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Titelseite der nmz 2022/12-2023/01
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Wenn die Kernaufgabe aus dem Blick gerät

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In Sachen öffentlich-rechtlicher Rundfunk werden wieder Nebelkerzen gezündet
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Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk (kurz ÖRR) in Teilen oder zur Gänze in der Kritik steht. Zwangsgebühren sammelt er angeblich ein, politisch verkommen sei er als links-grün-rot versiffte Selbstbedienungsanstalt öffentlichen Unrechts. Mal soll er ganz verschwinden (so die Parolen aus dem rechtsradikalen Parteienspektrum) oder er möge doch zusammengeschrumpft werden (so blau-gelb-schwarz). Kennen wir, das Spiel wiederholt sich wie eine schlechte Vorabendserie.

Nun betritt aber ein neuer Akteur das glatte Parkett der Öffentlichkeit. Tom Buhrow, der Vorsitzende der ARD, Intendant des WDR, meint nun, dass man den ÖRR mit den vielen bisherigen Reformen-Ideen nicht retten könne. Es müsse eine grundsätzliche große Reform her, so äußerte sich allerdings der „Privatmensch“ Thomas Buhrow bei einer Rede im Übersee-Club in Hamburg: gefordert sei endlich eine Reform, die keine Denkverbote kennen dürfe.

Was der Intendant des WDR unter Denkverboten unter anderem versteht: der ÖRR als Kulturträger müsse grundsätzlich infrage gestellt werden. Wörtlich: „Tabuthema: Kultur. Mit der Lobby legt sich niemand an. Dann wird man als Kultur-Banause oder sogar Kultur-Vernichter dargestellt.“ Dass einmal „Kultur“ ein Tabuthema für Intendant*innen und Programmgestalter*innen sein würde, nimmt man verwundert zur Kenntnis. Denn das ist neu. Das Gegenteil ist korrekt: In der Vergangenheit ist es dauernd zu Fusionen von Orchestern gekommen. Chöre wie vom SWR und NDR waren und sind permanent in Gefahr. Kultureinschaltwellen wurden zu Tagesbegleitprogrammen mit Durchhöreffekt geschrumpft, Fernsehrestkulturmagazine wie „Aspekte“ zu Zeitgeist-Lifetstyle-Formaten umfrisiert – unbestätigten Informationen zufolge ist eine Umbenennung zu „Figaro“ nur noch eine Frage der Zeit.

Ein Täuschungsmanöver des Intendanten Buhrow also, der zu Denkverboten deklariert, was schon immer nicht nur gedacht, sondern sogar durchgeführt wurde. Sein jämmerlicher Tonfall erstaunt daher nicht nur, sondern zeigt deutlich an, dass er es mit dem Zusammenschrumpfen des Kulturteils bei den ÖRR ernst meint. Er setzt ja sogar noch einen drauf: „Es führt aber nirgendwo hin, wenn man einerseits ständig schimpft, die Sender seien zu groß und zu teuer – aber wann immer wir über eine Reformmaßnahme reden, zieht jeder Lobbyist, jede Gewerkschaft, jeder Interessenverband, jede Landesregierung und jeder Sender einen Zaun um das, was für einen selbst wichtig ist – und fordert oft sogar noch eine Ausweitung: die Dokumentarfilmer mehr Dokumentarfilme, die Kulturlobby mehr Kultur, die Nachrichtenjournalisten mehr Nachrichten, die Produzenten mehr Filmproduktionen.“

Von alledem brauchen wir also eher weniger? Wenn es nach Tom Buhrow geht – ja: „Die ARD unterhält insgesamt 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre. Obwohl die zu den besten ihrer Zunft gehören – wir können auch hier der Frage nicht ausweichen: Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung? Oder wollen sie ein Best Of? Das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Big Band, das beste Funkhausorchester?“ Ja, das wollen wir, wir brauchen die Vielfalt, nicht „das Best Of“, das ohnehin eine banausische, versteinernde Vorstellung von Kultur repräsentiert.

Es tut vielleicht gut, wenn man Buhrow Privatmensch sein lässt, sich dafür aber darauf besinnt, welche Funktion dem ÖRR eigentlich in unserer Gesellschaft zugewiesen wird. Er soll für die Grundversorgung mit Information, Bildung und Unterhaltung (zu letzteren gehört auch Kultur) sorgen. Das sind nicht nur Sonntagsreden oder Lippenbekenntnisse, sondern Hinweise auf das Betriebssystem unseres Grundgesetzes und seiner gesellschaftlichen Verfasstheit. Das Bundesverfassungsgericht legt „dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die verfassungsrechtliche Pflicht zur medialen Grundversorgung auf (…). Grundversorgung ist hierbei nicht mit Mindestversorgung gleichzusetzen, die sich auf die bloße Verbreitung von Informations- und Bildungssendungen beschränkt, sondern setzt stets eine Mehrzahl von Programmen voraus; neben der Sicherung der Meinungsvielfalt müssen für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme angeboten werden, die vollumfänglich informieren“ (so ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Funktionsauftrag des ÖRR von 2016).

Buhrows Ruf nach einem „Runden Tisch“ ohne Denkverbote ist eine Nebelkerze, die darauf abzuzielen scheint, den ÖRR umzumodellieren, um sich über die verfassungsrechtlichen Garantien und Funktionszumessungen des ÖRR hinwegzusetzen – kurz: es ist eine populistische Momentaufnahme und keine nachhaltige und auch die kulturelle Grundversorgung sichernde Maßnahme, sondern das Gegenteil davon.

Das Problem des ÖRR ist nicht eine fehlende Reformwilligkeit oder der Mut zur Revolution, sondern die rücksichtslose Aufgabe dessen, was seine Kernaufgabe ist: frei von politischen Gefühlslagen oder privatmenschlichen Wünschen eines Intendanten für gute, fundiert recherchierte Informationen sowie Bildung und Unterhaltung unabhängig von den Launen der Mode oder des Marktes zu sorgen. Eine Mindestversorgung mit einem hochexzellenten Streichquartett plus Vuvuzela-Ensemble wird da nicht ausreichen.

Auf eine intellektuelle Grundversorgung beim lauten Denken von Inten­dant*innen dürfen wir Beitragszahler aus Eigeninteresse erst recht nicht verzichten. 

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