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Landleben mit brisanten Untertönen - Vicente Martín y Solers vergessene Oper «Una cosa rara» wird in Stuttgart wieder belebt
Stuttgart (ddp-bwb). Schon die Inhaltsangabe erinnert an Loriots berühmte Fernsehansage, allerdings mit italienischer Besetzung. Und wenn man die Geschichte um allerlei Liebesverwirrung für abgeschlossen hält und sich auf der Bühne von Stuttgarts Oper ein wackliges Happy End andeutet, setzt Vicente Martín y Soler noch eins drauf. Der Komponist von «Una cosa rara» - ein Zeitgenosse, Vorbild und Konkurrent Wolfgang Amadeus Mozarts - lässt seine beiden Heldinnen aus dem einfachen Volk noch ein Liedchen singen, das hinter der naiven Fassade reichlich böse Anspielungen bereit hält. Das lassen sich die Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito nicht entgehen und zelebrieren ein überaus sarkastisches Finale, dessen Humor den Zuschauern der Premiere am Samstag im Halse stecken blieb.Auch davor hatte das im Jahr 2002 von der Fachkritik zum «Regieteam des Jahres» beförderte kreative Duo sein Versprechen gehalten, die brisanten Untertöne des als ländliche Idylle verkleideten Stücks zu betonen. Martin Zehetgrubers mit Extrabeifall bedachtes Bühnenbild, das im Laufe des Abends immer mehr geniale Details entfaltet, ist ihnen dabei mehr als nur Spielraum. Im ersten Akt dreistöckige Bauruine, im zweiten dann nüchtern vollendeter sozialer Wohnungsbau - manchmal erzählt die Bühne mehr als das Stück selbst, in dem die Musik über weite Strecken eher plätschert als strömt.
Zwar hatte Dirigent Enrique Mazzola im Vorfeld der Premiere betont, dass der Vergleich mit Mozarts Opern unfair sei - dennoch drängt er sich alle paar Takte auf und geht nicht zu Gunsten Martín y Solers aus, dessen «Cosa rara» bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein internationales Erfolgsstück gewesen war. Dass es danach umso gründlicher vergessen wurde, ist allerdings eine Tatsache, die auch die umfangreiche Vorwärtsverteidigung des Regieteams, das dieses Werk gar als frühes Musical verstanden wissen will, nicht entkräftet.
Die Inszenierung von Wieler, Morabito und Zehetgruber mit den sehr charakteristischen Kostümen von Heide Kastler legt trotzdem viel Ehre für den versunkenen Opernschatz ein. Vom rasanten Beginn, wenn die Königin als veritables Flintenweib eine knallige Mafiajagd anführt, bis zum doppelbödigen Ende beweisen die Regisseure erneut ihre in der heutigen Opernszene recht einsame Begabung, die vielen oberflächlichen Details und Gesten des modernen Lebens zu menschlicher Tragik zu verdichten. Immer wieder scheint zunächst komisch, was sich einen Augenblick später als traurig erweist: Kann man beispielsweise einen ersten Hochzeitstag elender feiern als mit Pizza direkt aus dem Pappkarton?
Gesungen und musiziert wird auf durchschnittlichem bis solidem Niveau. Das mit Spannung erwartete Debüt des neuen Ensemblemitglieds Karine Babajanian ist zumindest musikalisch nicht sehr aussagekräftig. Stimmlich ist die aus Bielefeld gekommene, vielseitige Sopranistin mit der Partie der Königin eher unterfordert. Falls sie schwierigere Rollen allerdings mit derselben Leichtigkeit singen und darstellen sollte wie diese, dürften sensationelle Abende anstehen. Das Ensemble wurde vom Premierenpublikum gefeiert, dem Regieteam wehten überraschend kräftige Buhs entgegen.
Jürgen Hartmann
Weitere Aufführungen am 4., 6., 8. und 15. November sowie am 5. und 10. Januar. Kartenbestellung unter der Telefonnummer 0711 20 20 90.
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