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Der Herr der Schlingel - Wallers großartig besetzte Inszenierung der «Dreigroschenoper» am Hamburger St. Pauli Theater
Hamburg (ddp-nrd). Erbitterter Krieg der Gauner: Der Chef der Bettlermafia will den Gangsterboss zur Strecke bringen, und eine Prostituierte liefert diesen der Polizei aus. Es gibt wenige Orte in Deutschland, wo Bertolt Brechts und Kurt Weills «Dreigroschenoper» so gut aufgehoben ist, wie auf den Hamburger Kiez: Seit Donnerstagabend bekämpfen sich Bandenchef Macheath, genannt Mackie Messer, und Bettlerkönig Jonathan Jeremiah Peachum im St. Pauli Theater, nur wenige Schritte von der Reeperbahn entfernt.Vor dem kleinen Theater parkt ein halbes Dutzend Polizeiautos. Hamburgs zweitälteste Bühne steht direkt neben der legendären Davidwache. Gleich um die Ecke blüht in der berühmt-berüchtigten Herbertstraße das älteste Gewerbe der Welt. Spielhallen, Erotikshops, Kneipen und Clubs säumen den Weg zum Theater. Dennoch widersteht Regisseur Ulrich Waller der Versuchung, das Stück dem Hamburger Kiez anzupassen, es zu modernisieren. «Hier muss man Brecht nicht interpretieren. Die Umgebung des St. Pauli Theaters, die sündige Meile, sind schon die Interpretation», heißt es in der Ankündigung des Hauses.
Ex-Kammerspiele-Intendant Waller präsentiert das Stück vor sparsamen Kulissen und in traditionellen Kostümen. Er vertraut auf die ungebrochene Aktualität von Brechts 75 Jahre altem Text und setzt vor allem - zurecht - auf seine großartigen Darsteller.
Mit viel Spielwitz verkörpern Christian Redl («Der Hammermörder») und Eva Mattes («Schlafes Bruder») das Ehepaar Peachum. Ulrich Tukur («Bonhoeffer») gibt Mackie Messer als einen eleganten Ganoven mit leicht chaplinesken Zügen und fühlt sich in dieser Rolle sichtlich wohl. Stefanie Stappenbeck überzeugt als naive Polly Peachum, Maria Bill begeistert als heruntergekommene Spelunken-Jenny insbesondere durch ihren großartigen Gesang, und Polizeichef Brown wird von Peter Franke («Das Wunder von Bern») dargestellt.
Durch die Besetzung erhält Brechts sozialkritisches Spiel um Armut, Reichtum, Recht und Unrecht noch eine zusätzlich Ebene: Als die «Dreigroschenoper» vor rund zwei Jahrzehnten am Deutschen Schauspielhaus Hamburg aufgeführt wurde, waren zwei Darsteller aus Wallers Ensemble dabei: «Der Hamburger Mackie von damals spielt heute seinen größten Feind, den Peachum. Und der damalige Peachum ist jetzt als Brown bei der Polizei», schreibt Waller im Programmheft. «Die Zeit hat das Stück fünfundsiebzig Jahre nach der Uraufführung eingeholt - auf eine Weise, wie sie sich der Autor vermutlich so nicht vorgestellt hatte.»
Waller und seine Schauspieler unterhalten das Publikum mit der knapp zweieinhalbstündigen Aufführung hervorragend. Die temporeiche Inszenierung ist gespickt mit Gags und schlüpfrigen Gesten, mit Situationskomik und zuweilen auch Klamauk. Macheaths Gaunerriege, nach dem Orgelpfeifen-Prinzip aufgestellt, erinnern an die trotteligen Daltons aus den Lucky-Luke-Comics. Dass einer von ihnen seine wenigen Sätze mit stark schwäbischer Einfärbung spricht, entlockt dem begeisterten hanseatischen Premierepublikum zusätzliche Lacher.
Vor ihrem Antritt am St. Pauli Theater im Sommer hatten Waller und Tukur Stücke angekündigt, «die viel mit den Wurzeln des deutschsprachigen Unterhaltungstheaters zu tun haben». Das St. Pauli Theater sei der ideale Ort für eine moderne Form des Volkstheaters. Mit der «Dreigroschenoper» lösen sie ihr Versprechen ein: Sie machen Volkstheater im besten Sinne des Wortes.
Petr Jerabek
http://www.st-pauli-theater.de