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Schwarze Seminarstühle in geraden Reihen auf gefliestem Boden.

Reihe 9 im Kraftwerk des Museums Peenemünde. Fotos: mku

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Reihe 9 (#22) – Musik und Meer

Vorspann / Teaser

Die Spielzeitpause war früher eine ruhige Zeit. Wenn Bühnen und Konzerthäuser nach einem letzten Abend im Juli ihre Pforten für viele Wochen bis in den Herbst fest verschlossen, hatten Musikliebhaber hart daran zu knabbern. Die städtischen Institutionen verwaist, die Profis im Urlaub. Was blieb, das war eine Art von musikalischer Selbsthilfe. Gut kann ich mich noch daran erinnern, wie wir Mitte der 1980er mit unserem umtriebigen Dirigenten (und Pastor) Raimund Schneider in 16-köpfiger Auswahl-Besetzung, einem sogenannten Kirchentrio und den Noten einiger klein besetzter Mozart-Messen durch die Dorfkirchen und Klosterkapellen meiner schleswig-holsteinischen Heimat zogen. Im Internet hat das freilich keine Spuren hinterlassen – Inter-Was? Larry Page und Sergey Brin drückten damals noch als pubertierende Teenager die Schulbank …

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Die Versorgungslage änderte sich im hohen Norden 1986 mit der ersten Ausgabe des Schleswig-Holstein Musik-Festivals. In selten gewordener Eintracht von landesväterlicher Politik, kulturinteressierter Wirtschaft und viel Engagement nicht allein aus der wohlbetuchten Mitte stampfte es sich aus dem Boden. Heute habe ich den Eindruck, Ideen und kurze Wege seien zu jener Zeit fraglos höher bewertet worden als Prozesse und Controlling. Anders kann man sich die legendär gewordene Helikopter-Tour von Leonard Bernstein über die Wiesen und Felder des Landes nicht erklären. Es war noch Bonner Republik.

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Ein Flügel (nicht von einer Möwe) am Strand. Einige Meter entfernt eine Sammlung von Strandkörben. Noch ein paar Meter (im rechten Winkel zu Flügel und Körben): Das Meer.
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Das Festival wurde zum Exportschlager. Die Idee, nicht nur in Konzertsälen und großen Kirchen zu spielen, sondern auch aufs Land, gar in den Kuhstall zu gehen, ist unvergessen. Noch im selben Jahr folgten die Niedersächsischen Musiktage, 1990 bereits als Ableger die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Eine ganz eigene Form etablierte sich ab 1994 auf Usedom mit dem dortigen Musikfestival, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Immer wenn die Badegäste die Sonneninsel verlassen haben, die Strandkörbe in Reih und Glied ihren Abtransport erwarten und das herrlich dramatische Licht den Herbst ankündigt, zeigt sich die Insel von ihrer etwas herberen und damit vielleicht auch interessanteren Seite. Auf den Promenaden der drei Kaiserbäder lässt sich jetzt im Zwiebellook gemütlich schlendern, die Dampfertour lässt einen das Meer spüren und in den Cafés findet sich leicht ein schöner Platz. Musikalisch ist der gesamte Landstrich zu entdecken – bei einer Orgelrundfahrt im Bus oder einzelnen Konzerten, die konträrer nicht zu denken sind: Eröffnet wurde das Festival im Kraftwerk des Museums Peenemünde durchaus repräsentativ (Reden), prominent (Kanzlerin), sinfonisch (Repertoire), vor allem aber jugendlich-mitreißend (Baltic Sea Philharmonic unter Kristjan Järvi). Sein eigentlicher Charme aber war in Liepe, einem kleinen Dorf mit dem ältesten dokumentierten Kirchenbau der Insel, zu entdecken: Hier lebt noch der Geist von „Musik auf dem Lande“ mit überraschenden Begegnungen und hausgemachtem Kuchen. Eine wunderbar handgestrickte Atmosphäre, die auch die angereisten Kuratorinnen der Young Concert Artists aus New York ins Staunen versetzte.

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Ihr

Michael Kube

PS. Man muss sich bei der Anreise nicht zwangsweise auf einer gut vierstündigen Zugfahrt von Berlin aus entschleunigen lassen. In der Hochsaison werden für Eilige auch Flüge aus der Schweiz nach Heringsdorf (HDF) angeboten.

Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

 

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