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Sängerfest im Opernmuseum - Die Neuinszenierung von «Hoffmanns Erzählungen» in Salzburg befriedigte nur Stimmenthusiasten
Salzburg (ddp-bay). Eigentlich sind «Hoffmanns Erzählungen» ein dankbares Stück. Hinreißende Melodien, berückende Arien und Ensembles, dazu eine Geschichte, die gut zu erzählen ist. Die Geschichte eines Dichters, der im wahren Leben und in der irdischen Liebe scheitert und dem schließlich nur noch die Muse (und der Alkohol) hold sind. Der gewaltige Operntorso Jacques Offenbachs ist die Geschichte auch eines Menschen, der die Tag- und die Nachtseite seiner Persönlichkeit nicht zusammenzubringen vermag. Und wenn einem dann noch ein Ensemble und ein Orchester samt Dirigent von Weltformat zu Gebote stehen... Doch der Funke bei der mit Spannung erwarteten Salzburger Neuinszenierung im ausverkauften Festspielhaus sprang am Mittwochabend nicht über.Das lag an Regisseur David McVicar, dem es nicht gelang, die fantastische, virtuos zwischen Traum und Realität changierende Story überzeugend umzusetzen. Seiner textgetreuen, eindimensionalen Inszenierung fehlte der «doppelte Boden», der die Gespaltenheit der Hoffmannschen Persönlichkeit erst deutlich macht.
Stattdessen schöne Bilder zuhauf, gestaltet von der britischen Bühnenbildnerin Tanya McCallin, biedermeierliche Spitzweg-Gemütlichkeit, Opernmuseum. Die Kulisse: Ein geschmackvoll heruntergekommener Saal eines Renaissancepalastes samt brennendem Kamin und Kronenlüster. Darin Hoffmann als «armer Poet» im Ohrensessel oder, häufiger, auf dem Boden in Manuskripten wühlend.
Der Saal wandelt sich nacheinander in Luthers Weinkeller (mit Bierhumpen schwenkendem Studentenvolk), Spalanzanis physikalisches Kabinett (samt von der Decke hängendem Dinoskelett), des Geigenbauers Crespel Wohnung, in der ein Dali-artiger, mit Geigen behängter Baum emporwächst und schließlich, für denn Giulietta-Akt, in einen venezianischem Palazzo mit Gondel, morbid herumhängenden Tadzio-Jünglingen und, was sonst, maskierter Karnevalsgesellschaft. Ansonsten immer viel Volk mit hohen Zylinder und fliegenden Rockschößen.
Einziges Zugeständnis an die Aktualität: Hoffmann setzt sich einen Schuss, bevor er von seinen bizarren, unerfüllten Liebschaften zu berichten anhebt: zu der singenden Puppe Olympia, der karrieregeilen, schwindsüchtigen Sängerin Antonia oder der dämonischen Kurtisane Giulietta. Drei Frauentypen, die er in der von ihm angehimmelten, aber ebenso unerreichten Operndiva Stella verkörpert sieht.
Die etwas treudoofe Erzählweise McVicars fand ihr Pendant in einer ebenso schlichten Art der Personenführung: Rampensingen wie anno dazumal. Das, was rüberkam, war allerdings vom Feinsten. Die Festspielleitung hatte ein bis in die Nebenrollen prominent besetztes Ensemble aufgeboten, allen voran Neil Shicoff, der mit leicht geführter Stimme einen strahlende Hoffmann bot und eine ebenso glänzend disponierte Angelika Kirchschlager als Muse/Niklausse. L\'ubica Vargicová riss als Olympia das Publikum mit makellosen Koloraturen hin. Betörend auch Krassimira Stoyanova als Antonia nebst Waltraud Meier als Giulietta. Gleich in vier Rollen zu hören: Ruggero Raimondi.
Das Publikum applaudierte den Sängern und den wunderbar duftig spielenden Wiener Philharmonikern sowie der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter Kent Nagano kurz, aber enthusiastisch. Regisseur McVicar musste neben viel Beifall auch ein paar Buh-Rufe einstecken. Hätte die Regie sich an Hoffmann ein Beispiel genommen und mehr Fantasie walten lassen, es wäre ein großer Abend geworden.
Georg Etscheit