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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch
Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch
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Ausgleichende Gerechtigkeit

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Absolute Beginners 2023/02
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Man kann guten Gewissens sagen, dass die Situation für junge Komponistinnen noch nie so gut war wie im Moment. Wenn ich mir die Karrieren meiner ehemaligen Studentinnen anschaue, kann ich sehen, dass sie stets Unterstützung, Förderung und Aufmerksamkeit erfahren. Alle ihre Karrieren sind erfolgreich. Daher rate ich den Anfängerinnen unter ihnen (die gelegentlich an den Erfolgschancen eines künstlerischen Berufes zweifeln) immer guten Gewissens, weiterzumachen. Denn was sollte ihnen im Weg stehen?

Die vielen Gelegenheiten für unsere Studentinnen haben auch damit zu tun, dass ich immer wieder Anfragen an meine Studierenden weiterleite, in denen ausdrücklich junge Nachwuchskomponistinnen gesucht werden. Das liegt natürlich daran, dass Festivalleiter*innen und Dramaturg*innen zunehmend eine Verantwortung empfinden, mehr Frauen zu präsentieren. Denn wenn sie es nicht tun, sind ihnen kritische Kommentare gewiss.

Dass es im Moment so ist und es in gewisser Weise eine unterstützende „Frauenquote“ gibt, ist vollkommen in Ordnung. Aber wir können uns natürlich auch langsam die Frage stellen, ob das, was wir jetzt tun (also die Bevorzugung eines Geschlechts) als Ziel schon reicht, oder ob wir nicht schon einen Schritt weitergehen könnten, nämlich endlich einen Zustand zu erreichen, in dem das Geschlecht gar keine Rolle mehr spielt. Sind wir schon so weit? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Nach wie vor sehe ich einen sehr geringen Frauenanteil bei unseren Bewerbern fürs Studium, und das vor allem bei denjenigen aus Deutschland. Wie kann das sein, wenn wir doch hier so viel tun? Warum bewerben sich deutlich mehr Komponistinnen aus Osteuropa, Asien und Amerika? An mangelnder Förderung hierzulande kann es eindeutig nicht liegen.

Die Gründe sind komplex. Nach wie vor fehlen Rollenbilder, und wenn Kinder in klassische Konzerte gehen, bekommen sie zu mindestens 95 Prozent vor allem Musik aus dem 19. Jahrhundert zu hören, dem Zeitalter, in dem Komponistinnen am meisten gecancelt und in ihrer Entfaltung beschränkt wurden (ganz im Gegensatz zu den Jahrhunderten davor übrigens, aber das 19. Jahrhundert hat viele dieser Komponistinnen vernachlässigt, was zu ihrem Vergessen beigetragen hat). Wir haben also eine paradoxe Situation: Einerseits fordert die Öffentlichkeit zunehmend mehr Komponistinnen in den Programmen, aber aufgrund der jüngsten Krisen sind die Programme der meisten Veranstalter noch konservativer geworden und man hört stattdessen noch weniger Musik von Frauen. Ganz klar: Hier würde sich nur etwas ändern, wenn man mehr Gegenwartsmusik spielt! Im Gespräch mit einer jungen Musikerin äußerte ich vor kurzem vorsichtig den Gedanken, dass aufgrund dieser Situation nun für junge talentierte männliche Komponisten eine gewisse Ungerechtigkeit entsteht. Denn wenn die immer weniger werdenden Aufträge vergeben werden, müssen diese auf jeden Fall eher an Frauen gehen, damit überhaupt Frauen in normalen Konzertprogrammen auftauchen. Sie argumentierte, dass sie diese Ungerechtigkeit zwar auch wahrnehme, dies aber völlig ok wäre nach Jahrhunderten der Unterdrückung von Frauen in der Kunst. Stimmt, aber mir behagt der Gedanke nicht, dass aus zwei Ungerechtigkeiten eine Gerechtigkeit entstehen soll. Das kann eine Übergangslösung sein, um Frauen erst einmal zu stärken und ihnen bessere Positionen zu ermöglichen (wie es vielerorten erfolgreich gelungen ist), aber am Ende des Tages wollen wir ja eigentlich eine echte Geschlechtergerechtigkeit. Und nicht nur das: Idealerweise wollen wir eine Situation, in der weder Herkunft, sexuelle Orientierung noch Geschlechtsdefinition irgendeine Rolle in der Beurteilung darüber spielt, was jemand geleistet hat und was jemand kann. Das muss auf jeden Fall das Ziel sein.

Ich kenne viele Komponistinnen, die es hassen, als „Quotenfrau“ benutzt zu werden, und die sich nach einem Qualitätsurteil und nicht nach einem Geschlechtsurteil sehnen. Es sollte also hoffentlich einmal so weit sein, dass wir keinerlei Quoten mehr benötigen, allenfalls eine „Qualitätsquote“. Und der können sich die hervorragenden Komponistinnen unserer Zeit auf jeden Fall selbstbewusst stellen. Mit dem besten Argument das es gibt: Ihrer Musik.

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