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Britischer Kleister trifft Grazer Wahnsinn

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Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Tja, Coldplay und ihr nächstes Album. +++ Norah Jones und ihr Festalbum „I dream of Christmas“ sind dringend für den Weihnachtsmann respektive das Christkind empfohlen. +++ Schon sehr lange und immer wieder wird der Erfurter Sänger, Songwriter und Popschmeichler Clueso für seine Alben gelobt. Stets zu Recht. +++ Etwas sprachlos lassen uns Revolverheld mit „Neu erzählen“ zurück. +++ Der Engländer Sam Fender macht das echt geschickt. +++ Umwerfend erfrischend sind Granada aus Graz.

Tja, Coldplay und ihr nächstes Album. „Music of the Spheres“. Wobei nächstes Album bei den Briten echt schwierig ist. Schließlich klingt ein Album wie das andere. Zuckersüßer und mittlerweile schwer bekömmlicher Pop, der selbst zum Bügeln zu schade ist. „Music of the Spheres“ treibt den gesamten Kleister der Briten auf die Spitze. Melodien einfachster Art, Radio-gefälliges Songwriting und Selbstzitate, die einem die Tränen der Machtlosigkeit in die Augen treiben. Dabei hätten sie gute Voraussetzungen. Den Schnitt haben sie längst gemacht. Warum nicht ausbrechen? Warum nicht neue Pfade? Stattdessen wabern Coldplay auf einer Plastikpopwelle hin und her und irgendwie scheint man mit jedem Song eine weitere Leuchtstab-Illusion in einer nächsten ausverkauften Arena verramschen zu wollen. Jammerschade. (Parlophone)

Man soll seiner Zeit immer etwas voraus sein. Deswegen gibt es bereits im November weihnachtliche Konsumhinweise. Norah Jones und ihr Festalbum „I dream of Christmas“ seien daher dringend für den Weihnachtsmann respektive das Christkind empfohlen. Selbstverständlich tritt Norah Jones in persona als Christkind und mit bekannt lieblicher Stimme auf. Dreizehn Songs, die die Festtage schon heute näher rücken lassen und schön kitschig auf kuschelige Tage bei Schneefall und Feuerzangenbowle einstimmen. (Capitol Records)

Schon sehr lange und immer wieder wird der Erfurter Sänger, Songwriter und Popschmeichler Clueso für seine Alben gelobt. Stets zu Recht. Sein neues Album heißt tatsächlich „Album“. Besonders witzig muss man das nicht finden. Dafür ist es einmal mehr Cluesos Musik, die uns beeindruckt. Die abschweifen lässt und zu Tagträumen einlädt. Wie immer flankiert von Texten, die in ihrer Überschaubarkeit täuschen und letztendlich ziemlich viel ungewollten Seelenkram aufwühlen, den man längst entsorgt glaubte. Dass Clueso sich dabei musikalisch beharrlich treu bleibt, gar nicht erst versucht, mainstreamig zu klingen oder sich den Radiogepflogenheiten zu unterwerfen, muss man ihm hoch anrechnen. Sein Kontostand könnte höher sein. (Epic Records)

Etwas sprachlos lassen uns Revolverheld mit „Neu erzählen“ zurück. Bisher konnte man sich darauf verlassen, dass die Hamburger ambitionierten Studenten-Softrock ablieferten. Die Gitarren durften im Refrain schon nach vorne gemischt werden, die Pathos geschwängerten Refrains gingen irgendwie in Ordnung und dass hier und da mehr Pop als Rock tönte, konnte man mitgehen, ohne die Existenz der Band grundsätzlich anzuzweifeln. „Neu erzählen“ ist aber anders. Revolverheld machen eine Art musikalischen Ausflug in die 1980er-Jahre. Warum eigentlich? Warum möchte eine Band 2021 so klingen wie eine Band in den Achtzigern? Es kann hier keine schlüssige Antwort geben und ebenso unschlüssig ist leider das Album geworden. Es ist ein unsicherer Gang zurück, der mit viel Pomp und Kitsch übermalt wird. Das waren aber nicht wirklich die Achtziger, um nur mal Rick Springfield als Referenz anzuführen. Experiment gescheitert, sorry, aber sympathisch sind sie trotzdem noch, die Hamburger. (Columbia)

Der Engländer Sam Fender macht das echt geschickt. Der Singer/Songwriter schafft es seit vielen Jahren, eigenständig zu klingen, obwohl viele seiner Songs das Prädikat „kling fast unverschämt ähnlich wie“ verdienen. Dabei macht Sam Fender alles richtig. Erfolgreiche Melodien, die man glaubt zu kennen, vermengt er zu einem eigenen Song, der letztendlich nach Sam Fender klingt. „Seventeen going under“ macht da keine Ausnahme. Viele große Songwriter oder Britpopper schimmern durch die Sam-Fender-Patina. Ryan Adams, Bruce Springsteen, Catfish and the Bottlemen wären da zu nennen. Das ist ihm keinesfalls negativ anzurechnen. Denn wie gesagt. Am Ende sind es Sam Fender Songs, die zwar soundtechnisch aalglatt daherkommen, aber auch nicht uninteressant sind. (Polydor Records)

Umwerfend erfrischend sind Granada aus Graz. „Unter Umständen“ ist österreichischer Indiepop, der mindestens mit den Wienern Wanda verglichen werden sollte. Nicht musikalisch, aber vom epischen Standpunkt her. Wahnsinnig tiefsinnig. Irre ehrlich. Und mit einem Schuss Zynismus, der gut tut. Muss „Unter Umständen“ unter den Weihnachtsbaum. (Sony Music)

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