Was nochmal sind Sie von Beruf? Verleger? Für welche Brauerei? In Zeiten, zu denen die Produktion von und die Rechte an Gedrucktem oder auch optisch am Bildschirm digital Wahrnehmbarem zunehmend in den Besitz weniger fetter Medienkonzerne wandert: Die Zahl von mittelständischen oder kleinen Verlagen aller Art hierzulande schrumpft. Mit ihnen verlässt jede Menge Kompetenz, Vielfalt und bunter Eigensinn den von blankem Ertragsdenken und gieriger Reizproduktion ausgedörrten Acker der Fantasie und der Information. Da ist man gelegentlich froh, dass wenigstens der Vertrieb gewisser Bier-Verlage blendend funktioniert. Wenn schon klimabedingt allgemein das Wasser knapp wird. Kultur-Gut gerät in unserer Gesellschaft vorwiegend zum Wirtschaftsgut, zum Anlageobjekt, zum angefeindeten, in seiner Funktion völlig verkannten „Sahnehäubchen“.

Theo Geißler. Gemälde von Anneliese von Markreither. Foto: Theo Geißler
Theos Kurz-Schluss: Wie ich einmal völlig überraschend Elementares über die Vergangenheit der Kunst der Zukunft erfuhr
Was bleibt einem da als kleiner, an den Rand gesellschaftlicher Wollust gedrängter Produzent und Mini-Multiplikator innovativer, wenig modischer, naturgemäß oft auch rezeptorische Anstrengung benötigender Bücher, Noten, Zeitschriften, – igitt – Shortcuts – übrig, wenn man noch einen Überlebenswunsch hat? Mit einem Bein in die Dschungelcamp-Jauche tauchen? Jedenfalls sparen, Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden, die einen steinigen Weg aus Überzeugung mithumpeln?
Da quält sich ein feiner Hoffnungsstrahl durch das materielle Hungertuch. Ein gewisser Politik-Zirkel in unserem zu Verbalschrott degenerierten Land der Dichter und Denker erinnert sich zwischen blühenden Panzer- und Drohnen-Börsen-Champions an den sogenannten Mittelstand. An dessen unterster Grenze knapp hinter Krabbenfischern und Hufschmieden wähnen wir unser kulturschaffendes, kulturpolitisches Kleingewerbe im gesamtgesellschaftlichen Ranking angesiedelt. Für Investitionen in technische Innovationen sollen aus irgendeinem der aktuell aufquellenden Etat-Milliardensäcke ein paar Penünzlein für nachweislich ameisenemsige Zwergmanufakturen abfallen.
Also: Erstmal das fünfhundertseitige Antragsformular aus dem Internet kopieren, nix kapieren und zehn Tausender Beratungshonorar an eine einschlägig renommierte Agentur löhnen. Warten. Warten. Warten. Dann eine Mail aus dem Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren usw.: „Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Antrag auf Förderung im Rahmen unseres Mittelstands-Multiturbo-Ultra-Doppel-Wumms-Inkubators bezieht sich im Wesentlichen auf den Erwerb neuer digitaler Technik und zugehöriger Software. Bitte wenden Sie sich deshalb an das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt …“. Machen wir, erhalten die Download-URL für einen fünfhundertseitigen Antrag. Füllen wir aus, detailreich mit Belegen unserer hinderlichen technischen Rückständigkeit. Software: Betriebssystem Windows 95. Textverarbeitung und Korrespondenz: Wordpad. Grafik: Pagemaker drei. Bildbearbeitung: Pixelpack (Freeware 1998). Programmierung: Basis-Basic mit Pokes- und Peeks-Eingabegeräten aus zwei Heftklammer-Affen von einer Praktikantin selbst entwickelt. Hardware: Acht Tower 486-sx verschiedener Vobis-Sonderangebote, teils mit Maus, 12-Zoll Schwarzweiß-Bildschirme. Um unsere trotz technischer Antik-Ausstattung bemerkenswerte editorische Leistungsfähigkeit zu beweisen, lieferten wir mit getrennter Post einige unserer Zeitschriften und drei in technischer Koproduktion mit Penguin produzierte 4-C-Wälzer nach. Hast du nicht gesehen flatterte nach vier Monaten ein bedrucktes A-5-Kuvert in unsere Verlagsstube. Farbig bedruckt mit Bundesadler, in der linken Kralle eine Rakete, rechts statt Kralle eine Samtpfote, drin ein Bärchen. Auf handgeschöpftem Büttenpapier mit Tinte in Handschrift: Unser Antrag wirke begründet. Man würde in den nächsten Tagen ein vierköpfiges Beratungsteam zu uns schicken, das angesichts unserer inhaltlich wirklich nicen Arbeit den nötigen Förderbetrag für ein superturboschnelles Aufwachsen unserer Produktion ermittle. Schließlich hätten wir kulturell betrachtet unbedingt das Momentum. Wir pflegten insgesamt ein echt geiles Narrativ. Wichtig wirke auch noch das Pampern in Sachen Resilienz gegen Hacker. Dann hätten wir einen Punkt. Am Ende des Tages stünden wir dann so da, wie wir es verdienten. Bei angemessener Pressearbeit des Ministeriums eine echte WinWin-Situation. Au Backe. Natürlich hatten wir bei der Beschreibung unseres Equipments ein ganz klein wenig geschummelt. Flugs verlagerten wir die (in der Tat ziemlich veralteten, kaum Windows-11-tauglichen) Compis tief in den Keller hinter unsere üppigen Remittenden. Ein alter Spezi vom städtischen Werkhof lieferte uns gegen ein paar Kästen Bier alte Mühlen, die glücklicherweise gerade aus den Bürgerbüros der Stadt entsorgt und gegen Taschenrechner ausgetauscht worden waren. Sie entsprachen in der Tat unseren Angaben ziemlich genau. Als Dreingabe schenkte er uns die Kopie eines Zuse-Fotos, bekanntlich der deutsche Entwickler des allerersten elektronischen Rechners. Ehrenplatz im Büro! Ein, zwei Monate arbeiteten wir also im Keller. Dann kündigten sich die Berater an. Erfreulicherweise waren es nur zwei, (schon aus Platzgründen, der von mir im Vorfeld bei ebay erstandene Farb-Laserdrucker, Baujahr 1998, verdrängte überraschenderweise 14 Kubikmeter). Etwas bang war uns schon – völlig unnötigerweise, wie sich rasch herausstellte. Die beiden Mittsechziger stellten sich nämlich als Fans der sogenannten „Demo-Szene“ vor. Ich wollte sie schon mit einem fröhlichen „Völker – hört die Signale“ begrüßen, da fielen sie mir gottlob mit der Info ins Lied, sie seien eben Spezialisten für antike Computer und Computerkunst. Mit letzterer hatte ich wirklich noch nie was am Hut, sah aber die glänzenden Äuglein der Berater-Demonstranten. Fast im Duett erklangen Adjektive wie „super, ausgezeichnet, wunderbar“ in meine erfreuten Ohren. Dann erfuhr ich, dass in Münchens Deutschem Museum das sogenannte Bergwerk wegen Verherrlichung der Karbonisierung drastisch verkleinert und stattdessen „die Geschichte der Computer“ als Substanz der Vergangenheit, Plattform der Zukunft viel Platz greifen solle. Meine elektronischen Antiquitäten, insbesondere der Laserdrucker, brächten uns wenigstens eine viertel Million. Ob das für den Aufbau meiner Firma reiche? Mal ganz ehrlich: Was hätten Sie gesagt?
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur
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