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Friedrich Krell. Foto: Christine Trosin
Friedrich Krell. Foto: Christine Trosin
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Beharrlicher Multiplikator

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Zum Tode des Chorleiters und Pädagogen Friedrich Krell
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Friedrich Krell starb am 21. Oktober 2020 im Alter von 92 Jahren in Wernigerode. Das Ende seiner Chorleitertätigkeit 1996 liegt lange zurück, so dass heutigen Insidern der Chorszene dieser Name nicht mehr unbedingt viel sagt.

Das Lebenswerk dieses großen Kollegen jedoch kennt jeder: den Rundfunkjugendchor Wernigerode. 1951 hat Krell ihn gegründet und dann 45 Jahre lang höchst erfolgreich geleitet. Die vielen nationalen (sowohl in der DDR als auch in der BRD) wie internationalen Erfolge, die zahlreichen Einspielungen, umjubelte Konzerttourneen wie etwa 1992 ganze fünf Wochen in Japan und die Gründung des renommierten Brahms-Chorwettbewerbs in Wernigerode würden als Gründe für einen Nachruf bereits ausreichen. Aber Friedrich Krell war nicht nur Chordirigent der Extraklasse, der lebenslanges Lernen durch die Einladung von Gastdirigenten nicht nur propagiert sondern gelebt hat, er war vor allem auch Pädagoge und seine Beharrlichkeit war legendär.

Ohne diese Beharrlichkeit hätte weder der Musiker Friedrich Krell noch der Pädagoge und Netzwerker seine Ziele erreicht. Als Pädagoge wollte er Menschen zur Musik und besonders zum und mit dem Chorsingen bewegen, sie nachhaltig ausbilden und begeistern. Folgerichtig lernte man in den Spezialklassen Musik, die in der DDR vorbildhaft waren und andernorts adaptiert wurden, nicht nur das Chorsingen sondern auch gleich die Chorleitung. Und lange Jahre (heute undenkbar) war klar, dass Absolventen der Spezialklassen für Musik die Fächer Deutsch und Musik in Halle studierten; die Folge waren Generationen von choraffinen, top ausgebildeten Schulmusiker*innen, die Krells Anliegen an nächste Generationen weitergaben und weitergeben. Der Begriff Multiplikator bekommt in Anbetracht eines solchen Lebenswerkes eine neue, große Dimension.

Ja, es war unabdingbar, dass der staatliche Jugendchor auch zu Parteianlässen der SED gesungen hat, dass dort auch Parteilieder gesungen wurden und dass politischen Anweisungen Folge geleistet werden musste. Aber wer vermag aus heutiger Sicht überhaupt noch einzuschätzen, was es bedeutet hat, im gleichen weltlichen Jugendchor eben auch Schütz und seine Lieblingsmotette „Singet dem Herrn“ von Bach zu singen? Wer von uns ahnt, welch hoher Kunst der Diplomatie es bedurfte, den Rundfunk der DDR dazu zu bringen, im kleinen Wernigerode ein Tonstudio einzurichten, um nicht immer nach Leipzig fahren zu müssen? Ehemalige Schüler jedenfalls berichten übereinstimmend, dass sie sich von ihrem Chorerzieher (ein für diesen Kollegen sicher im positivsten Sinne passender Begriff) nicht politisch indoktriniert fühlten – sie berichten von einer zwar etwas unnahbaren aber völlig der Sache der Chormusik dienenden und damit absolut überzeugenden Persönlichkeit, von Demut vor dem Werk. Und gehen wir in der Historie noch einen entscheidenden Schritt weiter: wer hat heute noch eine Vorstellung davon, welcher Kraft es bedufte, diese Institution über die Zeit der Wende zu retten und als Landesgymnasium für Musik dauerhaft zu etablieren? Die Chorszene der BRD hat die hohe Chorkultur der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung nie mit dem angemessenen Respekt gewürdigt, hat viel zu wenig versucht, von ihr zu lernen.

„Friedrich Krell war für mich persönlich die prägendste Persönlichkeit meines Musikerlebens.“ Das sagt hörbar berührt Peter Habermann, heute Nachfolger Friedrich Krells in der Leitung des Rundfunkjugendchors Wernigerode, ihm erstmals begegnet als Praktikant 1983. Er wird mit dieser Einschätzung nicht alleine sein und so bedürfte es dieses Nachrufes eigentlich gar nicht – der Nachhall dieses Lebens für die Chormusik klingt fort aus zahllosen Kehlen und – wichtiger – in zahllosen Herzen.

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