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«Mein lieber Herr Gesangsverein» - Steueränderung für Vereine geplant. Foto: Hufner
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«Mein lieber Herr Gesangsverein» - Steueränderung für Vereine geplant

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Berlin - Keine Frauen - keine Kohle? Männerchöre und andere Vereine, die keine weiblichen Mitglieder aufnehmen, müssen um Steuervorteile bangen. Ob Vizekanzler Scholz mit diesem Vorstoß bei der SPD-Chefsuche punktet?

Der Hamburger Ruderclub «Allemannia von 1866» hat rechtzeitig das Ruder rumgerissen. Seit diesem Jahr nimmt der Verein, für den Olaf Scholz zu seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister in die Riemen griff, auch Frauen auf. Zuvor waren die Männer unter sich, mehr als 150 Jahre lang - und hatten ihre Bastion stolz verteidigt. Bis das Finanzamt anklopfte und mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit drohte.

Solche Behördenpost könnte nun noch viel mehr Clubs bevorstehen. Denn Scholz, inzwischen Vizekanzler und Finanzminister, will Vereine, die grundsätzlich keine Frauen aufnehmen, bundesweit nicht mehr als gemeinnützig anerkennen. «Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen», sagte er der «Bild am Sonntag».

2017 hatte der Bundesfinanzhof einer Freimaurerloge bereits die Gemeinnützigkeit abgesprochen, weil sie Frauen ohne sachlichen Grund ausschloss. Diese Entscheidung sei eigentlich für alle Finanzämter in Deutschland verbindlich, heißt es beim Bundesfinanzministerium. Doch sie führte zu vielen Nachfragen - und lange nicht alle Ämter handelten so konsequent wie die Hamburger.

Die schrieben zuletzt nicht nur Männer-Rudervereine an, sondern auch den Hamburger Ruderinnen-Club an der Alster, der jahrzehntelang nur Frauen akzeptierte. Man einigte sich: Männer müssen künftig aufgenommen werden - doch sie müssen nicht mit im Boot sitzen dürfen.

Tatsächlich gibt es in Deutschland noch eine ganze Reihe Vereine, die ausschließlich Mitglieder eines Geschlechts aufnehmen. Scholz spricht von Hunderten, der Verein Deutsches Ehrenamt eher von mehreren Tausend: Studentenverbindungen, Sportclubs, Schützenvereine, Chöre - mein lieber Herr Gesangverein!

Eine Ausnahme will Scholz bei der Gemeinnützigkeit zulassen: Vereine, die «bestehende geschlechtsbezogene Nachteile» beseitigen wollen, sollen auch weiterhin ausschließlich Frauen oder ausschließlich Männer aufnehmen dürfen. Eine Frauen-Selbsthilfegruppe muss also keine Herren akzeptieren.

Als gemeinnützig anerkannt zu sein, schafft Vereinen vor allem steuerliche Vorteile. So werden sie von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit, müssen keine Grundsteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Kapitalverkehrsteuer zahlen. Ohne die Gemeinnützigkeit bliebe von den Beiträgen der Mitglieder, von Spenden und Erbschaften nur ein Bruchteil übrig. Außerdem darf ein gemeinnütziger Verein Spendenquittungen ausstellen, die der Spender bei seiner Steuererklärung einreichen kann. Die Bereitschaft zu spenden steigt dadurch deutlich. Es geht für die Vereine also um viel Geld, für manche sicher auch um die Existenz.

Rechtsanwalt Gereon Gromek, der den Verein Deutsches Ehrenamt vertritt, hält Scholz' Vorstoß trotzdem für demokratisch gerechtfertigt. «Ein gemeinnütziger Verein muss der Allgemeinheit offenstehen», argumentiert er. Doch was bedeutet gemeinnützig eigentlich? Paragraf 52 der Abgabenordnung definiert genau, welche Vereinszwecke anerkannt sind: von der Förderung von Wissenschaft und Forschung über die Unterstützung von Tierschutz und Sport bis zum Engagement für Heimatpflege und Kultur, Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe.

Dabei spiele das Geschlecht ja wohl keine Rolle, argumentieren Kritiker von Scholz' Vorstoß. «Die Idee, einen Verein nur deshalb steuerlich schlechter zu stellen, weil er sich allein an Frauen oder Männer wendet, ist absurd», sagt etwa der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann. Schützenvereine, Freiwillige Feuerwehren und Landfrauen leisteten einen unersetzlichen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft. «Die Politik sollte unsere Vereine unterstützen, anstatt ihnen Steine in den Weg zu legen und sie als rückwärtsgewandt zu brandmarken.»

Kritiker vermuten auch, dass Scholz mit seiner Idee vor allem Wahlkampf macht. Denn der Vizekanzler steckt mitten im Kandidatenwettbewerb um den SPD-Vorsitz, geht in etwas mehr als einer Woche in eine Stichwahl. Scholz und seine Partnerin Klara Geywitz betonen davor gern, dass sie beide Feministen sind. Ideen und Abgrenzung von den Gegnern Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind gefragt.

Das Gemeinnützigkeitsrecht wollte Scholz allerdings ohnehin anpacken. Denn zuletzt hatten auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die Kampagnenorganisation Campact ihre Steuervorteile verloren. «Wenn Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, schlechter gestellt werden als jeder x-beliebige Verein, müssen wir das Steuerrecht ändern», hatte Scholz danach betont.

Bei einigen Männer-Vereinen scheint allerdings auch ohne Druck der Behörden ein Umdenken einzusetzen. So nimmt der Aachener Karnevalsverein, der jedes Jahr den «Orden wider den tierischen Ernst» verleiht, nach 160 Jahren jetzt Frauen auf. Und auch bei der traditionellen Bremer Eiswette dürfen in diesem Januar erstmals «Genossinnen» mit am Gala-Tisch sitzen - nach 190 Jahren.

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