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Können Computerspiele Kunst sein?

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Transkript der Onlinedebatte

Gestern Nachmittag diskutierten Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und Olaf Zimmermann in der Online-Debatte der Bundeszentrale für politische Bildung eine Stunde lang live über die Frage, ob Computerspiele Kunst sein können.

Zu den Personen

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Jahrgang 1949, studierte Rechtswissenschaften und Geschichte in Bonn und Lausanne. Bevor er im Jahr 2005 Staatssekretär Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen wurde, war er dreizehn Jahre lang Kulturdezernent der Landeshauptstadt Düsseldorf.

Olaf Zimmermann, geb 1961 in Limburg a.d. Lahn ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber der Zeitung des Deutschen Kulturrates "Politik und Kultur". Zudem ist Zimmermann seit 2003 Mitglied der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages.


Chat Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff & Olaf Zimmermann

Moderator: Herzlich willkommen zum zweiten Chat der Online-Debatte "Verbotene Spiele?" der Bundeszentrale für politische Bildung. Heute (Dienstag, 11. September), von 16 Uhr bis 17 Uhr diskutieren Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Staatssekretär für Medien in Nordrhein-Westfalen, und Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des deutschen Kulturrates an dieser Stelle live über die Frage "Freie Rede, freie Kunst?"

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ja.

Olaf Zimmermann: Absolut. Kann losgehen!


Moderator: Zum Anfang möchte ich beide Diskussionsteilnehmer um ein kurzes Statement bitten: Wie ist Ihre Position zum derzeit diskutierten Verbot von so genannten "Killerspielen"?

Olaf Zimmermann: Gerne. Killerspiele sind ja nur ein kleiner Teil der großen Familie der Computerspiele. Verboten werden sollten nur Spiele, die wirklich so gewaltverherrlichend sind, dass sie Kindern und Jugendlichen und sogar Erwachsenen nicht zugemutet werden können. Das sind aber glücklicherweise nur sehr, sehr wenige Spiele.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich bin für ein Verbot von Computerspielen, die grausame oder unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt - so die Definition des Strafgesetzbuches.

Moderator: Gut, dann lassen Sie uns gleich in die Diskussion einsteigen. Diesem Chat ging ja bereits ein öffentlicher Argumentenaustausch zwischen unseren Gästen voraus. Deshalb die Einstiegsfrage: Inwieweit sind Computerspiele Kunst?

Olaf Zimmermann: Wenn eine Idee materialisiert wird und diese Materialisierung auch noch eine gewisse Gestaltungshöhe hat, dann sprechen wir im Kulturbereich davon, dass das, was entsteht, Kunst ist. Das gilt für Filmkunstwerke, die ein Drehbuch haben und aus diesem Drehbuch entsteht dann der Film. Aber das gilt selbstverständlich auch für Computerspiele, die auch eine Art Drehbuch haben. Und wenn sie eine gewisse Gestaltungshöhe haben, ist das Endprodukt ein Kunstwerk. Ob etwas Kunst ist, hat nichts formal mit der Qualität zu tun oder mit dem Geschmack, dass jemand das Werk gut oder weniger gut findet. Das hat nur etwas mit der Gestaltungshöhe zu tun und deswegen gibt es Computerspiele, die eindeutig zur Kunst zur zählen sind. Aber es gibt natürlich auch Computerspiele, die diese Gestaltungshöhe nicht erreichen. Diese sind dann keine Kunstwerke. Trotz alledem entstehen diese Werke im Kulturbereich. Denn die Computerspielentwickler, und auch diejenigen die Computerspiele produzieren, gehören zu dem großen Bereich der Kulturwirtschaft.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich bin nicht der Meinung, dass ein Computerspiel per se Kunst darstellt, sondern eben eine gewisse Gestaltungshöhe haben muss. Natürlich darf es bei der Beurteilung der Kunst durch das Recht nicht um Qualität gehen, aber doch um die gewisse Gestaltungshöhe. Denn sonst wäre ja auch jedes Pornoheft und jeder Porno Kunst, oder ist Herr Zimmermann dieser Meinung? Ein Killerspiel legt für mich a priori die Frage nach der Gestaltungshöhe nahe. Was treibt Sie dazu, Herr Zimmermann, ausgerechnet mit Unterstützung der Computerspielindustrie in Ihrem Magazin Politik und Kultur auch für Killerspiele die Freiheit der Kunst zu fordern, anstatt dies zunächst einmal nur auf andere Computerspiele zu beziehen?

Moderator: Dann gerne gleich zum Thema Killerspiele - möchten Sie etwas entgegnen, Herr Zimmermann?

Olaf Zimmermann: Herr Grosse-Brockhoff, wir sind uns also einig, dass Computerspiele auch Kunst sein können, wenn sie eine gewisse Gestaltungshöhe haben. Das gilt soweit auch für Pornografisches. Auch Pornografisches kann eine gewisse Gestaltungshöhe haben. Moralfragen haben bei Frage oder der Definition nach dem was Kunst ist, keine Rolle zu spielen. Ihre Behauptung, dass die Computerspielindustrie den deutschen Kulturrat quasi unterstützt hat, ist nicht richtig. Für mich ist das Thema Computerspiele und Kulturmarkt ein wichtiges Thema. Es hat nie eine wie auch immer geartete Unterstützung der Computerindustrie bei meinen Veröffentlichungen gegeben. Es wundert mich aber schon ein wenig, dass gerade Sie als ein Vertreter der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen sich so vehement gegen die Computerspielindustrie wenden, wo doch gerade ihr Ministerpräsident alles unternimmt, um die Computerspielindustrie an den Rhein zu ziehen und Sie ja auch gerade versuchen, die überaus erfolgreiche Computerspielmesse in Leipzig nach Köln zu ziehen. Also man wird sich entscheiden müssen, was man will. Entweder Computerspiele sind Schund. Dann darf es auch nicht nach Nordrhein-Westfalen gezogen werden. Oder es handelt sich bei Computerspielen um einen wichtigen Teil des Kulturmarktes. Dann ist es richtig, dass sich ihr Ministerpräsident um diesen Markt bemüht.

Moderator: Ein Einwand und die Bitte auch einer Entgegnung auf Herrn Zimmermann:

Schandmaul: Gilt laut Grundgesetz nicht etwas als Kunst, wenn es einen schöpferischen Prozess beinhaltet?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Das ist mir zu billig und zu primitiv: Sie werfen alles in einen Topf. Noch nie habe ich mich gegen Computerspiele ausgesprochen. Aber wogegen ich mich mit aller Entschiedenheit und Schärfe bis hin zur Rücktrittsforderung an Sie wende, ist die Tatsache, dass Sie generell auch für Killerspiele die Freiheit der Kunst fordern und völlig abwegig den Vergleich mit Gewaltdarstellungen in der Literatur und in Theaterstücken vergangener Jahrhunderte, ja bis zu Bibel zurückgehend ziehen. Außerdem frage ich Sie, wieviel Euro hat der deutsche Kulturrat oder der Verlag etc. von Politik und Kultur für Anzeigen und ähnliche Leistungen der Computerspielindustrie erhalten?

Olaf Zimmermann: Nun, lieber Herr Grosse-Brockhoff. Rüsten Sie doch mal ein bisschen ab. Wenn man anderer Meinung ist, braucht man ja nicht gleich den Rücktritt des Anderen fordern. Zum Beispiel darüber, dass ich nie gesagt habe, dass die Gestaltungsfreiheit auch für Killerspiele gelten sollte. Aber selbstverständlich kann auch ein gewalthaltiges Spiel eine solche Gestaltungshöhe haben, dass es Kunst ist und dass man es auch nicht einfach verbieten kann. So nebenbei spielt Gewalt in der Kunst eine sehr große Rolle. Schauen Sie sich einmal das hervorragende Drama "Titus Andronicus" von Shakespeare an. Die letzte Aufführung sah ich schon vor zirka einem Jahr im Deutschen Theater in Berlin. Eine hervorragende Aufführung. Aber heute noch werde ich manchmal nachts wach, weil ich von diesem unglaublich gewalthaltigen Stück Alpträume habe. Also Gewalt gibt es in der Kunst und die Wirkung von Gewalt in einem Theaterstück und die Wirkung von Gewalt in einem Computerspiel kann vergleich bar sein. Wichtig für mich ist, dass nicht einfach das Verbieten der richtige Weg ist, sondern dass man versucht, analytisch mit dieser Frage umzugehen. Das nur zum Abschluss, auch wenn ich es zum Hunderttausendsten sagen muss: Wir haben kein Geld von der Computerspielindustrie bekommen. Weder in Form von Anzeigen oder einer anderen Form von Zuwendung. Es ist erstaunlich, dass Sie sich überhaupt nicht vorstellen können, dass man auch einer anderen Meinung als Sie sein kann, ohne dass man bestochen worden ist.

Sukram71: Warum erzeugt ein Computerspiel "eine ganz andere (gefährlichere?) Scheinrealität"? Wie kommt man zu so einer Aussage? Ist das eigene Erfahrung? Mich bewegen Filme und Bücher emotional viel mehr.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Im Computerspiel habe ich viel weniger Abstand als vergleichsweise zur Bühne oder zum gelesenen Buch, weil ich eine viel größere eigene Freiheit in der Ausmalung von Szenen durch die eigene Fantasie habe, als wenn ich bei einem Killerspiel nur auf einen Knopf drücken muss und treffen muss, um das Geräusch eines platzenden Menschenkörpers zu vernehmen. Beim Killerspiel bin ich Bestandteil des Systems und habe kein "Du" als Gegenüber wie z.B. einen Schauspieler oder eine Figur in einem Roman. Außerdem ist im Theater und im Buch eine wertebezogene Deutung stets inbegriffen.

Olaf Zimmermann: Das Schöne an medialen Erscheinungen: Ob ich ein Buch lese oder ein Theaterstück sehe, mir einen Film anschaue, ein Computerspiel anschaue, die Wirkung ist von Mensch zu Mensch verschieden. "Titus Andronicus" hat mich bis in den letzten Nerv berührt und lässt mich nicht los. Die Gewaltdarstellungen der Schauspieler auf der Bühne sind für mich immer noch gegenwärtig. Kein Computerspiel, was ich je gespielt habe - und ich meine damit auch kein gewalthaltiges Computerspiel - das ich gespielt habe, hat mich nur annähernd so berührt und beschäftigt.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber "Titus Andronicus" hat Sie in der Gewaltanwendung berührt und nicht, wie bei der Anwendung von Gewalt, durch Knopfdruck befriedigt - das ist der entscheidende Unterschied!

Olaf Zimmermann: Aber es ist eben Ihr Empfinden, Herr Grosse-Brockhoff. Und es muss nicht für alle dasselbe sein. Ihr persönliches Empfinden reicht nicht aus, um Spiele verbieten zu lassen. Glücklicherweise hat der Gesetzgeber im Strafgesetzbuch §131 klar gesagt. wann ein gewalthaltiges Computerspiel verboten werden muss. Aber das bedeutet umgedreht auch, dass Spiele, die nicht diesen engen Regeln unterliegen wie gewalthaltige Spiele, für Erwachsene zugänglich dürfen. Für Kinder und Jugendliche gibt es auch vernünftiger Weise eine erheblich engere Definition. Und ich bin sehr dafür, dass diese strikt eingehalten wird und dort, wo es Lücken gibt, diese auch geschlossen werden.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich bleibe dabei: Es ist ein struktureller und grundsätzlicher Unterschied. Und wenn Sie den nicht begreifen, sind Sie in der Tat falsch am Platze.

Olaf Zimmermann: Aber ihre persönliche Vorliebe oder ihre persönliche Ablehnung kann nicht dazu führen, dass Spiele erlaubt oder verboten werden.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber deswegen sind Killerspiele, die nicht die Voraussetzungen des §131 erfüllen, nicht automatisch bereits Kunst.

Olaf Zimmermann: Sorry, Herr Grosse-Brockhoff. Noch einmal: Das habe ich ja auch nie gesagt. Nicht alle Killerspiele sind Kunst. Kunst ist das, was Kunst ist und Killerspiele können auch Kunst sein.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber warum fordern Sie dann in dieser Intensität die Freiheit der Kunst auch für solche Computerspiele, die Gewalt enthalten?

Olaf Zimmermann: Ich fordere, dass die Freiheit für Kunst, die im Grundgesetz Artikel 5 festgeschrieben ist, selbstverständlich auch für die Spiele gilt, die Kunst sind. Nicht mehr und nicht weniger.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Warum formulieren Sie das dann nicht auch öffentlich so?

Olaf Zimmermann: Lieber Herr Grosse-Brockhoff. Das habe ich doch alles so öffentlich gesagt, aber ich denke, wir sollten jetzt auch in der Debatte ein bisschen weiterkommen. Computerspiele haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Am Anfang waren Sie auch von ihrer Gestaltung her sicherlich nur Spiele für junge Leute und wurden fast ausschließlich von Männern gespielt. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Immer mehr Erwachsene, Ältere, Rentner spielen Computerspiele und glücklicherweise kommen auch immer mehr Frauen auf den Geschmack, Computerspiele zu spielen. Das ist gut so, denn Computerspiele sind längst zu einem kulturellen Phänomen unserer Gesellschaft geworden. Und deswegen werden sie in der Zukunft in unserer Gesellschaft auch immer mehr von Männern und Frauen aller Gesellschaftsschichten gespielt werden.

Moderator: Kommen wir zu den Userfragen, die bereits vorher gestellt werden konnten:

Patrick_Portz: Werden Computerspiele von Kritikern nicht generell als Kinderspiele wahrgenommen, um die Existenz/Legitimation von Erwachsenenspielen zu negieren/ignorieren und explizite Erwachseneninhalte moralisierend als für Kinder gedachte zu deklarieren?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich verstehe die Userfrage von Patrick_Portz nicht.

Moderator: Ich denke, die Frage geht in die Richtung, warum der Jugendschutz zu einem Verbot für Erwachsene führen soll.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich glaube, dass man hier differenzieren muss: Der Jugendschutz ist das Eine und die allgemeine Strafbarkeit nach §131 StGb ist die generelle Seite. Beides sollte man in der Tat nicht miteinander verwechseln oder verwischen, Es gibt Killerspiele, die dem §131 widersprechen und daher AUCH unter den Jugendschutz fallen. Und umgekehrt gibt es solche Spiele, die nur unter den Jugendschutz fallen, aber nicht gegen §131 verstoßen. Mit Freiheit der Kunst hat beides nicht zu tun, denn diese findet ihre Grenzen in §131 und dem Jugendschutz.

Moderator: Kommen wir zur Frage mit den zweitmeisten Stimmen:

Sukram71: Wäre es möglich, dass diese Diskussion stattfindet, weil die ältere Generation dieses Medium mangels eigener Erfahrung nicht versteht und weil man sich daher damit gut bei älteren Wählern und konkurrierenden Medien profilieren kann?

Olaf Zimmermann: Das ist natürlich ein wirkliches Problem. Die heute in der Politik Verantwortlichen sind nicht mit dem Computer oder mit Spielkonsolen aufgewachsen. Sie benutzen heute den Computer als Arbeitsgerät im Büro, können sich aber sehr oft überhaupt nicht vorstellen, dass der Computer auch etwas ganz anderes als ein Arbeitsgerät, nämlich ein Spaßgerät sein kann. Die Jüngeren kennen diesen Unterschied nicht mehr zwischen Arbeitsgerät und Spaßgerät und nutzen den Computer viel selbstverständlicher, als die ältere Generation.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ein Spaßgerät, das jede Sauerei erlaubt?

Olaf Zimmermann: Ja, ich glaube es ist richtig, dass es nicht Wenige gibt, die heute über das Verbot von Computerspielen zu entscheiden haben, die selbst über keine ausreichenden Erfahrungen beim Computerspielen verfügen.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber dennoch können diese alten Säcke, wie ich, durchaus Recht haben, wenn sie - wie zu allen Zeiten die ältere Generation - auf die Grenzen und die Gefahren hinweisen. Die Gesellschaft würde nicht mehr funktionieren, wenn die Alten nur noch schweigen würden. Vielleicht hat Herr Zimmermann ja ein Alterstrauma, dass er sich bei der Jugend so ranschmeißt.

Olaf Zimmermann: Niemand will, dass die Alten schweigen. Ich selbst bin ja nur zwölf Jahre jünger als Sie.Aber dass sich die Alten informieren, bevor sie als verantwortliche Politiker zum Verbot von Computerspielen aufrufen, das kann man erwarten und diese Verantwortung haben Politiker in dieser Gesellschaft auch.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Das ist ja wohl eine Plattitüde und ändert nichts daran, dass ich Ihre Vorgehensweise für schlicht und ergreifend verheerend halte.

Moderator: Kommen wir zur nächsten Userfrage:

user: Im Gegensatz zu den Jugendschutzbestimmungen im Hinblick auf mediale Gewaltdarstellungen benennt der Gesetzgeber keinen expliziten Schutz der erwachsenen Bevölkerung, respektive der Gesamtgesellschaft vor diesen Darstellungen. Wozu also Erwachsenenschutz?

Olaf Zimmermann: Natürlich gibt es auch einen Erwachsenenschutz, aber wie Sie richtig sagen ist dieser Erwachsenenschutz ganz eng begrenzt. Man muss schon gegen das Strafgesetzbuch verstoßen, um quasi etwas verboten zu bekommen, als Erwachsener zu tun. Ich habe ein großes Problem damit, dass wir einerseits sagen, die Menschen sind mit 18 Jahren volljährig, sie dürfen wählen gehen, sie dürfen zur Bundeswehr gehen, sie dürfen unsere Freiheit (das meine ich ohne jede Form von Ironie) in Afghanistan verteidigen, aber andererseits sagen, bestimmte Computerspiele dürfen sie als Erwachsene nicht spielen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Erwachsene auch ein Recht auf Schund haben. Und wenn ich ein schlechtes Computerspiel, ein dümmliches, gewalthaltiges Computerspiel spielen möchte, dann darf ich das spielen, außer es widerspricht den deutschen Strafgesetzen. Aber wenn es diesen nicht widerspricht, gehört dies zu meinen Freiheiten als Erwachsener, dieses Spiel zu spielen. Aber nicht als Kind, nicht als Jugendlicher.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Das ist Neoliberalismus pur! Vor einem Staat á là Zimmermann fürchte ich mich in der Tat! Denn noch haben wir gemeinsame Werte, wie sie zum Beispiel in §131 als Erwachsenenschutz normiert sind. Im Übrigen: Wenn Sie denn ein Recht auf Schund fordern, wofür ich in der Tat wenig Verständnis habe, dann müssen Sie dafür nicht auch noch die Freiheit der Kunst fordern.

Moderator: Eine Frage mit der Bitte um Antworten von beiden Gästen, vielleicht zuerst Herr Zimmermann?

Beretta: @Grosse-Brockhoff: Bei welchem neuen Medium hatten die "Alten" mit ihren "Warnungen" denn in der Geschichte mal Recht?

Olaf Zimmermann: Zuerst bitte noch eine kurze Antwort auf Herrn Grosse-Brockhoff: Das ist kein Neoliberalismus. Das ist einfach die Freiheit in unserer Gesellschaft.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Es geht ja nicht darum, das Medium des Computerspiels selbst für schlecht zu halten, sondern nur um bestimmte Auswüchse.

Olaf Zimmermann: Und damit wir in der Zukunft sicherstellen können, dass es weniger Schund bei den Computerspielen gibt, bin ich sehr dafür, dass wir die guten Spiele fördern, damit sie einen Wettbewerbsvorteil vor den schlechten Spielen - dem Schund – haben.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Die erste Idee halte ich für gut, aber warum der Staat gleich wieder gerufen werden muss, um auch in eine solche Förderung einzusteigen, kann ich nicht nachvollziehen. Dafür sorgen Sie ja mit Ihrem Blatt schon zur Genüge!

Olaf Zimmermann: Aber wir machen es doch im Kulturbereich immer so. Sie in NRW, auf der Bundesebene, überall in Deutschland machen wir es so, dass die öffentliche Kulturförderung hauptsächlich eine staatliche Kulturförderung ist. Und wenn wir gute Kinofilme haben wollen, entwickeln wir eine öffentliche Filmförderung. Wenn wir gute Theateraufführungen haben wir wollen, geben wir mehr Geld in die Theater und Opernhäuser. Warum sperren Sie sich gegen eine öffentliche Förderung von guten Computerspielen?

Moderator: Wir sind kurz vor Schluss: Zeit für ein Schlusswort unserer Gäste. Herr Grosse-Brockhoff, wollen sie den Anfang machen?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Weil Sie und die Computerspielwirtschaft doch zur Genüge bewiesen haben, wie das der nicht-staatliche Bereich selbst bewerkstelligen kann.

Moderator: Noch kurz zum Schlusswort?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nichts Neues im Westen aus dem Osten angekommen! Danke!

Olaf Zimmermann: Ich habe mich gefreut, über dieses strittige Thema zu reden, denn nur wenn man darüber diskutiert, kann man in einer demokratischen Gesellschaft zu neuen Erkenntnissen kommen.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

Olaf Zimmermann: Verbieten alleine nützt niemandem etwas. Lassen Sie uns also weiter miteinander über den richtigen Weg streiten.

Moderator: Das waren 60 Minuten Live-Chat in der Online-Debatte "Verbotene Spiele?" der Bundeszentrale für politische Bildung. Vielen Dank an unsere Gäste für die kontroverse Diskussion und vielen Dank auch an die User. Das Chat-Team wünscht noch einen schönen Tag und entschuldigt sich bei den vielen Usern, deren Fragen wir den Gästen aus Zeitgründen und aus dem Diskussionsfluss heraus nicht stellen konnten.
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