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Eugen Cicero (li.) mit Roger Cicero. Foto: LATEMAR FILM/Thomas Blaser
Eugen Cicero (li.) mit Roger Cicero. Foto: LATEMAR FILM/Thomas Blaser
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Wenn du Sänger wirst, musst du ein Star sein

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„Cicero – Zwei Leben, eine Bühne“: Roger und Eugen in einem Dokumentarfilm im Kino
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Vor ziemlich genau sechs Jahren erschütterte die Nachricht vom frühen Tod Roger Ciceros die Musikwelt Deutschland. Er starb mit nur 45 Jahren an einem Hirninfarkt. Bigband-Swing mit deutschen Texten hatte er so populär wie nie zuvor gemacht. Mit „Frauen regier‘n die Welt“ 2007 beim ESC in Finnland weit abgeschlagen, wurde er danach umso mehr verehrt. Dass er einen ziemlich berühmten Vater hatte, der mit nur 57 Jahren ebenfalls an einem Hirninfarkt gestorben ist, war wohl weniger bekannt.

Im berührenden Dokumentarfilm „Cicero – Zwei Leben, eine Bühne“, der seit 24. März 2022 in den deutschen Kinos zu sehen ist, zeichnen Kai Wessel und Katharina Rinderle die Vater-Sohn-Beziehung zweier Ausnahmetalente nach. Wegbegleiter wie Charly Antolini, Till Brönner, Ack van Rooyen und weitere Zeitzeugen lassen die beiden lebendig werden in den Erinnerungen, und besondere Konzert­ausschnitte lassen die Lücke, die ihr früher Tod hinterließ, spüren.

Der Film fängt irgendwo backstage in Deutschland an: Ein nicht mehr ganz junger Mann mit Kappe, Jeans und Lederjacke macht Lippenstimmübungen während er Tee kocht und seine Mails checkt. Etwas später mit Hütchen und T-Shirt unterm Anzug wünscht er allen Musikern im Dunklen hinter der Bühne toi toi toi. Bigband-Sounds erklingen: Roger Cicero ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Sänger. Ein echter Gänsehaut-Moment.

Von Bukarest nach Zürich

Rückblick: Roger noch mit langer Mähne und schon unverkennbarer Stimme: „The unique selling point“, wie ein Wegbegleiter feststellt. Und genau so war das bei seinem Vater, dem 1940 in Rumänien geborenen Pianisten Eugen Cicero, eigentlich Ciceu, der über abenteuerliche Umwege in Westberlin und schließlich in der Schweiz landete. Dort war es kein Geringerer als Charly Antolini, der ihn zu Saba/MPS brachte. Sieben Platten spielten sie zusammen ein, „Rokoko Jazz“ (1965) wurde weltweit über eine Million Mal verkauft. Eugen lernt hier seine spätere Frau, die Tänzerin Lili Cziczeo kennen, mit der er wieder zurück nach Berlin zog, wo Roger 1970 in Grunewald geboren wurde.

„Das klang so, als ob der Steinway um seine Hände gebaut worden war“, erinnert sich Ack van Rooyen an Eugen Cicero, wie er sich jetzt nannte. Und weiter: „Er hätte mit seiner wunderbaren Ausdrucksweise weitermachen müssen. In Konzertsälen. Er hätte nur ein Management gebraucht.“ Stattdessen nimmt er Jobs an – im Fernsehen etwa bei Paul Kuhn, er verdient Geld für seine kleine Familie.

Roger trat als Elfjähriger im Vorprogramm von Helen Vita auf. Mit 16 hatte er mit dem RIAS-Tanzorchester unter Leitung von Horst Jankowski seinen ers­ten Fernsehauftritt. Ein Knackpunkt, der ihn wohl sein Leben lang belastet hat, kommt auch anfangs zur Sprache. „Das was du machst – du singst, – das ist kein Instrument. Wenn du Sänger werden willst, musst du ein Star sein,“ soll Eugen Cicero zu Roger gesagt haben. Dass er das dann wirklich wurde, hat er leider nicht mehr selber miterleben können.

Sein früher Tod 1997 ließ den Sohn, der ihn in seinem Haus in Zürich auch noch gefunden hatte, ratlos und traurig zurück. Er trank viel, erzählt eine Freundin. Dem voraus gingen sowohl privat wie beruflich nicht einfache Jahre. Eugen hatte die Familie in Berlin verlassen, ging nach München, fing an zu trinken, schaffte aber dann mit neuer Freundin in der Schweiz, mit der er dann an auch noch eine gemeinsame Tochter hatte, ein kleines Comeback: „Er spielte wieder wie ein Gott“ und brachte die Welten Klassik und Jazz scheinbar mühelos und elegant zusammen: „Er hatte eine Technik wie Oscar Peterson“, so Antolini.

„Männersachen“

Richtig entdeckt wurde Roger erst zu einer Zeit, als er etwas verloren unter anderem in Angie’s Jazzclub in Hamburg spielte und auftrat. „Er hatte kein Auto, kein Geld, keine Familie. Wollte nur Musik machen. Von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens.“

2005 war es, als er bei einem Zufallsauftritt in der Laeiszhalle zusammen mit Joja Wendt „How come U Don’t’ Call me Any more“ singt. Die ganze Plattenbranche war da. Und seine spätere Managerin Karin Heinrich gibt ihm danach ihre Karte und fragt ihn, warum er noch kein Star sei. Roger lächelt, steckt die Karte ein und meldet sich erst nach ein paar Monaten.

Heinrich, die Roger zusammen mit Freddie de Wall zum Star aufbaute, beauftragte Matthias Haß und Frank Ramond, Texte und Musik für ein ­Swing-Projekt mit deutschen Texten zu schreiben. 2006 erschien „Männersachen“, das erste Soloalbum von Roger Cicero und wurde ein großer Erfolg.

Postfeministische Männertraumata wie „Zieh die Schuh aus“ werden zu Hits, Roger landet damit in einer Schublade, die ihm aber auch bald zu eng wird. Doch erst spielen sie große Hallen, er wird zum gefeierten Star. Er wird Vater, will Neues ausprobieren, verausgabt sich. Im Winter vor seinem Tod leidet er an einem Burnout, macht Pause, bevor er sein Frank-Sinatra-Projekt groß herausbringen will.

Herzzerreißend dann das Ende des Films, als er seine Hommage an Eugen singt: „Ich hätt so gern noch Tschüß gesagt.“ – „Ich glaube fest daran, dass wir andere Leute am Leben halten können, indem wir an sie denken“, stellt ein Freund Rogers fest. Gut, dass der Film dabei helfen wird.

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