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Die Rezension: "Der Rosenkavalier" in Salzburg

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Magische Momente und ein verstörender Abgesang - Robert Carsons neuer «Rosenkavalier»bei den Salzburger Festspielen

Salzburg (ddp). Das Happy End gönnt Regisseur Robert Carson seinem Publikum nicht lange. Als sich zum Schluss Sophie und Octavian nach etlichen Verwicklungen endlich auf einem riesigen Bett räkeln, hebt sich langsam die Kulisse und aus dem Hintergrund marschiert eine Reihe Soldaten heran. Mohammed, der Bedienstete der Marschallin, die zugunsten Sophies ihrer Liebe zu Octavian entsagt hat, findet ein Gewehr am Boden und beginnt, wild auf die Soldaten zu schießen. Während dieses Massakers schraubt sich Richard Strauss\' Wundermusik noch einmal in seligste Höhen.

In Hugo von Hofmansthals Original endet der «Rosenkavalier» mit einer putzigen Geste: Der kleine Mohr Mohammed findet auf dem Boden kein Gewehr, sondern ein Taschentuch, das Sophie im Liebesüberschwang entglitten ist. Er «hebt es auf und trippelt heraus», heißt es in der Regieanweisung. Carson, der die Handlung der Oper aus der Epoche Maria Theresias in die Zeit ihrer Entstehung kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges versetzt hatte, wollte sich auf den niedlichen Schluss nicht einlassen. Schonungslos erinnert er an jene Menschheitskatastrophe, deren Umrisse sich 1911, im Jahr der Uraufführung des «Rosenkavaliers», bereits abzuzeichnen begannen.

Das Premierenpublikum im restlos ausverkauften Großen Festspielhaus reagierte verstört ob dieses Abgesangs auf die frivole Rokoko-Komödie des genialen Künstlerduos Strauss/Hofmannsthal. Der Jubel fiel nach dem fast fünfstündigen Spektakel, übrigens erstmals live im Fernsehen übertragen, überraschend kurz aus. Dabei ließ die musikalische Realisierung nichts zu wünschen übrig. Dirigent Semyon Bychkow, der die Aufführung zu Beginn dem jüngst verstorbenen Ausnahmedirigenten Carlos Kleiber gewidmet hatte, zauberte mit den Wiener Philharmonikern und einem hochkarätigen Sängerensemble diverse magische Momente, in denen das Publikum den Atem anhielt.

Der als geniale Interpret weltweit hoch gehandelte kanadische Regisseur Robert Carson, der zum ersten Mal an der Salzach inszenierte, hatte sich ansonsten treu an die Textvorlage gehalten. Er überfrachtete das komplizierte Intrigen- und Possenspiel nicht mit bizarren Regieeinfällen, sondern entwickelte das Stück streng aus sich heraus, sparte dabei jedoch nicht mit feiner Ironie, deftiger Erotik und überraschenden Effekten. Den «Rosenkavalier» Octavian, der als Brautwerber Sophie nach alter Tradition eine «silberne Rose» überbringt, lässt Carson sogar auf einem (echten) Lipizzaner auf die Bühne reiten.

Hauptfiguren sind die weise Marschallin, meisterhaft gesungen von Adrianne Pieczonka. Sie weiß, dass ihre Liebe zu dem blutjungen Grafen Octavian (etwas zurückhaltend: Angelika Kirchschlager) keine Zukunft hat. Den Geliebten wird sie an die bildhübsche Sophie (stimmschön und kraftvoll: Miah Persson), Tochter des Emporkömmlings Faninal (Franz Grundheber) verlieren, um die allerdings auch ihr lärmender, ungeschlachter Vetter Baron Ochs auf Lerchenau (souverän: Franz Hawlata) heftig, aber letztlich erfolglos wirbt.

Bühnenbildner Peter Papst verstand es, die riesige Festspielhausbühne souverän auszufüllen. Zunächst blickte das Publikum in die hochherrschaftliche Zimmerflucht der Marschallin, dann in das mit einem protzigen Schlachtengemälde ausstaffierte Prunkpalais des geadelten Waffenhändlers Faninal. Das «Extrazimmer» schließlich, in dem der Ochs den als der Marschallin Hausmädchen «Marianderl» verkleideten Octavian zu verführen versucht, ist ein veritables Bordell mit viel nacktem Männer- und Frauenfleisch.

Carson tut dem «Rosenkavalier» niemals Gewalt an. Doch er misstraut dem allzu süßen Fluss der Musik, der zuweilen vergessen macht, in welch prekärem historischen Umfeld sich Strauss bewegte. Selbst während der Nazizeit und des Zweiten Weltkrieges flüchtete sich der «unpolitische Künstler» in seine rokokohaften Attitüden. Seine Rolle als künstlerisches «Aushängeschild» der Nazis ist bis heute umstritten.

Georg Etscheit
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