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Mit der Aufführung des "Rheingold" wird am 24. Februar die neue Münchner Ring-Inszenierung eröffnet. Herbert Wernicke, das einstige "enfant terrible" des deutschen Regietheaters, inszeniert, ist sein eigener Bühnen- und Kostümbildner und holt sich dramaturgischer Hilfe bei der notorischen Rebellin und Wagner-Urenkelin Nike.
München (ddp). Seine erste Münchner Wagner-Inszenierung war einer der größten Skandale, die das Opernhaus an der Maximilianstraße je gesehen hatte. Schon bevor Wolfgang Sawallisch den Stab zur Ouvertüre des "Fliegenden Holländers" heben konnte, rief ein gereizter Zuschauer "Auf geht\'s zum Komödienstadl" ins Auditorium. Am Ende schlug dem jungen Regisseur Herbert Wernicke, der den untoten Holländer in einem großbürgerlichen Salon statt an sturmgepeitschter Küste ankern ließ und das Geisterschiff in die Buddel gesteckt hatte, der geballte Unmut des Publikums entgegen. Münchens "Kritiker-Papst" Joachim Kaiser erhob gar öffentlich Anklage gegen Sawallisch und Intendant August Everding, "diese Verzerrungen" noch "gedeckt" zu haben.Das war im Februar 1981. Fast genau 21 Jahre nach dem sturmumtosten Opernabend wagt sich Wernicke, das einstige "enfant terrible" des deutschen Regietheaters, an gleichem Ort wieder an ein Werk des Bayreuther Meisters. Diesmal hat er sich, "gedeckt" von Staatsopernintendant Peter Jonas und Generalmusikdirektor Zubin Mehta, Wagners Menschheits-Epos "Der Ring des Nibelungen" vorgenommen.
Der Prolog zur Monumental-Tetralogie "Das Rheingold" geht am 24. Februar über die Bühne des Nationaltheaters. Zu den Opernfestspielen 2002 folgt "Die Walküre", im kommenden Herbst und Winter dann "Siegfried" und "Die Götterdämmerung". Die erste zyklische Aufführung des neuen Münchner "Rings" wird im Mai 2003 zu sehen sein. Nach der unkonventionellen, mit viel Kritikerlob bedachten Brüsseler Ring-Inszenierung von 1991, die auch in Frankfurt am Main zu sehen war, ist dies Wernickes zweite Auseinandersetzung mit dem gigantischen Stoff, der jedes Opernhaus vor größte künstlerische wie logistische Herausforderungen stellt.
Nicht nur Wernickes bewegtes Vorleben, sondern auch die besonderen historischen Gegebenheiten der verhinderten Wagner-Stadt München haben die Spannung vor dem neuen Münchner "Ring" steigen lassen. Schließlich wurden "Rheingold" und "Walküre" 1869 und 1870 auf Befehl König Ludwigs II. und gegen ausdrücklichen Wunsch des Komponisten am Münchner Hof- und Nationaltheater uraufgeführt. Wagner hatte sich in den Kopf gesetzt, dass erst der gesamte Zyklus in einem eigens dafür gebauten Theater das Licht der Opernwelt erblicken dürfe und verübelte seinem königlichen Bewunderer und Gönner die Eigenmächtigkeit so sehr, dass er der Uraufführung beider Werke demonstrativ fern blieb. Das Wagner-Festspielhaus entstand dann auch nicht in München, sondern in der oberfränkischen Provinz, was die Landeshauptstadt nur schwer verwinden konnte.
Insofern bewegt sich Wernicke auf kontaminiertem Boden. Dass seine neue Inszenierung zu einem dem "Holländer" vergleichbaren Skandal gerät, ist aber kaum zu erwarten. Einerseits ist die Leidensfähigkeit des Publikums gegenüber Regie-Unbilden auch in München gewachsen, andererseits hat sich Wernicke in den vergangenen 20 Jahren die Hörner abgeschliffen. Aus dem jungen Wilden mit Nickelbrille und Pferdeschwänzlein ist eine "Galionsfigur des avancierten Kunstgenusses" ("Der Tagesspiegel") geworden, gefragt an allen großen Häusern dieser Welt. Manche Kritiker bedauern schon, ihm sei "die Kralle des intellektuellen Interpreten" gestutzt worden.
Für sein Münchner Projekt hat sich Wernicke, der wieder sein eigener Bühnen- und Kostümbildner ist, dramaturgischer Hilfe der notorischen Rebellin und Wagner-Urenkelin Nike versichert. Außerdem steht ihm ein Ensemble zu Gebote, das Vergleiche mit Bayreuth nicht scheuen muss. Mit John Tomlinson als Wotan, Marjana Lipovsek als Fricka, Philip Landgride als Loge und Helmut Pampuch als Mime wird wieder einmal die Creme der Wagner-Interpreten auf der Staatsopern-Bühne versammelt sein. Und auch Zubin Mehta wird erneut versuchen, die Erwartungen an ein ebenso schwungvolles wie tiefgründiges Dirigat zu erfüllen.
Georg Etscheit