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Mit der ersten Neuproduktion von Louis Andriessens Musiktheaterwerk „De Materie“ seit dessen Uraufführung 1989 startete die Ruhrtriennale in ihre dritte Ausgabe unter der Intendanz von Heiner Goebbels. Foto: Wonge Bergmann
Mit der ersten Neuproduktion von Louis Andriessens Musiktheaterwerk „De Materie“ seit dessen Uraufführung 1989 startete die Ruhrtriennale in ihre dritte Ausgabe unter der Intendanz von Heiner Goebbels. Foto: Wonge Bergmann
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Theorietanz zwischen Performanz und Relevanz

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Schwierigkeiten bei der Verfransung in und mit Musik
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Geschichte, könnte man meinen, wiederholt sich, wenn man dem modischen Theoriewort des „Performativen“ oder der „Performanz“ folgen möchte. Wobei die wenigsten dabei an die Bedeutung dieser Begriffe aus dem Bereich der Linguistik denken dürften, sondern schlicht an die englische Verwendung als „Performance“, also ganz unsubtil als Aufführung oder wie es durch den übermäßigen Einsatz in Castingshows in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist: nach dem Motto, man „performe“ jetzt mal etwas.

Dass Musik und Aufführung zusammen gehören, ist so sehr zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass man sie gar nicht zu bemerken scheint. Den Fokus auf die Aufführungssituation zu legen, ist damit etwas eigentlich ganz Normales, Gewöhnliches. Jede musikalische Aktivität ist begleitet von außermusikalischen Ereignissen und längst haben das Komponisten wie Cage und Kagel explizit zu Bewusstsein gebracht.

Die Erweiterung der Musik in Raum und andere Medien wie Video oder andere Kunstformen wie Skulptur (im weiteren Sinne die Architektur) hinein hat vor allem in den Experimentierstuben des aktuellen Komponierens weit um sich gegriffen. Thomas Schäfer, der Direktor des Internationalen Musikinstituts Darmstadt, das die Ferienkurse durchführt, schreibt in dem Vorwort zur diesjährigen Veranstaltung, dass diese Kultur sich längst bei Komponisten und Ensembles ausgebreitet habe. Sie seien als „digital natives“ vertraut mit diesem erweiterten „Materialbegriff“, der Umgebung und Alltag, mithin die Lebenswelt allgemein, also alles Verfügbare, miteinschließt. Der Komponist und Künstler Maximilian Marcoll hat dies in seiner diesjährigen „Lecture“ in Darmstadt so umrissen: „Wenn es kein per se musikalisches Material gibt, gibt es konsequenter Weise aber auch kein per se außermusikalisches Material mehr, das man in den Bereich des Musikalischen hineinnehmen könnte. Wir können also endlich aufhören mit unserem Materialfetisch.“

Und so wird denn auch rege Gebrauch gemacht von Tönen neben den Tönen, die keine Töne mehr sind, sondern eine theatralische Aktion oder ein Video. Das Problem dabei ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Einerseits, weil die Einsicht, dass Aufführungen immer schon mehr als die Musik waren, so alt ist, wie Musik gemacht wird, und somit eine Binsenweisheit, sowie andererseits, weil die Verfransung der Künste dann doch nicht so mirnichts, dirnichts über die Bühne geht, wie man es sich wünschen müsste. Während sich in der Geschichte der Opernaufführungen eine gewisse Übung etabliert hat, die verschiedenen Künste in einem Zusammenhang zu denken, ist dies bei den Projekten der aktuellen Musik keineswegs der Fall und fast immer unsicherer und schwankender Boden. Hier herrschen Dilettantismus und Defizite der Erkundung vor. Da diese Aufführungen dazu gerne auch noch selbstreflexiv gedacht sind, also die Medien thematisieren, die sie zugleich einsetzen, zergeht das künstlerische Ergebnis an sich selbst. Herauskommt im schlechtesten Fall so etwas wie avantgardistischer Kitsch.

Man kann eben doch nicht alles gleich gut beherrschen. Die Musiker können sich – wegen ihrer gesellschaftlichen Nischenposition – darin noch gut gefallen und werden nicht ernstgenommen. Anders ergeht es Bildenden Künstlern oder Theatermachern, die sich in den Bereich der Musik oder der Kunstspartendurchdringung wagen. Hier wird der Querstand schnell bemerkt. Übrigens ist dies bei Operninszenierungen ein ebensolches, durchaus nicht selten auftretendes Problem, wenn der große Filmregisseur oder Theatermensch auf die Musik und das Drama trifft – und aus Dummheit an beidem scheitert und dieses gegebenenfalls durch energisches Auftreten und absurde Regieideen zu kompensieren sucht: Flucht in den Skandal, der selbst zur Aufführung gehört. Freilich sind auch diese dann zu gestalten. Das allerdings vermögen nur wenige wie zum Beispiel Christoph Schlingensief.

Dennoch ist das still-kontemplative Konzertritual im Verschwinden begriffen. Ob man nun Moderatoren mit auf der Bühne platziert, den Einklatscher hinzufügt oder auf einer Videowand das Geschehen aus anderer Perspektive zeigt, den Klängen allein vertraut man nicht mehr. Ebensowenig der Komposition eines Streichquartetts. Es hat für zahlreiche Komponisten einfach keine Relevanz mehr, ihnen ist der Gegenstand mindestens so fremd wie einem Smartphone-Benutzer ein Telegramm. Sie können so etwas gar nicht mehr schreiben, so wenig wie man heute noch komponieren kann wie Bach oder Wagner – selbst wenn man es wollte. Aber darin droht eine ästhetische Schieflage in der aktuellen Musikkunst: Die alten Rituale sterben ab, die neuen bilden sich allerdings nicht mehr zur „Blüte“ aus. Ein Haufen von Stückwerken – unter anderem mit klingendem Material – ist in kompositorischer Vorbereitung, Andere würden sagen, droht! Nur, wer weiß, was die Zukunft wirklich bringt?

Auch hier wiederholt sich Geschichte bei der Beurteilung der Werke. Man erinnere sich nur an die Einordnung der avantgardistischen Musik der sechziger Jahren in den Augen und Ohren des älteren Igor Strawinsky: „… die sektiererische ‚neue Musik‘ ist ein Geschwür der Gegenwart“. Zudem verwendet er Begriffe wie „unnütz“, „unnötig“ und „uninteressant“. Die Stücke, auf die dieser Vorwurf gemünzt war, wie diejenigen Karlheinz Stockhausens, sind längst Klassiker. Die neuen Performance-Werke hingegen sind an den Augenblick gebunden. Sie verschwinden nach ihrem Erscheinen und taugen nicht als Klassiker, es sei denn – nach Walter Benjamins Wort –  als Totenmaske ihrer Konzeption.

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