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Ein Gruppenfoto eines Seminars auf einer breiten Treppe vor einem Gebäude mit Glasfront.

Itiberê Zwarg Orquestra Família da Alemanha.

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Musiker und Lehrer sein

Untertitel
Itiberê Zwarg Orquestra Família da Alemanha gegründet
Vorspann / Teaser

Im Februar 2025 wurde das große Itiberê Zwarg Orquestra Família da Alemanha am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück ins Leben gerufen. Initiiert wurde das Projekt von Prof. Anne Mette Iversen (Professorin für Jazzkomposition und Arrangement) sowie von Dozent Philipp Gerschlauer aus dem Jazzprofil des IfM in Zusammenarbeit mit dem Masterstudiengang Big Band der HfMDK in Frankfurt. Gemeinsam ist uns die Realisierung eines Projekts gelungen, dessen Konzept und Idee von dem berühmten brasilianischen Bassisten und Komponisten Itiberê Zwarg stammt – und mit dem wir dieses Projekt selbstverständlich auch gemeinsam durchgeführt haben.

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Itiberê Zwarg ist bekannt durch seine langjährige Zusammenarbeit mit dem weltberühmten brasilianischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Hermeto Pascoal, in dessen Band er über 40 Jahre als Bassist spielte. Seit über zwei Jahrzehnten jedoch leitet Itiberê auch seine eigene Band: Itiberê Zwarg Orquestra Família, ein Ensemble, dem unter anderem seine Tochter, die Flötistin Mariana Zwarg, und sein Sohn, der Schlagzeuger Ajurinã Zwarg, angehören. Neben seiner erfolgreichen künstlerischen Laufbahn ist Itiberê, mittlerweile 75 Jahre alt, auch ein leidenschaftlicher Lehrer. In seiner Heimatstadt Rio de Janeiro leitet er zweimal wöchentlich einen Community-Workshop, bei dem er junge Musiker:innen komplett nach Gehör unterrichtet, bevor diese lernen, die Musik auch aufzuschreiben.

Als er vor einigen Jahren begann, Ableger seines Orquestra-Família-Projekts weltweit zu gründen, verband er seine zwei großen Leidenschaften – Musiker zu sein und Lehrer – in einem Konzept, das ihn als lehrenden Künstler beide Rollen gleichzeitig übernehmen lässt.

In der Musikwelt ist der „lehrende Künstler“ ein traditioneller Weg, musikalisches Handwerk und Können, das über viele Jahre gewachsen ist, auf praktischem Weg an junge Menschen der nächsten Generation weiterzugeben. Ein Konzept, mit dem wir uns am IfM sehr identifizieren und das wir auch unseren Studierenden nahebringen möchten. Die Vision von Itiberê Zwarg passt damit perfekt zu unserem Selbstverständnis.

In seinem Konzept der „Itiberê Zwarg Orquestra Família da …“ werden Originalkompositionen und -arrangements des Bandleaders gespielt. Außerdem wirken seine Tochter Mariana und sein Sohn Ajurinã im grossen Ensemble von Studierenden der Musikhochschule mit. Innerhalb von zwei Wochen wird die Musik erlernt, geprobt, aufgenommen und in Konzerten aufgeführt. 

Da Itiberês Musik, wie so viele brasilianische Musikstile, auf komplexen Rhythmen und präziser Phrasierung basiert, ist die Teilnahme von Mariana und Ajurinã für den Erfolg essenziell. Beide sind exzellente Musikerinnen, gebürtige Brasilianerinnen und mit der Musik ihres Vaters durch und durch vertraut. Ihre musikalische Expertise war für die Probenarbeit und den musikalischen Prozess von entscheidender Bedeutung, besonders für die Vermittlung der Feinheiten von Phrasierung und Rhythmik.

Das Projekt „Itiberê Zwarg Orquestra Família da …“ wurde bisher in vier Ländern realisiert: in Japan, Finnland, Frankreich – und nun auch in Deutschland, am IfM in Osnabrück.

Das Itiberê Zwarg Orquestra Família da Alemanha besteht aus 36 Studierenden, von denen die Mehrheit entweder Jazz oder klassische Musik am IfM in Osnabrück studiert. Drei weitere Studierende kamen aus dem Masterprogramm Big Band der HfMDK in Frankfurt hinzu. Zudem wurden einige Gastmusiker:innen eingeladen, das Ensemble zu verstärken. Besonders erfreulich war, dass wir zwei Praktikantinnen vom Gymnasium Bad Essen integrieren konnten, deren Praktikumszeit genau mit dem Projektzeitraum zusammenfiel.

Die Instrumentierung reichte von Piccoloflöte, Flöte, Klarinette, Bassklarinette, Saxophonen, Trompeten, Flügelhörnern, Posaunen und Tuba über Bass, Schlagzeug, Gitarre und Klavier bis hin zu Gesang, Geige, Xylophon, Marimba, Surdo und weiteren Perkussionsinstrumenten.

In den ersten sieben Tagen probte das Ensemble intensiv. Es folgten vier Tage Tonaufnahmen und schließlich zwei Abschlusstage mit Konzerten: eines im Konzertsaal Plektrum am IfM in Osnabrück und eines im großen Saal der HfMDK in Frankfurt.

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Eine rohe Theaterbühne (ohne Bühnenbild und mit viel sichtbarer Technik) auf der ein großes Ensemble probt. Im Zuschauerraum sitzen einzelne Menschen.

Probe im Plektrum am IfM.

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Unser Projekt unterschied sich leicht von früheren „Orquestra Família“-Versionen: Zusätzlich zu Itiberês Musik hatten sechs Jazzkompositions-Studierende des IfM jeweils ein eigenes Werk für das Ensemble komponiert. Diese eher kurzen Stücke hatten den Charakter von Zwischenspielen. In den Konzerten bildeten diese sechs Kompositionen den ersten Teil des Abends, bevor Itiberês neun Werke den Hauptteil übernahmen. Für die Kompositionsstudierenden war es eine großartige Gelegenheit, ihre Werke nicht nur live gespielt zu hören, sondern sie auch mit einem so großen Ensemble aufzunehmen. Auch das Feedback der Band war äußerst positiv – sie spielten gerne die Werke ihrer Kommiliton:innen und fanden den Einblick in deren musikalische Welten sehr inspirierend.

Zurück zu Itiberês Musik: Sie war eine echte Herausforderung! Für viele Studierende war es das erste Mal, dass sie originale brasilianische Musik spielten. Die Rhythmen waren ungewohnt und oft schnell, die Phrasierung fremd. Sechs Stunden täglich wurde geprobt, zusätzlich übten viele noch allein oder in Stimmgruppen weiter. Schnell entstand eine Atmosphäre von Konzentration und Fokussierung. Alle spürten die Herausforderung, dieser Musik gerecht zu werden – und waren tief beeindruckt von der Energie und Herzlichkeit, die Itiberê, Mariana und Ajurinã mitbrachten. Die Bedeutung von musikalischer Gemeinschaft und einer positiven kollektiven Einstellung wurde offensichtlich und war grundlegend für das Gelingen der Musik.

Es war fantastisch zu sehen und zu hören, wie all diese jungen Musiker:innen – die meisten hatten noch nie zuvor zusammen gespielt – zu einem homogenen großen Ensemble zusammenwuchsen, das musikalisch aufeinander eingespielt war und als Einheit agierte. Es war bemerkenswert, wie die Musiker und Musikerinnen gemeinsam gewachsen sind, begleitet von Freude, Humor und Spielfreude, aber auch gefordert durch harte Arbeit, unzählige Übungsstunden und detaillierte Probenarbeit in Gruppen und als Gesamtensemble. Es waren zwei sehr intensive Wochen – und für viele ein Wendepunkt: Sie erlebten, wie viel in kurzer Zeit möglich ist, wenn man mit vollem Einsatz und klaren Zielen arbeitet.

Gemeinsam mit Hermeto Pascoal prägte Itiberê Zwarg den Begriff der „Universal Music“ – Musik, die über Genres hinausgeht und auf Zusammenarbeit, Zuhören, gemeinsames Wachsen und gegenseitiges Lernen setzt. Der pädagogische Ansatz ist von Förderung und Miteinander geprägt – genau dieser Geist, diese Offenheit und Wärme prägten auch unser Projekt über die gesamten zwei Wochen hinweg.

Auch deshalb war das IfM Osnabrück der perfekte Ort für dieses Projekt – weil wir genau diesen pädagogischen und künstlerischen Ansatz leben. Alle erfahrenen Musiker:innen wissen: Musik ist Kommunikation, Entwicklung und gemeinsames Wachsen. Musik verbindet Menschen. Und solche Erfahrungen an unsere Studierenden weiterzugeben, ist für uns von unschätzbarem Wert.

In der Welt der Jazzpädagogik wird immer wieder diskutiert, wo echte musikalische Bildung eigentlich stattfindet – im Studium oder draußen auf der Bühne, auf Tour, beim Unterrichten anderer? Reicht es, nur auf der „Schulbank“ zu sitzen?

Unsere Überzeugung ist: Man muss das echte Leben ins Studium holen. Deshalb sind wir extrem dankbar und glücklich, dass wir das Projekt Itiberê Zwarg Orquestra Família da Alemanha im Rahmen unseres Studienprogramms umsetzen konnten.

Allen Beteiligten – den Mitwirkenden, dem Publikum, den Helfenden – wurde in diesen zwei Wochen eines klar: Wir brauchen mehr solcher Projekte. Nicht nur wegen des immensen musikalischen Lernpotentials, sondern auch, weil Werte, Visionen und Ideale, an die wir glauben, hier aktiv gelebt und erfahrbar gemacht wurden. Solche Erlebnisse bleiben ein Leben lang und prägen die musikalische Persönlichkeit nachhaltig.

Es zeigte sich sehr deutlich, dass dieser überlieferte, traditionelle Weg der praktischen Weitergabe von Musik eine tiefgehende und höchst zeitgemäße Form der Musikvermittlung sein kann.  

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