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Nachdenklicher Moritz Eggert. Foto: Hufner
Nachdenklicher Moritz Eggert. Foto: Hufner
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Der ewige Lehrer

Untertitel
Absolute Beginners 2017/10
Publikationsdatum
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Nach der Studienordnung beginnt ein Kompositionsstudium im Bachelor (4 Jahre), wird im Master fortgesetzt (2 Jahre), eventuell gibt es noch Meisterklasse oder diverse andere Postgraduiertenstudien (1+ Jahre) … aber irgendwann ist unweigerlich Schluss: man entlässt die Studenten in die wilde, weite Welt der Musik, wo sie auf sich allein gestellt im Dschungel der Stipendienbewerbungen und hoffentlich Kompositionsaufträge überleben müssen. Man sagt ihnen auf Wiedersehen und wünscht ihnen alles Gute, zumindest ist das an normalen Unis so. Nicht aber an Musikhochschulen.

Dort ist es nämlich so, dass man auf immer und ewig „Der Lehrer“ bzw. „Die Lehrerin“ bleibt … eine Verantwortung, die wie bei einem Elternteil nie wirklich endet. Nach wie vor kommen die Studenten zu einem, wenn sie sich mit irgendwas unsicher fühlen oder Rat brauchen, zum Beispiel bei einem neuen Stück. Und der Kompositionsunterricht geht im Grunde weiter, so als wäre nie etwas geschehen. Natürlich nicht mehr ganz so oft und regelmäßig wie früher, aber dennoch – der Kontakt bricht im Normalfall nie ab. Einziger Unterschied ist: Man wird dafür nicht mehr bezahlt (und will natürlich diese Bezahlung auch nicht mehr, es wäre einem peinlich). Und man hat nun dezidiert mit „Kollegen“ zu tun, nicht mehr mit „Studenten“.

Dies wird einerseits teilweise durch die relativ kleine „Szene“ der Neuen Musik begünstigt, in der man sich – ob man es will oder nicht – doch irgendwann einmal wieder über den Weg läuft oder miteinander zu tun hat. Aus Studenten werden eigenständige und hoffentlich auch erfolgreiche Kollegen, mit denen man dann in Jurys sitzt oder auf die man eine Laudatio hält, wenn sie einen Preis bekommen haben. Doch selbst wenn sie einem dann in vielerlei Hinsicht auf Augenhöhe begegnen anstatt als „Schüler“, man wird für sie auch dann noch die „kompositorische Instanz“ sein, deren Urteil ihnen wichtig ist. Und umgekehrt empfindet man nach wie vor Verantwortung für sie.

Auch für mich selber war dies nicht anders. Der vor kurzem verstorbene große Komponist Wilhelm Killmayer war für mich erst Lehrer, dann Kollege und Freund, aber immer und in jedem Moment sehr wichtige kompositorische Vaterfigur. Noch mit 40 rief ich ihn an, wenn ich musikalischen (oder auch sonstigen) Rat brauchte, und er sparte dann auch nicht mit Kritik und klaren Worten (genau deswegen rief ich ihn ja auch an). Killmayer war in vielerlei Hinsicht „alte Schule“ – während wir seine Studenten waren, siezten wir ihn, erst Jahre nach Studienabschluss bot er uns das „Du“ an. Heute ist das „Du“ an Hochschulen wesentlich verbreiteter, und gleicht sich hiermit zunehmend dem Verhältnis Meister und Lehrling im klassischen Handwerk an. Und auch dieses Verhältnis ist ein dauerhaftes, das normalerweise nicht mit dem Abschluss der „Lehre“ endet.

Noch unterrichte ich nicht so lang wie es Killmayer tat, aber ich merke schon jetzt, dass sich die Studenten nach wie vor an mich wenden, wenn sie Hilfe brauchen. Und wenn ich es irgendwie kann, versuche ich auch, ihnen zu helfen. Aber man ist auch manchmal traurig, dass man nicht mehr für sie tun kann, als freundlichen Rat zu geben – denn wenn die Studenten erst einmal aus dem Schutzraum einer Hochschule heraus sind, sind nicht mehr alle Probleme allein mit gutem Willen zu lösen. Vor allem wenn es um grundsätzliche Herausforderungen der freiberuflichen Existenz geht. Da kann man dann meistens nicht mehr machen, als Mut zuzusprechen, so wie es Killmayer uns gegenüber auch immer tat. Aber wie oft hat uns Killmayer auf wunderbare Weise Mut gemacht, vielleicht auch, wenn er selber mutlos war? Ich kann nicht anders, als seinem Beispiel zu folgen, und sage daher auch meinen Studenten immer und immer wieder: „coraggio!“

Ich muss es sicherlich noch oft tun.

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