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Foyer-Ansicht: Anneliese Brost Musikforum Ruhr. Foto Falk Wenzel

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Totgesagte leben länger

Untertitel
Tuned Ideenfestival zur Zukunft der Klassik in Bochum
Vorspann / Teaser

Ein Körnchen Wahrheit steckt meistens drin in vielen Sprichworten, so auch in diesem: Wie oft wurde die Klassik schon totgesagt, wie oft ihr Untergang ausgerufen – aber sie lebt immer noch. Wenn die Gralshüter der Klassik ihr Ende nahen sehen, kommt es eben doch meistens anders. Die Branche stirbt nicht, sie verändert sich. Nirgendwo wurde das jetzt deutlicher als in Bochum. Als Ideenfestival war die Veranstaltung konzipiert, der Name war Programm: Tuned. Veranstaltet von der Kulturstiftung des Bundes, gab es im Anneliese Brost Musikforum drei Tage lang die Möglichkeit, sich über die Zukunft der Klassik auszutauschen. Das Programm: randvoll mit Vorträgen, Workshops, Konzerten und Zeit zum Netzwerken. Das ist nötiger denn je, denn in einer ohnehin immer stärker vernetzten Welt droht jeder abgehängt zu werden, der nicht am großen gesellschaftlichen Netz mitspinnt. Business as usual oder das übliche „Das war schon immer so“ – wird zunehmend zum No Go in diesen Zeiten.

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Das war auch in Bochum zu spüren, wo sich viele Beiträge um das Miteinander von Veranstaltern und das Erreichen des Publikums drehten. Natürlich ging es auch um Grundsätzliches, etwa die kulturelle Aufgabe der Klassik, aber auch aktuelle Themen wie geschlechtergerechte Konzertprogramme oder Awareness-Strategien für den klassischen Konzertbetrieb waren ein Thema. Viele Berichte waren praktische Beispiele aus dem alltäglichen Konzertbetrieb, etwa die Frage „Ko- statt Überproduktion?“. Christiane Engelbrecht, Geschäftsführerin Internationale Ensemble Modern Akademie e.V., gab in einem Impulsreferat einen Überblick über die Arbeit der Ulysses Platform, die auf dem Gebiet der Neuen Musik der Koordinierung von Koproduktionen mehrerer Projektpartner dient, was die Grundlage für einen Austausch der Teilnehmer dieses Workshops bildete. In Planspielen mit sehr praxisnahen Szenarien konnten die Teilnehmer eines Workshops zum „Musikleben am Puls der Gesellschaft“ durchspielen, wie Planungs- und Veränderungsprozesse im Alltag laufen könnten. Ein aufschlussreiches Experiment, das zum einen die Erkenntnis brachte, dass immer wieder ähnliche Probleme auftauchen (etwa das gegeneinander ausspielen von Sport und Kultur) und ein Perspektivwechsel zur Lösung selbiger, ebenso wie gutes Marketing, essentiell sein können.

Um „Traditionsmarken in Transformation“ drehte sich eine Podiumsdiskussion mit Vertretern von Klassik-Institutionen. Ursula Haselböck, Intendantin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Evelyn Meining, Intendantin des Mozartfestes Würzburg, Konstantin Udert, Leiter des Detect Classic Festivals und die Kommunikationsberaterin Laura Zenziper diskutierten darüber, wie es Festivals, Konzerthäusern oder Ensembles mit langer Tradition und starken Marken gelingen kann, ein junges Publikum zu erreichen. Die Strategien waren dabei so unterschiedlich wie die Formate und Zielgruppen. Die Quintessenz: es muss passen, zur Region, zur Geschichte, zum Format und zur Zielgruppe. So unterschiedlich wie die Institutionen waren hier die Ansätze. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis brachte anschließend Toks Dada, Head of Classical Music am Londoner South­bank Centre, der für alternative Erfahrungen plädierte, die man dem Publikum bieten müsse, etwa indem man Altes mit Neuem verbinde. Dabei solle man das Publikum befähigen, eigene Erfahrungen zu machen, so sein Credo. Auch die Nutzung neuer Medien und deren Chancen, etwa indem man Musiker auch als potentielle Content Crea­tors und damit als Multiplikatoren begreift, nannte Dada als wichtigen Punkt seiner Arbeit.

Einblicke in die konkrete Programmarbeit vor Ort gab es unter dem Titel „Strategies for Contemporary Programming“. Philipp Cron, Kurator und Co-Gründer des currents Festivals, Marie-Sünje Schade, Künstlerische Managerin & Geschäftsführerin des Ensemble Resonanz und Jeroen Vanacker, Head of Music am Brüsseler Bozar, gaben Beispiele ihres Musikprogramms: eine Ideenbörse und potentielle Inspirationsquelle für die eigene Arbeit vor Ort. Kernsatz: „It’s all about connections“ (J. Vanacker): mit anderen Künsten, dem Publikum, dem Repertoire und was auch immer. Wichtig dabei auch: Authentizität, für die Marie-Sünje Schade ebenso wie für Qualität plädierte. Beides ist enorm wichtig für eine glaubwürdige Arbeit. Einblicke in strukturelle Transformationsprozesse gab schließlich der studierte Opernregisseur und Organisationsberater Alexander Keil. Mit seiner Doppelperspektive aus künstlerischer Praxis und externer struktureller Analyse zeigte er Stellschrauben und Problemfelder auf, die für Transformationsprozesse komplexer Organisationen wichtig sind.

Abgerundet wurde die noch viele weitere Themen – etwa zu Musikfestivals in Deutschland, Postmigrantischer Musik, Fördermöglichkeiten oder zur Zukunft der Konzerthäuser – bietende Tagung in Bochum durch viel Musik, unter anderem durch ein Konzert der Ensembles CONTINUUM, geleitet von der Berliner Cembalistin Elina Albach, mit dem Ensemble FRAMES Percussion aus Barcelona, bei dem man Musik von Chiara Margarita Cozzolani aus dem 17. Jahrhundert mit Musik von Steve Reich kombinierte. Ein spannender Abend, wie überhaupt die ganze Bochumer Tagung ein gelungenes Forum für Austausch über den aktuellen Stand der Klassikbranche war. Fazit: Wenn die Branche so vielfältig und lebendig bleibt, könnte man auf einem guten Weg in die Zukunft sein.

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