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Ende 2017 demonstrierten die Musik-Lehrbeauftragten an bayerischen Hochschulen und Universitäten in München. Foto: Juan Martin Koch
Ende 2017 demonstrierten die Musik-Lehrbeauftragten an bayerischen Hochschulen und Universitäten in München. Foto: Juan Martin Koch
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Nimmt jemand den Dampfkessel vom Herd?

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Musik-Lehrbeauftragte und RKM suchen den Dialog
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„Die Situation der Lehrbeauftragten an den deutschen Musikhochschulen hat sich zu einer komplexen Problematik entwickelt, die für die Lehrbeauftragten wie für die Hochschulen selbst gleichermaßen nicht befriedigend ist.“

So leitet die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) ihr Positionspapier ein, das Mitte Januar verabschiedet wurde. So lapidar und selbstverständlich das zunächst einmal klingt, so bemerkenswert ist es. Denn es handelt es sich dabei tatsächlich um die erste gemeinsame Stellungnahme der Musikhochschulrektor*innen zu einem Thema, das in seiner Problematik seit Jahrzehnten besteht und spätestens seit Gründung der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM) vor 12 Jahren hochschulpolitisch auf der Agenda steht.

Die RKM bezieht sich dann auch auf den Bericht des Hochschulausschusses der Kultusministerkonferenz von 2014, der „bis heute in seinen wesentlichen Aspekten Gültigkeit“ habe, und formuliert – neben grundsätzlichen Thesen zur Bedeutung und Wertschätzung der Lehrbeauftragten – Ziele, für die sich Hochschulen, Lehrbeauftragte und Politik ihrer Meinung nach gemeinsam einsetzen sollten. Aufhorchen lässt dabei die angestrebte Perspektive, in den nächsten acht bis zehn Jahren durch zusätzliche Mittelbaustellen auf einen Lehrbeauftragten-Anteil von möglichst nicht mehr als 30 Prozent zu kommen. Als Fazit fordert die RKM von den Länderministerien die notwendigen Haushaltsmittel für diese neuen Stellen „in Fächern mit planbaren Dauerbedarfen“.

Die Antwort von Seiten der Lehrbeauftragten ließ nicht lange auf sich warten. Mitte Februar begrüßte unisono, die Deutsche Musik- und Orchestervereinigung, auch im Namen der BKLM, dass sich die RKM zu ihrer Verantwortung für die Lehrbeauftragten bekannt habe, äußerte aber auch Kritik: Über die Hälfte der Lehrbeauftragten sei freischaffend tätig und laut Statistik der Künstlersozialkasse seien ihre Einkommensverhältnisse alle prekär, argumentierte unisono und widersprach damit der RKM-Formulierung, wonach die oft zu geringe und nicht auskömmliche Bezahlung sowie die unzulängliche soziale Absicherung „in Einzelfällen zu prekären Situationen führen“ könne. Vor allem stören sich unisono und BKLM aber daran, dass ihrer Meinung nach die RKM „die Verantwortung für die finanzielle Machbarkeit einer fairen Vergütung und besserer Arbeitsbedingungen […] ausschließlich bei den jeweiligen Landesministerien“ sehe und sich somit „die Verantwortlichen von RKM und Landeshochschulpolitik wechselseitig die Bälle zuspielen, ohne dass es zu echten Verbesserungen kommt“.

Im Gespräch mit dem Hochschulmagazin der nmz erläutern Jan-Christian Hübsch, stellvertretender unisono-Geschäftsführer, und Sebastian Haas, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands von unisono und Sprecher der BKLM, ihre Positionen. Hübsch sieht beim Hin und Her zwischen Ministerien und Rektoraten die Kehrseite der Hochschulautonomie, die man prinzipiell positiv sehe. Er verweist aber auf die rechtliche Lage, wonach in den Landeshochschulgesetzen sinngemäß seit Jahr und Tag dasselbe steht: Lehrbeauftragte unterliegen einem „öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis eigener Art“, der Lehrauftrag begründet also kein Dienstverhältnis. Ein entscheidender Schritt wäre es deshalb laut Hübsch, „weg vom einseitigen Lehrauftrag hin zu einem Lehrvertrag zu kommen, bei dem die Bedingungen per se ausgewogener wären, weil ein solches Beschäftigungsverhältnis nicht einseitig per Verwaltungsakt konstruiert wäre, sondern auf gegenseitiger Basis und damit auch einer adäquaten gerichtlichen Überprüfung zugänglich wäre.“

Mühselige Lobbyarbeit

Sebastian Haas, Lehrbeauftragter an der HfM Dresden, hat in Sachsen die Initiative „Faire Lehre“ mit ins Leben gerufen, die im November des vergangenen Jahres mit einer Demonstration vor dem sächsischen Parlament viel Aufmerksamkeit erzeugt und wohl auch einiges bewirkt hat. Er weiß um die mühselige Lobbyarbeit, die in jedem einzelnen Bundesland aufgrund wechselnder Akteure und politischer Konstellationen immer wieder neu geleistet werden muss. Das grundlegende Problem sieht Haas darin, dass der schon lange anvisierte Rückbau der Lehrbeauftragten zugunsten neuer Stellen bis auf wenige Ausnahmen kaum vorankomme.

Die Verbesserungen, die es immerhin bei der Honorierung fast überall gegeben hat, erkennt er an, relativiert aber: „Das ist wie bei einem Dampfkessel, der brodelt, bis der Druck zu hoch wird. Dann geht er ein bisschen auf und es entweicht etwas Dampf. Aber den Topf mal vom Herd zu nehmen und vielleicht andere Gefäße zu befüllen, das haben die Politik und auch die Rektorenkonferenz bisher nicht geschafft.“ Die Erhöhungen der Honorarsätze müsse man im Übrigen inflationsbereinigt und im Vergleich zu den Tarifaufwächsen im öffentlichen Dienst sehen: „Da sind wir noch weit davon entfernt.“

Spielräume fehlen

Susanne Rode-Breymann, die Vorsitzende der RKM, betont gegenüber der nmz die Bedeutung des gemeinsamen Positionspapiers, schließlich sei man bisher bei diesem Thema stets an der Verschiedenheit der Bundesländer gescheitert. In Bayern sei auf dieser Grundlage bereits Geld in Aussicht gestellt worden. Die Kritik von unisono und BKLM, die Hochschulen würden in ihrer gemeinsamen Stellungnahme die Verantwortung einfach nur wieder von sich weg- und der Politik zuschieben, will sie so nicht stehen lassen und verweist auf die Fakten: „Wir haben eben keine großen Spielräume im Haushalt. Die Millionen, die wir bekommen, sind zu sehr hohen Prozentzahlen gebunden, zum Beispiel an Gehälter. Ich kann nicht einfach Professoren, die ich als Beamte eingestellt habe, entlassen. Die Summen, die verschoben werden können, sind minimal.“

Die grundsätzliche Position der RKM erläutert sie so: „Wir bekennen uns dazu, dass wir einen bestimmten Anteil an Lehraufträgen brauchen, etwa in Lehramtsstudiengängen, in denen sich jedes Jahr Kandidat*innen mit anderen Instrumenten bewerben, die man dann entsprechend flexibel anbieten muss. Auch wollen wir weiterhin gezielt Menschen aus der Praxis an die Hochschulen holen können. Das wären dann in etwa die 30 Prozent Anteil an der gesamten Lehre. Für alles übrige wird es ohne feste Mittelbaustellen nicht gehen.“ Auch diese „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“ hätten dann allerdings, stellt Rode-Breymann klar, keinen Stundenlohn von 90 Euro, wie ihn unisono und BKLM als „faire Vergütung“ für Lehraufträge forderten.

Wie geht es nun weiter zwischen der RKM und den Lehrbeauftragten? BKLM und unisono hatten im März Hochschulrektor*innen einzeln angeschrieben und zum Dialog an den jeweiligen Häusern angeregt. Wie Susanne Rode-Breymann betont, will man als RKM aber weiterhin mit einer Stimme sprechen, also gemeinsam antworten und dann einen Gesprächstermin vereinbaren. Warum ihr das trotz unterschiedlicher Situationen vor Ort so wichtig ist, begründet sie so: „Es geht nicht darum zu sagen, dass das eine Bundesland besser ist als das andere, und wenn es zum Beispiel in einem Land nur eine Musikhochschule gibt, kann diese mit dem Verweis darauf, dass sie bundesweit mit dem Problemfeld Lehrauftrag kein Einzelfall ist, ganz anders argumentieren.“

Indizien dafür, dass allmählich etwas mehr Bewegung in die seit Jahren immer nur in kleinsten Schritten vorangehende Lösung des Strukturproblems Musik-Lehrauftrag kommen könnte, sind in Sachsen auszumachen. Dort warten Sebastian Haas und seine Mitstreiter*innen gespannt darauf, was das (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht verabschiedete) neue sächsische Hochschulgesetz bringen wird. „Es war ein Wahlrecht für die Musikhochschulen zwischen Honorarvertrag und Verwaltungsakt im Gespräch“, sagt Haas, was man allerdings ablehne. Der Schutz des Einzelnen soll seiner Ansicht nach im Vordergrund stehen, nicht der Schutz der Hochschule: „Wir wollen, dass der Gesetzgeber die Hochschulen hier mehr in die Pflicht nimmt.“  In einer letzten Ausschusssitzung vor der Verabschiedung hätten sich indes keine diesbezüglichen Verbesserungen abgezeichnet, so Haas, der bilanziert: „Schade – wir bleiben weiter dran!“

Beispiel Hannover

Welche besonderen Konstellationen es an einzelnen Häusern geben kann, damit ist man in Hannover, wo Susanne Rode-Breymann Präsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien (HMTM) ist, gerade ganz konkret konfrontiert: Ein Großteil der Lehrbeauftragten im Bereich Jazz, Rock, Pop legte ab 1. Mai für drei Wochen ihre Arbeit nieder. Der Anteil an der Lehre, den sie in diesem Bereich abdecken, liegt bei über 70 Prozent. Gegenüber der Hochschulleitung und dem niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur forderten sie „eine sofortige Erhöhung des Honorars auf 50 Euro pro erteilter Stunde, der weitere Schritte folgen müssen“, das Schaffen fester Stellen „an Positionen, in denen über den Unterricht hinausgehende Verantwortung übernommen werden muss“ und eine „erneute Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit von Auslagenerstattung von Fahrtkosten sowie Beachtung dieser in der Vergütung in geeigneter Form“.

Honorarprofessor Michael Gudenkauf, Lehrbeauftragter an der HMTM unter anderem für Jazz-Kontrabass, E-Bass, Musikpädagogik, Methodik und Didaktik, schildert gegenüber der nmz, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat: Im Zusammenhang mit einer Demonstration von Musikerinnen und Musikern, die vor dem Landtag eine bessere finanzielle Unterstützung der Rock-, Pop- und Jazzkultur gefordert hatten, hatte der damalige Wissenschaftsminister Björn Thümler in einem Interview mit dem NDR davon gesprochen, man habe „die grundlegende Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover jetzt endlich mal durchfinanziert“, sodass „quasi auch die Grundausbildung von Jazz und Pop gesichert“ sei. „Das hat uns natürlich nicht gefallen“, so Gudenkauf, „und wir haben uns gefragt, wie man eine Ausbildung als gesichert ansehen kann, wenn dort über 70 Prozent der Lehre von Menschen geleistet wird, die nicht angestellt sind und – zum Zeitpunkt von Thümlers Aussage – für eine Zeitstunde künstlerischen Unterricht 30 oder 36 Euro bekommen, wodurch sogar das Vor- und Nachbereiten des Unterrichts und die Abnahme der allermeisten Prüfungen abgegolten sein soll.“

Hinzu gekommen seien die Verunsicherung durch die Corona-Zeit und die steigenden Lebenshaltungskosten. „Man kommt an den Punkt, wo man sich fragt, ob man es sich noch leisten kann, Lehrbeauftragter zu sein, und das betrifft am Institut für Jazz/Rock/Pop immerhin rund 80 Prozent der Lehrenden“. Aus seiner Sicht sei es nötig, dass sich die Honorierung für eine Tätigkeit, für die ein Diplom- oder Masterabschluss gefordert wird, auch an den Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes mit entsprechender Qualifikation orientiere und mit der Lehre zwingend verbundene Zusammenhangstätigkeiten angemessene Berücksichtigung darin fänden.

Falko Mohrs, der Nachfolger von Björn Thümler, hat nun einen neuen Blick auf das Thema und antwortete dahingehend, dass die Ausgestaltung der Lehraufträge der Hochschulautonomie unterliege, dass man aber das Ziel verfolge, das Handlungsfeld guter Arbeitsbedingungen in den nächsten Hochschulentwicklungsvertrag aufzunehmen und dabei die Lehrbeauftragten sowie die Grundfinanzierung ebenfalls mit zu berücksichtigen. Bei aller Enttäuschung über die aktuelle Situation („alle sehen das Problem, aber wir sind gerade die Verlierer“), setzt Michael Gudenkauf darauf, dass es künftig ein Miteinander von Ministerium, Hochschule und Lehrbeauftragten geben wird: „Obwohl wir unterschiedliche Rollen vertreten, ist das Ziel ein gemeinsames“, hofft er. Diese Einschätzung bestätigt auch HMTM-Präsidentin Susanne Rode-Breymann, die  einräumt, dass man die letzte Erhöhung der Honorare um zwei Euro, die sich auf 100.000 Euro für alle Lehrbeauftragten summiert, „aus den Ecken gekratzt“ habe.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird einmal mehr deutlich, worin die tiefere Ursache der nun schon Jahrzehnte währenden Lehrauftrags-Misere liegt: Die deutschen Musikhochschulen sind schlicht und einfach „nicht auskömmlich finanziert“. Ein Blick nach Österreich, wo man sich einen Musik-Studienplatz das Dreifache kosten lasse, mache deutlich, so Rode-Breymann, um welche Größenordnung es gehe.

Perspektivwechsel

In eine ganz andere Richtung denkend regt sie darüber hinaus einen Wandel in den Köpfen von Hochschulabsolvent*innen an. Mit Blick auf den dramatischen Fachkräftemangel im musikpädagogischen Bereich – analog zur Deindustrialisierung spricht sie von einer drohenden „Demusikalisierung“ – möchte sie diese ermuntern, nach dem Studium nicht nur einen prestigeträchtigen Lehrauftrag an einer Musikhochschule in Betracht zu ziehen, sondern auch eine Tätigkeit an einer Musikschule.

Dazu müssten sich allerdings, möchte man einwenden, auch dort Arbeitsbedingungen und Bezahlung deutlich verbessern, wozu ein Nachtrag aus Sachsen passt: Die Stadt Leipzig hat angekündigt, dass an der Musikschule „Johann Sebastian Bach“ Honorarlehrkräfte künftig die Ausnahme bilden sollen und das Angebot einer Festanstellung der Normalfall werden soll. Vorbehaltlich  der Zustimmung des Stadtrates würden zunächst ab dem neuen Schuljahr 2023/24 für alle selbstständigen Beschäftigungsverhältnisse Sozialversicherungsbeiträge durch die Musikschule abgeführt. Für 2024 würden dann alle Honorarlehrkräfte das Angebot erhalten, nach Tarif im öffentlichen Dienst beschäftigt werden zu können. Damit übertreffe die Stadtverwaltung die Vorgaben des Bundessozialgerichts aus dessen Urteil vom vergangenen Jahr, so die Meldung vom 17. Mai. Na also, geht doch!

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