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In lockerer Folge präsentiert Wergo Komponist*innen aus dem latein­amerikanischen Kulturkreis. Dabei sind echte Entdeckungen zu machen! Nach Coriun Aharonian und Graciela Paraskevaidis ist es nun der argentinische Komponist Mariano Etkin (1943–2016), der m
In lockerer Folge präsentiert Wergo Komponist*innen aus dem latein­amerikanischen Kulturkreis. Dabei sind echte Entdeckungen zu machen! Nach Coriun Aharonian und Graciela Paraskevaidis ist es nun der argentinische Komponist Mariano Etkin (1943–2016), der m
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Die Natur der Dinge

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Genoël von Liliensterns Portrait markiert eine der bemerkenswertesten Veröffentlichungen der Edition zeitgenössische Musik in jüngerer Zeit +++ Nach Coriun Aharonian und Graciela Paraskevaidis ist es nun der argentinische Komponist Mariano Etkin (1943–2016), der mit elementarer Klanggestik aufhorchen lässt +++ Marcus Weiss, unbestritten einer der eloquentesten Saxophonisten der Gegenwart, hat und hatte nicht nur als Mitglied des Trio Accanto entscheidenden Anteil daran, dass das Saxophon in der zeitgenössischen Komposition inzwischen seinen festen Platz gefunden hat

Genoël von Liliensterns Portrait markiert eine der bemerkenswertesten Veröffentlichungen der Edition zeitgenössische Musik in jüngerer Zeit. Es beinhaltet Stücke, die auf unterschiedliche Weise Idiome aus Pop, Alltagskultur und einer Medienwelt reflektieren, deren Reizüberflutung uns tagtäglich herausfordert. Lilienstern tut dies auf eine Weise, bei der die Grenzen von Kritik und Affirmation, von Ernst und Spiel angenehm durchlässig werden. „Voz Comercial“ (2017) geht zurück auf eine Mexiko-Reise und montiert Radio-Werbung zu vielschichtigen Text-Musik-Konstellationen. Die werden zerschnitten und rhythmisiert als wären sie der Play-Station entsprungen und sind in Originalgestalt für Stimme und Ensemble zubereitet. Johanna Vargas realisiert das mit einer Hingabe, dass man hier guten Gewissens von einer Hommage sprechen kann. Überhaupt vollzieht sich Liliensterns Zugriff auf sein Alltags-Material nicht aus vermeintlich überlegener Künstler-Warte heraus, egal wie banal es scheint. Dies veranschaulicht auch „Couture“ (2014), wo zwei Synthesizer-Modelle aus den 1980er-Jahren mit dem klassischen Orchesterapparat interagieren. Die floskelhaften Instrumentalparts, die einem irgendwie aus Film und Fernsehen bekannt vorkommen, ohne dass man sagen könnte, woher sie genau stammen, lassen oft keine genaue Verortung mehr zu. Schließlich ist der Synthie ja selbst als eine Art Meta-Orchester angetreten. „Big Picture“ (2018/21) offenbart besonders einfallsreich Liliensterns Intention, die kulturellen Artefakte des Klingenden geschickt zu Re-Kontextualisieren: Ein globales Referenz-Chaos in fünf Teilen, das seinen Ursprung in einer Reise durchs Internet-Radio hat: Aus dem Wust des scheinbar Inkommensurablen entspringt aber keine nervtötende Lärm-Orgie, sondern eine hybride Poesie, in der zusammenwächst, was (nicht) zusammengehört und in der allerorten die Melancholie blüht. (Wergo)

In lockerer Folge präsentiert Wergo Komponist*innen aus dem latein­amerikanischen Kulturkreis. Dabei sind echte Entdeckungen zu machen! Nach Coriun Aharonian und Graciela Paraskevaidis ist es nun der argentinische Komponist Mariano Etkin (1943–2016), der mit elementarer Klanggestik aufhorchen lässt. Seine späte Kammermusik basiert auf einem Instrumentalsatz, in dem es nichts Überflüssiges mehr gibt und der in seiner Klarheit und Kargheit von Naturerfahrungen des argentinischen Hochlandes geprägt wurde. Klänge werden da zu geradewegs physischen Objekten mit schrundigen Oberflächen, kantiger Schärfe oder auch zerbrechlichster Stofflichkeit, die von einer spannungsgeladenen Präsenz und Leere gleichermaßen getragen wird. „La naturalleza de la cosas“ (Die Natur der Dinge) ist das Anfangsstück übertitelt und gibt die Richtung für alles Weitere vor: klangliche Extreme in einer stillstehenden Zeit von unerbittlicher Langsamkeit und Traurigkeit. (Wergo)

Marcus Weiss, unbestritten einer der eloquentesten Saxophonisten der Gegenwart, hat und hatte nicht nur als Mitglied des Trio Accanto entscheidenden Anteil daran, dass das Saxophon in der zeitgenössischen Komposition inzwischen seinen festen Platz gefunden hat. Als Solist hat er vier gewichtige Konzerte für Saxophon und Orchester eingespielt, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch allesamt wahre Energiebündel verkörpern. Peter Eötvös verzichtet in „Focus“ (2021) fast gänzlich auf vermeintlich unkonventionelle Spieltechniken. Das klingt nicht selten wie ein virtuos orchestrierter Ritt durch die frühe Moderne, mit Anklängen an Strawinsky, Bartók und Jazz, ironisch verspielt und mit üppig bestückter Farbpalette. Völlig anders ist Georg Friedrich Haas’ „Konzert“ für Baritonsaxophon und Orchester gestrickt. Brüllende Multiphonics des Solisten vermischen sich mit mikrotonalen Klangströmen des Orchesters. Ein ungeheuer intensives Stück mit aufregenden Farbmischungen und dramatischen Verdichtungen. Auf die Unmittelbarkeit differenzierter Geräuschfarben setzt Johannes Maria Staud in „Violent Incidents (Hommage à Bruce Naumann)“ (2005/06), mit augenblickshaften Jazz-Allusionen, als hätte man sich für Bruchteile von Sekunden in eine Big Band hineingezappt. (Wergo) ¢

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