Vortrag von OLaf Zimmermann auf der Tagung der Bundes-SGK 29.06.01
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
den Referenten wurden in diesem Forum drei Fragen aufgegeben, und zwar:
* wie sich die Hochkultur in die Stadtgesellschaft öffnen lässt,
* wie die Kulturpolitik Kristallisationskerne kulturellen Lebens, so auch die Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger, befördern kann,
* wie die Kulturpolitik Beschäftigungspotenziale des Kultur- und Freizeitsektors entwickeln kann?
Lassen Sie mich, bevor ich diese Themen nacheinander versuche zu bearbeiten, einen kurzen Rückblick auf die Kulturpolitik der letzten Jahrzehnte werfen.
Dieser Rückblick erscheint mir darum erforderlich, weil ich davon überzeugt bin, dass die Kulturpolitik erneut an einem Scheidepunkt steht. An einem Scheidepunkt, bei dem es um mehr geht, als um die Frage ob die Oper weniger und das soziokulturelle Zentrum mehr an öffentlichen Haushaltsmitteln bekommt. Einem Scheidepunkt, an dem die Kulturpolitik für sich klären muss, ob sie sich weiterhin als Gesellschaftspolitik verstehen oder stärker auf die Künste beziehen will.
Eine der wichtigsten Veränderungen in der Kulturpolitik der Nachkriegszeit war in der alten Bundesrepublik die „neue Kulturpolitik“, die Anfang der 70er Jahre begründet und von Kulturpolitikern wie Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser in die Tat umgesetzt wurde.
Die neue Kulturpolitik trat mit dem Anspruch an, die vorherige an den Künsten ausgerichtete Kulturpolitik zu öffnen. Kultur sollte breiten Schichten zugänglich gemacht werden. Kulturpolitik sollte nicht mehr nur der Bewahrung dienen. Kulturpolitik sollte neue Ausdrucksformen ermöglichen, sollte eine Brücke zwischen Bildung, Kultur und Sozialem schlagen.
Der weite Kulturbegriff, wie er schließlich auch in der UNESCO-Dekade für kulturelle Entwicklung festgelegt wurde, ist eine konsequente Entwicklung aus der neuen Kulturpolitik. Der weite Kulturbegriff zeigt auch, dass Deutschland mit der Öffnung der Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik in einem internationalen Kontext stand.
Im Zuge der „neuen Kulturpolitik“ erhielt die Kulturverwaltung eine neue Rolle. Verwaltung sollte Kultur ermöglichen. Verwaltung sollte sicherstellen, dass die Partizipation vieler auch tatsächlich umgesetzt werden kann.
Manchmal konnte man schon fast den Eindruck gewinnen, als betrachtet sich die Kulturverwaltung deshalb selbst als ein Teil des Kulturbetriebs.
Diese Entwicklung erhielt einen weiteren Schub durch die Einführung der neuen Steuerungsmodelle in den 90er Jahren. Nachdem sich zeigte, dass die Geldmittel nicht beliebig vermehrbar sind, galt es, die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen. Nachdem unübersehbar wurde, dass aufgrund der zahlreichen neuen Kultureinrichtungen der Kuchen der Kulturfinanzierung in mehr Stücke geteilt werden musste, mussten Kriterien der Mittelzuweisung neu entwickelt werden.
Mit der Einführung neuer Steuerungsmodelle haben die Kultureinrichtungen ihr Angebot in Produkten dargestellt. Von den Einrichtungen wurden Kennzahlen zur Messung ihres Leistungen erarbeitet. In groß angelegten Vorhaben wurden die Kommunen miteinander verglichen, die Benutzerzahlen von Bibliotheken wurden zu wesentlichen Größen. Ebenso erhielten die Besucherzahlen von Theatern und Museen einen neuen Stellenwert in der kulturpolitischen Diskussion.
Dies alles war und ist erforderlich, um die Finanzpolitiker immer wieder davon zu überzeugen, dass die Kultureinrichtungen auch tatsächlich genutzt werden und daher die Kulturfinanzierung gut angelegtes Geld ist.
Die neueste kulturpolitische Diskussion nun scheint die Bürgerinnen und Bürger entdeckt zu haben und zwar nicht mehr nur als Nutzer von Einrichtungen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich vielmehr engagieren, sie sollen ehrenamtlich aktiv werden, sie sollen in Fördervereinen Geldmittel zur Verfügung stellen und am besten noch eine Stiftung zur Unterstützung der Kultur gründen.
Das Optimum wäre, so ist zumindest mein Eindruck, überspitzt gesprochen, wenn sie dies alles unter Anleitung der Verwaltung täten.
So kommt es nicht von ungefähr, dass der aktivierende Staat zu einem wichtigen Ziel erklärt, die Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung anzuregen.
Und so ist es sicherlich auch kein Zufall, dass wir uns in diesem Forum mit der Frage auseinandersetzen, wie durch kommunale Kulturpolitik das Engagement der Bürgerinnen und Bürger befördert werden kann.
Doch lassen Sie mich vor der Beantwortung dieser Frage, den Sachverhalt noch ein wenig weiter sortieren.
Dazu möchte ich zuerst die Frage stellen, was kann Kulturpolitik überhaupt? Was kann und was sollte Kulturpolitik leisten?
Meines Erachtens ist eine wesentlichen Aufgaben von Kulturpolitik die Rahmenbedingungen so zu gestalten,
dass die Künstlerinnen und Künstler arbeiten können,
* dass die Kulturwirtschaft künstlerische Produkte verwerten kann,
* dass die Kultureinrichtungen den Anschluss an die aktuelle Kunst nicht verlieren und diese ebenso wie das Repertoire präsentieren,
* dass die Laien, d.h. zum Beispiel die vielen Chöre und Orchester, die Autorengruppen und andere, Orte zur Verwirklichung ihres Freizeitvergnügens finden.
Kulturpolitik macht weder Kultur, noch sollte sie sich in die Kultur einmischen. Kulturpolitik tut meines Erachtens gut daran, sich aus der direkten Verantwortung für Kultureinrichtungen herauszuhalten.
Sehr wohl muss Kulturpolitik aber Kriterien entwickeln, nach denen die eine Einrichtung gefördert wird und die andere nicht. Diese Kriterien müssen vor allem zwei Fragen stellen:
die Frage nach der Qualität des Angebots,
die Frage nach der Resonanz auf das Angebot.
Beide Fragen sind eng aufeinander bezogen. Öffentlich geförderte Einrichtungen müssen meines Erachtens besonders strenge Anforderungen an die Qualität ihres Angebotes stellen, da ansonsten zurecht die Frage aufgeworfen wird, warum gefördert wird. Sie dürfen aber nicht aus dem Auge verlieren, dass ihr Angebot auch genutzt werden muss.
Anders ausgedrückt, ein Museum darf an sich selbst nicht nur den Anspruch stellen, wissenschaftlich auf höchstem Niveau zu arbeiten und die Objekte nach wissenschaftlichen Kriterien zu präsentieren. Ein öffentlich gefördertes Museum muss sich auch die Frage gefallen lassen, wie es von den Besuchern angenommen wird.
Stößt ein Haus auf keine Resonanz, ist es selbst an verregneten Wochenenden gähnend leer, besteht die Auslastung nur aus Schulklassen, die zwangsrekrutiert werden, dann muss die Kulturpolitik handeln. Die in dem Haus Verantwortlichen müssen ihr Konzept erläutern und sie müssen in die Lage versetzt werden, ihr Konzept zu ändern. D.h. es müssen auch Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit Veränderungen umgesetzt werden können.
Die Verantwortlichen in den Einrichtungen müssen also zur Verantwortung gezogen werden, dass ihr Angebot angenommen wird.
Was ich für die Museen gesagt habe, lässt sich auf andere Kultureinrichtungen übertragen.
Zugleich sind öffentlich geförderte Einrichtungen sich der künstlerischen Innovation zu öffnen. Dies gilt in besonderem Maße für die Einrichtungen der so genannten Hochkultur. Ein Theater darf nicht ausschließlich Schiller, Mozart, Wagner oder andere Autoren und Komponisten spielen.
Die zeitgenössische Kunst aller Sparten muss ihren Ort in den öffentlich geförderten Einrichtungen finden. Sie dürfen nicht zu musealen Tempeln werden, die sich nur dem Erbe widmen. Die zeitgenössischen Künsten müssen dort ihren Platz haben.
Wer dieses, so wie ich, fordert, muss es aber auch ertragen können, wenn das Angebot als elitär gescholten wird. Die Kulturpolitik muss ertragen können, dass die Auslastung der Kultureinrichtungen mitunter nicht stimmt.
Kunst, gerade zeitgenössische Kunst, trifft oftmals bei nur wenigen auf Gegenliebe. Es wäre aber fatal, wenn wir deshalb nur noch das Repertoire pflegen würden.
Ich denke vielmehr, dass die Verantwortlichen in den Einrichtungen ermutigt werden müssen, eine Mischung von Repertoire und Innovation anzubieten. Und ich bin überzeugt, dass ein solches Angebot auf Zustimmung stößt.
Ich möchte damit sogleich die erste Frage beantworten, nämlich die, wie sich die Hochkultur in der Stadtgesellschaft öffnen lässt.
Die so genannte Hochkultur, d.h. Theater, Orchester und Museen muss selbst um ihr Publikum werben. Sie stehen dabei vor der Herausforderung, dem Publikum das zu geben, was es sucht, nämlich etwas wiederzuerkennen, sich zu erinnern. Sie müssen das Publikum zugleich verführen, sich auf das Unbekannte einzulassen.
Und die Kulturpolitik muss so klug sein, solche Verführer als Leiter von Einrichtungen zu finden und für die Einrichtungen in ihrer Stadt zu verpflichten.
Kommen wir zur zweiten Frage, die ich mit etwas anderen Worten mit der Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements umschreiben will.
Ich denke, es ist eine ganz wichtige Aufgabe der Kulturpolitik, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken. Und die beste Form der Stärkung ist meines Erachtens dieses Engagement tatsächlich ernst zu nehmen und sich möglichst wenig einzumischen.
Das kulturelle Leben gerade im ländlichen Raum wird durch bürgerschaftliches Engagements getragen. Zahlreiche Museen werden rein ehrenamtlich betrieben, Menschen spielen Theater, singen, tanzen. Sie machen in einem Förderverein für eine Einrichtung mit, sie organisieren Lesungen. Fast aus jeder künstlerischen Sparte lassen sich zahlreiche Beispiele für das Engagement der Bürgerinnen und Bürger finden.
Bürgerschaftliches Engagements im Kulturbereich muss also nicht erst erfunden werden. Es muss vielmehr wahrgenommen und ernstgenommen werden.
Bürgerinnen und Bürger, die etwas umsetzen wollen, dürfen nicht geschurigelt werden. Die Spießigkeit von so manchem Engagement darf nicht verurteilt werden.
Bevor über neue Engagementformen nachgedacht wird, tut die Kulturpolitik meines Erachtens gut daran, die Menschen, die sich bislang engagieren als Gesprächspartner anzunehmen. Und die Politik tut gut daran, der Verwaltung zu verdeutlichen, dass dieses Engagements ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen Lebens ist.
Die dritte gestellte Frage in diesem Forum zielt auf die Beschäftigungswirkungen von Kultur und Freizeit.
Ich möchte diese Frage mit der nach dem bürgerschaftlichen Engagement verbinden und zwar deshalb, weil oftmals als ein Ausweg aus den hohen Personalkosten in den Kultureinrichtungen das bürgerschaftliche Engagement genannt wird. Gerade Bibliotheken werden hier als Beispiel genannt.
Zunächst ist festzuhalten, dass es durchaus ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial an Personen gibt, die sich gerne in Kultureinrichtungen engagieren wollen. Senioren, die geistig rege und ökonomisch versorgt sind, arbeiten gerne in Bibliotheken mit. Wer dieses befördern will, muss sich aber auch darüber klar sein, dass das hauptamtliche Personal im Umgang mit den Freiwilligen geschult sein muss.
Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Sorgen vor einer Entwertung der Arbeit, vor einer Deprofessionalisierung durch die Mitarbeit von Ehrenamtlichen müssen ernst genommen werden. Hauptamtliche Mitarbeiter müssen darauf vorbereitet sein, dass ehrenamtliche Kräfte oftmals die besonders beliebten Arbeiten machen, die einen direkten Zuspruch und eine Resonanz durch die Nutzer haben. Denn nur wenn dieses positive Feedback vorhanden ist, werden sich Freiwillige auf Dauer einbinden lassen.
D.h. also, will die Politik eine stärkere Einbeziehung von Freiwilligen in die Arbeit von Kultureinrichtungen, muss sie bereit sein zu investieren. Sie muss bereit sein, Mittel zur Qualifizierung der hauptamtlichen Mitarbeiter bereit zu stellen.
Ich denke, dass sich diese Investition langfristig lohnt, da dadurch die Bürgerinnen und Bürger enger mit ihren Kultureinrichtungen verbunden werden. Und was gibt es für eine bessere Werbung für eine Einrichtung, als wenn im Freundeskreis begeistert darüber berichtet wird.
Ich möchte diesen Aspekt auch eng mit der Innovation im künstlerischen Bereich verbunden sehen. Wer sich mit Kunst befasst, ist meines Erachtens auch bereiter sich auf neue künstlerische Ausdrucksformen einzulassen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal explizit zu den Beschäftigungswirkungen im Kultur- und Freizeitsektor kommen.
Diese Branche wurde lange Zeit als Wachstumsbranche gesehen und viele Hoffnungen wurden darein gesetzt.
Ich denke, auch hier muss man differenzieren. Im direkten künstlerischen Bereich sind die Arbeitsmarktchancen denkbar schlecht. Nur die wenigsten Künstler können von ihrer künstlerischen Arbeit leben. Die Mehrzahl muss den Lebensunterhalt durch andere Tätigkeiten sichern. Die Zahlen der Künstlersozialkasse, in der die freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler versichert sind, sprechen über die Einkommenssituation von Künstlern eine deutliche Sprache. Ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 21.000 DM lässt nicht gerade ein auf Rosen gebettetes Leben erwarten.
Auch die Kulturwirtschaft ist sehr differenziert zu bewerten. Ohne Zweifel hat gerade die Medienbranche einen Boom erlebt, ohne Zweifel sind nach der Einführung des Dualen Rundfunkssystems Beschäftigungsverhältnisse in der Medienindustrie entstanden. Doch darf nicht aus den Augen verloren werden, dass diese Branchen sich an einigen wenigen Standorten angesiedelt haben und dort vor der Ansiedlung eine massive Standort- d.h. Wirtschaftspolitik betrieben wurde. Auch muss genau geprüft werden, ob in diesen Branchen an anderen Standorten tatsächlich noch Beschäftigungswirkungen zu erwarten sind, d.h. ob tatsächlich noch Absatzmärkte vorhanden sind.
Was die neuen Medien anbelangt, so ist derzeit zu beobachten, dass in dieser ehemals boomenden Branche Konkurse und Arbeitslosigkeit einziehen. Auch hier sind die Beschäftigungswirkungen eher gering. Es werden zwar immer noch massenweise Arbeitslose zu Webdesignern umgeschult, aber ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden, sei dahingestellt.
Beschäftigungswirkungen im öffentlichen Dienst, d.h. in den Kultureinrichtungen in ihrer ganzen Breite werden ebenfalls kaum zu erwarten sein.
Ist die Zukunft der Kulturpolitik also düster?
Ich denke, nein ganz und gar nicht. Kulturpolitik, gerade Kulturpolitik in der Stadt muss sich aber auf ihre Aufgaben besinnen. Weder kann durch Kulturpolitik der Anteil der Rechtsradikalen gesenkt werden, noch kann durch Kulturpolitik die Arbeitslosigkeit bekämpft werden und die Welt schon gar nicht verbessert werden.
D.h. ein wenig Bescheidenheit mit Blick auf die Wirkungen steht der Kulturpolitik gut zu Gesicht. Unbescheiden soll sie aber in Hinblick auf die Forderungen nach der Unterstützung derjenigen sein, die die Kunst machen und derethalben wegen es die Kulturpolitik überhaupt gibt. Und unbescheiden sollen Kulturpolitiker auch darin sein, Mittel für Zugänge zur Kultur bereitzustellen.
Kindern und Jugendlichen muss der kostengünstige Zugang zu den Künsten möglich sein. Sie müssen sich spielerisch damit auseinandersetzen können, sie müssen ausprobieren können. Gerade hier geht es darum, die Bahnen für das Publikum von morgen zu öffnen.
Genauso dürfen die Erwachsenen und hier die große Gruppe der Senioren nicht vernachlässigt werden. Manch einer entdeckt erst nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben seine Neigung zu den Künsten. Hier müssen adäquate Angebote von den Einrichtungen unterbreitet werden.
Kunst ist oftmals sehr elitär. Kunst erschließt sich nicht sofort, sondern will erobert werden. Das ist ihre Schönheit und das Faszinierende.
Kulturpolitik muss sich verpflichtet fühlen, dass Künstler möglichst gute Produktionsbedingungen haben. Kulturpolitik darf die Kulturwirtschaft nicht strangulieren, ansonsten nutzt die beste Künstlerförderung nichts. Kulturpolitik muss Kultureinrichtungen so viel Freiheit wie möglich geben, d.h. auch Finanzverantwortung.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.