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Großes Interesse am Thema, vor allem von Studierenden: Blick ins Auditorium des Aktionstags. Foto: HMT Leipzig
Großes Interesse am Thema, vor allem von Studierenden: Blick ins Auditorium des Aktionstags. Foto: HMT Leipzig
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Aktionstag zum Thema „Machtmissbrauch und sexualisierte Diskriminierung“ an der Musikhochschule Leipzig
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Wie können wir uns als Angehörige einer Musikhochschule produktiv und sinnvoll mit einem Thema auseinandersetzen, bei dem im Musikbetrieb aktuell die Emotionen hochschlagen und in den Medien immer wieder neue Fälle von Machtmissbrauch und sexualisierter Diskriminierung bekannt werden? Es gibt offensichtlich Gesprächsbedarf. Ein Bericht und eine Handlungsempfehlung zu einem sensiblen Thema.

Im Rahmen unserer Arbeit als Koordinatorinnen des mentoringArts-Programms der Hochschule für Musik und Theater Leipzig traten wir im Januar 2018 an den Studierendenrat heran, um uns über die Belange der Studierenden zu informieren. Im Vordergrund des studentischen Gremiums stand das Bedürfnis, über Nähe und Dis­tanz sowie Geschlechterbilder und Rollenklischees im Hochschulalltag und im Berufsleben von Musikerinnen und Musikern zu sprechen. Impulsgeber für eine eigene Veranstaltung war unter anderem die 2016 gegründete Hochschulinitiative der Hochschule für Musik und Tanz Köln „Wir sagen Nein! – Zu sexueller Belästigung und Machtmissbrauch“. Das sensible und komplexe Thema sollte durch einen Aktionstag sowohl in der Hochschule als auch darüber hinaus sichtbar werden und Studierenden, Lehrenden sowie Interessierten die Gelegenheit geben, ihr Bewusstsein in Bezug auf Grenzverletzungen zu schärfen.

Im Kontext der MeToo-Debatte wurde das Thema im Laufe der Planungen für den Aktionstag zunehmend dringlicher. Denn auch in Deutschland wurde mit dem Regisseur Dieter Wedel ein Fall im Kulturbetrieb bekannt – und wie die Frauenbeauftragte der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Antje Kirschning, in der nmz 6/2018 konstatiert, gleichen sich die Muster von Macht und Machtmissbrauch im Film- und im Musikbetrieb. Die Verurteilung in zweiter Instanz des ehemaligen Präsidenten der Hochschule für Musik und Theater München, Siegfried Mauser, sowie mutmaßliche weitere Fälle, werden längst nicht mehr nur im Umfeld der Musikhochschulen selbst wahrgenommen und diskutiert, sondern in der medialen Öffentlichkeit. Das Thema ist brisant, auch wegen der medientauglichen Enthüllungen. Umso wichtiger erscheint es uns, dass die Diskussion auch in den Hochschulen selbst geführt wird und zwar mit dem Ziel, zu sensibilisieren, statt zu skandalisieren. Das Thema sollte als Notwendigkeit im Alltag der Musikhochschulen angekommen sein. Dazu gehört es aus unserer Sicht, zum einen Richtlinien zu erlassen, zum anderen sich aber auch immer wiederkehrend mit den Strukturen und Eigenheiten von Musikhochschulen zu befassen und diese so zu gestalten, dass die Hochschulen ihre Verantwortung als geschützte Orte der Ausbildung für alle Personen gleichermaßen gewährleisten können. Mit dem Aktionstag in Leipzig wollten wir diesen Weg gehen und ein Zeichen setzen für eine offene und ehrliche Gesprächskultur.

Leidenschaftliche Debatte

Der Aktionstag fand am 22. Juni 2018 an der Musikhochschule Leipzig statt und sollte ein möglichst breites Publikum ansprechen. Die Gäste der Podiumsdiskussion waren deshalb bewusst prominent und aus unterschiedlichen Feldern kommend eingeladen. Vor einem bis in den letzten Winkel voll besetzten Orchesterprobensaal präsentierten der Kanzler der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, Oliver Grimm, die Berliner Rapperin und Linguistin Sookee, die kanadische Opernsolistin Wallis Giunta und schließlich der Komponist und Hochschulprofessor Moritz Eggert von der Hochschule für Musik und Theater München ihre Impulsvorträge zum Thema.

Oliver Grimm, der das Vorhaben des Aktionstages von Anfang an sehr engagiert unterstützte, erläuterte juristische Grundlagen und fragte rhetorisch, ob strukturelle Vorgaben, wie die im Wintersemester 2015/16 an der HMT Leipzig erlassene Richtlinie prinzipiell hilfreich seien. Er antwortete, dass dies nicht der Fall sei, sie aber ein Fundament und ein geeignetes Hilfsmittel sein könne, um Maßnahmen zur Sanktion anwenden zu können. Zudem verwies er auf die neue gesetzliche Regelung bei sexualisierter Gewalt gegen erkennbaren Willen, mit der bereits ein „Nein“ anerkannt wird. Er machte deutlich, dass es in Leipzig mit Veranstaltungen wie dem Aktionstag weitergehen müsse.

Sookee offerierte den Zuschauerinnen und Zuschauern eine intellektuelle, soziokulturelle Einordnung des Themas und damit eine Metaperspektive. Sie erinnerte daran, Machtmissbrauch weiter zu denken als ihn nur auf die Sexismus-Debatte zu beschränken. Vielleicht weil sie sich schon lange mit Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie auseinandersetzt, war sie diejenige der vier Podiumsgäste, die das Thema am nüchternsten anging. So machte sie darauf aufmerksam, dass hochkulturelle Institutionen wie die Hochschulen sehr arriviert sind und für Frauen zu wenige „Role Models“ anbieten. Ein breites Spektrum an Vorbildern ist jedoch wichtig für alle – und zwar nicht nur im Rahmen von Geschlechterparität in der Ausbildung, sondern unbedingt eben auch im Berufsleben. Deshalb ist es psychisch, philosophisch, kulturell ein fortschrittliches Zeichen für die Kunst, wenn Frauen häufiger sichtbar sind. Und da können keine Ausreden gelten, dass es nicht so viele gute Komponistinnen gegeben habe oder gibt. Jedes Fach könne den üblichen Kanon mit seinen althergebrachten Narrativen reflektieren und aus feministischer und rassismuskritischer Sicht „gegenbürsten“.

Ihre eigenen negativen Erfahrungen, die sie als junge Künstlerin in der klassischen Opernwelt gemacht hat, teilte Wallis Giunta klar und direkt mit. Sie zögerte nicht, schonungslos über sich selbst zu sagen, dass sie wütend nicht nur auf die Täter, sondern auch auf sich selbst sei, weil sie sich in manchen Situationen nicht getraut habe, sich zu wehren. Sie sprach den Studierenden Mut zu und erzählte, welch positive Unterstützung sie sowohl im Kollegium als auch in der Chefetage erfahren habe, als sie begann, Grenzverletzungen zu benennen. Es ist wichtig, dass eine gefeierte Künstlerin, die über ihre Anfangsjahre hinaus ist und schon einen Status erreicht hat, sich solidarisiert und öffentlich spricht. So forderte sie die Hochschulen auf, die Studierenden zu ermutigen und auf Machtmissbrauch und sexualisierte Diskriminierung aller Art ganz klar und mit Konsequenzen zu reagieren. Die Hochschulen seien in der Verantwortung, eine „zero tolerance policy“ zu etablieren. Dazu gehöre auch, sich von der Person zu trennen, die ihre Macht zweifelsohne missbraucht.

Moritz Eggert schließlich hielt einen sehr offenen, deutlichen und pointierten Impulsvortrag, der klarstellte, dass sexuelle Diskriminierung eben kein Kavaliersdelikt sei, sondern ein Verbrechen. Deshalb könne auch keine Entschuldigung im Namen der hehren Kunst gelten, denn: „Das eine ist das eine, und das andere ist das andere.“ Er forderte aus Respekt vor der Musik und vor den Opfern, dass es struktureller Gegenmächte bedürfe, um auf Machtmissbrauch mit Konsequenzen zu reagieren. Wer mit Macht nicht umgehen könne, dürfe diese auch nicht (mehr) ausüben – und dies sei in der klassischen Musik offensichtlich ein Problem, denn nirgendwo sonst werde sexuelle Gewalt so gut gedeckt und kleingeredet. Leidenschaftlich warb er für die Solidarität (nicht nur) unter den Studierenden, warnte vor Hexenjagd und Paranoia und betonte, dass der Moment des Handelns jetzt gekommen sei. (Das Impulsreferat ist in voller Länge im „Bad Blog of Musick“ der nmz nachzulesen. https://blogs.nmz.de/badblog, Stichwort „Kavaliersdelikt“). Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Podiumsgäste machten eines deutlich: Es gibt keine Rechtfertigung für Machtmissbrauch und sexualisierte Diskriminierung und der Gesprächsbedarf ist enorm.

Austausch in Workshops

Im sich an das Podium anschließenden Workshop im Format eines „World Café“ tauschten sich insgesamt etwa 35 bis 40 Studierende, leider nur sehr wenige Lehrende und andere Interessierte an vier moderierten Thementischen aus. Eigens angereist waren die Gleichstellungsbeauftragte Birgit Fritzen von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und die Frauenbeauftragte der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, Antje Kirschning.

Mit dem zweistündigen Workshop wollten wir tiefer in die Diskussion eintauchen, gemeinsam reflektieren und Ergebnisse sammeln: Wo berührt mich die Problematik in meiner eigenen Lebensrealität? Wo sind meine Grenzen? Wie kann ich offen und wertschätzend kommunizieren? Welche Ausdrücke und Bilder werden im Unterricht verwendet? Wann sind Berührungen im Unterricht notwendig, wann unangemessen? Welche Anlaufstellen gibt es, wenn ich mich unwohl fühle oder etwas passiert ist? Was muss in Zukunft noch getan werden?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in vier Gruppen geteilt. Nach einer Zeitvorgabe wechselte jede Gruppe an den nächsten Tisch, um auf Ansätze und Ergebnisse aufzubauen. Die Tische waren gruppiert in die Themen 1) Persönliches Erfahrungsspektrum, 2) Strukturelle Prävention, 3) Persönliche Prävention und 4) Erwartungen.

An Tisch 1 definierten die Teilnehmenden Grenzüberschreitungen grundsätzlich dort, wo sich jemand unwohl, verunsichert oder gar bedroht fühlt. Studierende äußerten, dass Lehrende sie zum Beispiel instrumentalisieren, um Konflikte untereinander auszutragen oder um Studierende gefügig zu machen. Kommentare zur Figur, das Anbieten von Betablockern vor einem Auftritt sind weitere genannte Erfahrungen, die hier teilweise kontrovers besprochen wurden. Zugleich – und hier gehen wir von der Regel aus – gibt es durchaus auch den gelungenen Umgang mit Nähe und Distanz, wenn das Verhältnis im Unterricht von gegenseitiger Wertschätzung getragen wird. Von Lehrenden und Studierenden wird eine wertungsfreie Solidarität und Unterstützung gewünscht. Die Stigmatisierung des Opfers wie zum Beispiel durch Getuschel und flapsige Sprüche wie „Hab dich nicht so!“ tragen nicht zur Verbesserung der Situation bei.

An Tisch 3 wurde deutlich, wie wichtig die unmittelbare Reaktion auf eine Grenzüberschreitung ist – sei es durch nonverbale, verbale oder auch schriftliche Kommunikation. Nonverbal wäre beispielsweise, bei einem anzüglichen Spruch zu gähnen oder den Raum zu verlassen, um deutlich zu signalisieren, dass man das Gesagte nicht akzeptiert und „weglächelt“. Präventive Sprüche, etwa „Bleiben Sie bitte professionell!“, können geübt werden, um in der entscheidenden Situation angemessen verbal zu reagieren. Vielfach wurde genannt, sich an eine berufene Vertrauensperson zu wenden. Allerdings wurde auch das Fehlen einer Vertrauensperson bemängelt. An dieser Stelle wurde deutlich, dass wir noch besser und sichtbarer kommunizieren müssen, welche Zuständigkeiten und Anlaufstellen tatsächlich existieren (Psychologischer Berater der Hochschule, Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks, Gleichstellungsbeauftragte, Studierendenrat usw.). Mithilfe verschiedener Szenarien konnten wir feststellen, dass es für jede Situation Handlungsoptionen gibt. Entscheidend ist, sich diese bewusst zu machen und sich selbst zu schützen, indem man über Wissen verfügt, seine Rechte kennt und diese äußern sowie sich selbst einschätzen lernt.

In der Folge von (wiederholten) Grenzüberschreitungen liegt es in der Verantwortung der Hochschulleitung, das Opfer zu schützen und zum Beispiel einen unkomplizierten Lehrerwechsel zu ermöglichen, so wie an Tisch 2 gefordert. Hier wünschten sich die Teilnehmenden, dass es eine viel stärkere Offenheit gegenüber einem Wechsel geben müsse, der mit Lehrenden vertraglich fixiert werden könne. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es mindestens eine Lehrerin oder einen Lehrer gibt, zu dem man wechseln kann. Als präventive Maßnahme wurde genannt, dass Evaluationen des Unterrichts als Selbstverständnis der Qualitätssicherung an Hochschulen eingeführt und anerkannt werden sollten. Wichtig ist außerdem der Austausch mit externen Beratungsstellen. Oliver Grimm, der den Tisch moderierte, fasste zusammen: „Über nahezu alle Runden hinweg wurde der Wunsch geäußert, dass es mehr Informationen und Veranstaltungen zur Thematik Machtmissbrauch – alle Ebenen betreffend! – geben solle.“

An Tisch 4 kamen die wesentlichen Aspekte aller Thementische zusammen: Hier wurden die Erwartungen der Studierenden, Lehrenden und der Hochschule kommuniziert. Die Moderatorin, die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule für Musik und Theater Leipzig Elisabeth Sasso-Fruth, hob hervor, dass eine transparente Kommunikation, die zugleich Schutz und Vertraulichkeit gewährleiste, ein solidarisches Miteinander und die regelmäßige Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch von allen erwartet werde. Die Möglichkeit, Erwartungen artikulieren zu können und zum Beispiel anonym Feedback zum Unterricht zu geben, um sich über Unterrichtsformen und vergleichende Standards auszutauschen, führe am ehesten zu lösungsorientierten Handlungen und Maßnahmen. Hierfür müssten alle Angehörigen einer Hochschule aktiv einbezogen werden. Schließlich sollten eindeutige und rasche Konsequenzen für diejenigen, die Grenzen überschreiten, selbstverständlich sein.

Es ist eigentlich ganz einfach: Die Schnittstelle der Ergebnisse des Workshops liegt darin, dass eine transparente und wertschätzende Kommunikation für das notwendige Vertrauen sorgt, bei etwaigen Grenzüberschreitungen den Mut zu haben, diese zu benennen und sich der Solidarität gewiss zu sein, dass die Basis des Miteinanders gegenseitiger Respekt und Achtung ist. Und diese müssen im Alltag immer wieder errungen werden, gerade auch an Musikhochschulen, diesem besonderen Mikrokosmos (vgl. den Artikel von Jelena Rothermel im Hochschulmagazin der nmz 6/2017: https://www.nmz.de/artikel/sensible-fragen-in-einem-besonderen-mikrokos…).

Wie geht es weiter?

Veranstaltungen wie der Aktionstag in Leipzig zeigen, dass es notwendig und sinnvoll ist, einen gemeinsamen Raum des Austauschs zu einem komplexen und durchaus heiklen Thema wie Machtmissbrauch und sexualisierte Diskriminierung zu etablieren. Es ist notwendig, weil es immer noch Betroffene gibt, die sich nicht trauen, Grenzverletzungen zu benennen und Machtmissbrauch weitläufig geduldet wird. Es ist notwendig, weil Veranstaltungen wie diese bislang nur wenige Lehrende erreichen. Es ist sinnvoll, weil daraus ein Klima der Offenheit und des Vertrauens und eines neuen Selbstverständnisses entsteht, durch das lösungsorientiert Missstände angegangen werden können. Es ist sinnvoll, weil Prävention immer besser ist als Problemaufarbeitung. Und es ist sinnvoll, weil dadurch ein dringend gebotener Strukturwandel an Musikhochschulen in Gang kommt, der am besten mit möglichst vielen Hochschulen gemeinsam gemeistert werden kann.

Drei Begriffe fielen besonders häufig im Laufe des Aktionstages in Leipzig: Solidarität, Transparenz und Mut. In diesem Sinne wollen wir weitermachen, denn: Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung.
 

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