglieder der großen Orchester, Chöre, Musikschüler und anderer Kulturbetriebe kaufen hier ihre gedruckten Noten und auch leere Notenblätter, um selbst Musik niederzuschreiben. Die einen machen darauf ihre Harmonie- und Kontrapunktaufgaben, der eine oder die andere wird vielleicht eines Tages ein bekannter Komponist werden. Mal ehrlich: Welches Geschäft verkauft sonst schon noch Notenblätter?

Derzeit lassen sich im Internet zahlreiche Aufrufe finden, die für einen Fortbestand des Musikhauses Doblinger kämpfen. Zwei Stimmen: Alfons Huber, der bis zu seiner Pensionierung langjährig Musikinstrumentenrestaurator in der „Sammlung Alter Musikinstrumente“ im Kunsthistorischen Museum in Wien war, bemerkt, dass es „den Doblinger, dieses einzigartige, weltberühmte Geschäft nicht mehr geben soll, weil kühl rechnende ‚Finanzentwickler‘ nur an Profitmaximierung und sonst nichts interessiert sind, will man nicht wahrhaben.“ Und etwas hilflos fügt er hinzu: „Gibt es in der ‚Welthauptstadt der Musik‘ keine politischen Kräfte, die so eine Kulturschande verhindern?“ Die Violinistin Mia Nova betont noch einmal, den Begriff „Kulturinstitution“ und fordert, dass diese „als fixer Bestandteil für die Musikwelthauptstadt Wien nicht der Profitgier einer Privatstiftung zum Opfer fallen“ darf. Sie sagt, was viele wohl denken: „Für uns Musikschaffende ist der Doblinger die letzte verbleibende Institution und muss bleiben.“

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Im Notenlager vom Musikhaus Doblinger kann man sich ganz schön verlaufen – so groß ist es. Ein kultureller Schatz! Foto: © Doblinger

Im Notenlager vom Musikhaus Doblinger kann man sich ganz schön verlaufen – so groß ist es. Ein kultureller Schatz! Foto: © Doblinger

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Umzug?

Was wird werden? Ein „Ein-Euro-Shop“? Ein Temu? Eine Bankfiliale? Ein Versicherungsmakler? Derzeit sind die Gerichte mit diesem Fall beschäftigt. Wie es ausgehen wird, ist bekanntermaßen (vor Gott und vor Gericht) immer offen.

Für das Team vom Doblinger steht viel auf dem Spiel. Der traditionelle Standort mitten im Herzen von Wien ist einzigartig – nicht nur aus geschäftlicher Sicht. Ein Umzug, so sagt es Fischer, ist aktuell kaum zu stemmen. Das Musikhaus verfügt im Moment über einen Lagerbestand von 430.000 Artikeln. Dafür müsste man zunächst einmal überhaupt geeignete neue Räume finden. Das diese in einer ähnlich guten und auch bezahlbaren Lage verfügbar sein könnten, scheint fast undenkbar, trotzdem ist man auf der Suche. Der Umzug würde etwa 300.000 Euro kosten – das übersteigt die Möglichkeiten des Betriebes deutlich, würde möglicherweise dazu führen, dass ein alteingesessenes Unternehmen, das deutlich schwarze Zahlen schreibt, quasi unverschuldet vor dem Ende einer 200-jährigen Geschichte und einer mindestens ebenso langen Zeit, in der man diese Institution benötige würde, steht.

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„Der Doblinger“ ist offen für alle Musikrichtungen – das macht ihn als Musikalienhandlung so anziehend. Foto: © Doblinger

„Der Doblinger“ ist offen für alle Musikrichtungen – das macht ihn als Musikalienhandlung so anziehend. Foto: © Doblinger

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