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Der Schuh des Moritz Eggert. Foto: Hufner
Der Schuh des Moritz Eggert. Foto: Hufner
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Das zischende Geräusch der Schockstarre

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Absolute Beginners 2018/04
Publikationsdatum
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„Ich liebe Abgabetermine. Ich liebe das zischende Geräusch, dass sie beim Vorbeiziehen machen.“ So sprach Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“), der berüchtigt dafür war, bei Abgabeterminen in eine Art kreative Schockstarre zu verfallen.

Kompositionsstudenten dagegen verfallen meistens in eine Schockstarre, wenn sie KEINE Deadline haben. Und ganz ehrlich – die meisten Profis würden sich auch nicht ums Komponieren reißen, wenn Sie mal nicht gerade dringend einen Auftrag abliefern müssen. „Kreative Pausen“ – wie man sie gerne nennt – gehören genauso zum Geschäft wie persistierendes und hartes Arbeiten. Ein sehr disziplinierter und fleißiger Komponist wie Olivier Messiaen, der jeden Tag zusätzlich zu seinem enormen Kompositionspensum auch noch unterrichtete und Gottesdienste begleitete, verbrachte ganze Monate damit, zusammen mit seiner Frau fern von Tastatur und Schreibtisch seltene Vogelstimmen aufzunehmen. Natürlich nur, wenn er Mal gerade nicht komponieren musste. Ich bin sicher, dass er aus diesen Reisen sehr viel Energie und Inspiration für seine Arbeitsphasen gewann.

Kompositionsstudenten ohne einen Termin, ohne ein nahendes Klassenkonzert, ohne jegliches Ziel, würden wahrscheinlich aber nichts tun außer herumzuhängen. Ich weiß das, weil es mir selber so ging. Ich weiß noch genau, wie man sich als abgabeterminloser Student immer wieder aufraffte, um an irgendeinem „opus summum“ zu arbeiten, dann gerade mal ein paar Takte schaffte… und sich dann sofort mit Freunden im Biergarten traf, um sich von dieser Anstrengung erst einmal zu erholen. Mein „opus summum“ hatte tatsächlich den hochtrabenden Titel „Das Licht am Ende des Tunnels“, und Woche für Woche schleppte ich diese gigantische Partitur (in DIN A 1!) in die Hochschule und legte sie meinem armen Lehrer Killmayer vor. Das Problem mit diesem Stück war: ich schrieb es einfach nur so, ohne Auftrag und ohne Termin. Daher konnte es auch nie fertig werden. Stattdessen wucherte es einfach nur vor sich hin. Es war quasi mein Alibistück, um eine Pause zwischen zwei anderen Projekten zu überbrücken. Bis heute ist es nicht fertig geworden, und wahrscheinlich ist das auch besser so.

Doch ich bereue nicht, am „Licht am Ende des Tunnels“ gearbeitet zu haben. Denn – wie ich es meinen Studenten immer wieder zu sagen versuche – man lernt Komponieren nur durchs… Komponieren! Im Grunde ist es nämlich egal, ob die Stücke aufgeführt werden, ob sie fertig werden, ob sie perfekt werden…oder nicht. Erst im Scheitern und Ausprobieren erweitert man die eigenen Fähigkeiten.

Zum Ausprobieren gehört aber irgendwann dann eben doch die Aufführung. Das Problem dabei: Ein Stück kann nur aufgeführt werden, wenn es fertig ist. Und das erzeugt einen Teufelskreis: gibt es keine Deadline, kriegen die meis­ten Kompositionsstudenten nie etwas fertig. Gibt es aber eine Deadline, werden sie vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, auch nicht fertig. Im Grunde werden Kompositionsstudenten eigentlich nie mit etwas fertig, aber irgendwann kommt dann der Aufführungstermin, und ein paar tapfere Musiker spielen dann das, was irgendwie fertig geworden ist. Als Lehrer hat man dann die Aufgabe, immer wieder den strengen Mahner zu spielen, und den Studenten immer wieder bei der Erstellung ihrer eigenen Arbeitspläne zu helfen. Ich verbrachte einmal eine volle Kompositionsstunde damit, einem sich verzettelt habenden Studenten genau aufzuschreiben, wann er welches Stück fertig haben musste, und wie viel Zeit er jeweils dafür hatte. Ganz blass verließ er meinen Unterricht und sagte erst einmal die Hälfte ab. Das war sicherlich eine gute Lektion für ihn, denn sehr schnell wird man sich im späteren Berufsleben wieder danach sehnen, endlich KEINE Deadline zu haben.

Ach, ich weiß schon, welches Stück ich dann herausholen würde …
 

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