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Zwei unkonventionelle Wagner-Inszenierungen zeugen von verschiedenartiger Aufgeschlossenheit des Publikums. München buht, Hamburg jubelt.
David Aldens neuer Münchner "Siegfried" im Nationaltheater niedergebuhtMünchen (ddp-bay). Der neue Münchner Siegfried ist am Sonntagabend im Nationaltheater regelrecht niedergebuht worden. Sowohl Regisseur David Alden als auch Bühnenbildner Gideon Davey mussten für ihre poppig-unkonventionelle Sicht der Wagner-Oper wütende Missfallensbekundungen des Premierenpublikums entgegennehmen. Alden hatte den Helden der Oper im Rapper-Look in den Kampf mit dem Riesen Fafner geschickt. Die finale Liebesszene zwischen Siegfried und Brünnhilde spielte dann als Road-Movie auf einer Autobahn im Schatten eines verunglückten Straßenkreuzers.
Ganz im Gegensatz zum Regieteam wurden die Sänger und das Bayerische Staatsorchester unter Generalmusikdirektor Zubin Mehta mit Ovationen bedacht. Allen voran Stig Andersen als Siegfried, John Tomlinson als Wanderer und Gabriele Schnaut als Brünnhilde. Heftig beklatscht wurden auch Helmut Pampuch als Mime, Franz-Josef Kapellmann als Alberich, Anna Larsson als Erda sowie Margarita De Arellano in der Rolle des Waldvögleins.
Mit "Siegfried" geht der neue Münchner "Ring des Nibelungen" langsam seiner Vollendung entgegen. Alden wird im Februar auch die "Götterdämmerung" inszenieren. Er hatte nach dem plötzlichen Tod von Herbert Wernicke die Regie des "Rings" übernommen. Für die erste zyklische Aufführung der Bühnentetralogie Richard Wagners im kommenden Frühjahr wird der US-Regisseur auch die "Walküre" überarbeiten, die zu den diesjährigen Münchner Opernfestspielen in einer Inszenierung von Hans-Peter Lehmann herausgekommen war. Nur das "Rheingold" wird noch in der von Wernicke erarbeiteten Fassung aufgeführt.
Rezension von Georg Etscheit:
Rumms! Da fällt einer regelrecht mit der Tür ins Haus: Ein junger Lümmel im Rapper-Look mit Ghettoblaster und Tetrapack-Nuckelflasche in der Hand. Mit dem Cross-Rad fährt er die Wohnungstür eines schmuddeligen New Yorker Hinterhof-Appartments ein, um seinen Pflegevater zu schocken. Der Lümmel heißt Siegfried und ist Held der gleichnamigen Wagner-Oper. Und der bedauernswerte Oheim, das ist Mime, der Schmied. Sein unflätiges Pflegekind empfängt er in rosa Puschen und lächerlichem Hausfrau-Outfit.
Wagner zwischen Pop und Pubertät: David Alden, der neue Chef des gebeutelten Münchner «Ring»-Projektes, hat ganze Arbeit geleistet. Nach dem plötzlichen Tod von Herbert Wernicke war der grelle US-Regisseur, der schon mal eine Welttournee der Rockgruppe «The Pet Shop Boys» inszenierte, und in München zu den Lieblingen von Staatsopern-Intendant Sir Peter Jonas zählt, kurzfristig eingesprungen. Am Sonntagabend hatte im Nationaltheater «Siegfried» Premiere, der zweite Teil der Ring-Tetralogie von Richard Wagner.
Alden wird im kommenden Februar auch die «Götterdämmerung» herausbringen, und dann, zur ersten zyklischen «Ring»-Aufführung im Frühjahr, die «Walküre» noch einmal überarbeiten. Die war in der Inszenierung des pensionierten Hannoveraner Staatsopern-Intendanten Hans-Peter Lehmann bereits zu den diesjährigen Opernfestspielen herausgekommen, soll aber noch nachträglich in Aldens Pop-Konzept eingepasst werden. Nur das «Rheingold» wird auch künftig in München in Wernickes Ur-Fassung gespielt werden.
Schon im ersten Akt provozierte «Siegfried the Kid» beim konservativen Premierenpublikum heftige Unmutsäußerungen. Als der junge Held sein Schwert Nothung über dem brennenden Motorblock eines abgetakelten Ami-Schlittens schmiedete und anschließend in der Toilette abschreckte, drohte das Haus sogar zeitweise jegliche Contenance zu verlieren. Auch der «Wanderer»-Wotan mochte als schmuddeliger Tippelbruder reichlich Stoff für empörte Pausengespräche geliefert haben.
Nach der ersten Pause ging es kaum weniger turbulent weiter. Für Wagners berühmtes «Waldweben» hatte Alden eine an Gemälden von Hieronymus Bosch orientierte surrealistische Traumlandschaft ersonnen. Der Kampf mit dem in einem riesigen Ei verborgenen Drachen fiel wegen eines technischen Defektes aus. Dafür wurde der geschlagene Riese Fafner dann leibhaftig in einem Krankenbett hereingerollt. Die «Krankenschwester» entpuppte sich als verkleideter Mime, ein umher wandelnder Chirurg als Alberich. Um das Waldvöglein zu verstehen, benetzte Siegfried seine Lippen mit Riesen-Blut aus dem Transfusionsbeutel.
Dass die Bayerische Staatsoper an einem veritablen Opernskandal knapp vorbeischlitterte, war dem ruhigeren, wenn nicht gar etwas langatmigen dritten Akt zu verdanken. Den hatte Alden zwar - stilgerecht - als Road-Movie auf der Autobahn angesiedelt. Doch verharrten die Dramaturgie des wunderbaren Dialogs Wanderer-Erda und die finale, liebesrauschhafte Vereinigung von Siegfried und Brünnhilde im Schatten eines verunglückten Straßenkreuzers, gemessen am ersten und zweiten Aufzug, eher im Konventionellen.
Am Ende schlug dem Regieteam, wie erwartet, ein Buh-Orkan entgegen. Den durchweg sehr ansprechenden Leistungen der Sänger versagte das Publikum seinen gebührenden Beifall nicht. Ovationen für Stig Andersen als Siegfried, Gabriele Schnaut als Brünnhilde, John Tomlinson als Wanderer sowie Franz-Josef Kapellmann als Alberich, Helmut Pampuch als Mime, Anna Larsson als Erda und Margarita De Arellano in der Rolle des Waldvögleins. Das Bayerische Staatsorchester wurde, feinnerviger als gewohnt, von Zubin Mehta geleitet. Viel Applaus auch für ihn.
Peter Konwitschnys «Die Meistersinger von Nürnberg» in Hamburg
Hamburg (ddp-nrd). Im idyllischen Zauberwald ist Johannisfest: Elfen treffen sich, Siegfried, Lohengrin, Tristan und Isolde und noch allerlei andere Figuren aus Opern Richard Wagners. Die Meistersinger von Nürnberg treten an zu ihrem Wettstreit. Doch in der Neuinszenierung der gleichnamigen Wagner-Oper von Peter Konwitschny am Sonntagabend an der Hamburgischen Staatsoper artet das schöne Fest unversehens aus in einen handfesten politischen Disput: Streitpunkt ist die «deutsche Kultur», wie der Meister Hans Sachs (Wolfgang Schöne) sie preist.
Die Musik verstummt, und ein Mitstreiter von Sachs klagt an. «Wolfgang, wie kannst Du so was singen, von \'deutsch\' und \'echt\'?» Es entspinnt sich ein inszenierter Streit auf der Bühne über Richard Wagners nicht unumstrittene Aussagen zur deutschen Kultur, bis aus dem Off eine Stimme anweist: «Lassen Sie uns das Stück jetzt zu Ende bringen.» Das Publikum ist außer sich - vor Begeisterung für diesen Schachzug Konwitschnys oder vor Empörung über die «Zerstörung» dieser gelungenen Inszenierung. Für Meisterregisseur Konwitschny jedenfalls gab es dieses Mal insgesamt viel mehr Bravorufe als bei seinen vorherigen Inszenierungen an der Hamburgischen Staatsoper. Und die hitzigen Debatten des Publikums hielten noch lange an, nachdem der letzte Vorhang gefallen war.
«Die Meistersinger von Nürnberg» gilt als eine der populärsten Opern Wagners. Konwitschny und Bühnenbildner Johannes Leiacker ließen die Handlung im 16. Jahrhundert wie in einem Renaissance-Gemälde alter Meister ablaufen. Subtiles Licht sorgte für die richtige Patina. Ritter Walther von Stolzing (John Treleaven) mit Dürer\'scher Lockenpracht und elegantem Faltenwurf im langen Umhang könnte direkt aus einem dieser Ölgemälde entstiegen sein. Die zwölf Nürnberger Meistersinger, die allesamt Handwerkszünfte repräsentierten, hätten - jeder einzelne für sich - einen guten Richard Wagner abgegeben. Mit einem Wams aus Samt, weißem Hemd, gebundener Schleife um den Hals, halblangem Haar unter der schräg aufgesetzten Mütze entsprachen sie gleich zwölffach dem wohl populärsten und bekanntesten Porträt des Opernkomponisten.
Die geklonten Wagners repräsentieren die Tradition, das Festhalten an Überliefertem und das Überzeugtsein von ihrer Zunft. Traditionsbewusst bewahren sie die Überlieferungen der Meistersingervereinigung. Überzeugt diskutieren sie die grundlegenden Fragen nach dem Verhältnis von ästhetischem Neuerertum und Tradition und ebenso die Frage nach der nationalen Identität und danach, was Deutschsein bedeuten kann. Ein Streit unter den Zünften zerstört das «schöne» Nürnberg, die idyllische Kulisse verbrennt, und zunächst will nichts Neues entstehen.
Und so kommen im dritten Akt, dem Meistersingen, die Verwundeten aus dem Streit mit Verbänden an Armen, Beinen und Köpfen zu einem Fest in einem idyllischen Zauberwald mit bonbonbunten Elfen zusammen. Konwitschny lässt allerlei Figuren aus Mythologie und bekannten Wagner-Opern aufmarschieren. Es ist die Darstellung eines Traums von dem Deutschland, in dem Wagner hätte leben wollen, ein Deutschland, das auf den idealen und lebendigen Werten der Vergangenheit, auf der Wahrheit und der Kunst basiert. Unerreicht, dieses Wagner\'sche Ideal. Für Konwitschny, den streitbaren Modernisierer der Oper, offenbar ein fragwürdiges Ideal.
Weitere Aufführungen der fünfeinhalbstündigen Oper «Die Meistersinger von Nürnberg» gibt es am 7., 13., 17., 21., 27. November sowie am 1. Dezember.
Angelika Rausch
www.hamburgische-staatsoper.de