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Begegnungen mit dem Progressiven

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Beobachtungen vom diesjährigen „Jazz & The City“-Festival in Salzburg
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Abgesehen von ein paar Tropfen war vom berühmten Salzburger „Schnürlregen“ nichts zu sehen, dafür oft prächtiger Sonnenschein und stets Temperaturen über zwölf Grad – die Rahmenbedingungen waren also perfekt für „Jazz & The City“, das Salzburger Jazz-Festival, das wie kein anderes für Flaneure gemacht ist. Denn (fast) alle Spielorte liegen fußläufig in der Altstadt, und die überlappenden Termine fordern geradezu dazu auf, von einem Konzert zum anderen zu pilgern.

Seit die Elbjazz-Erfinderin Tina Heine 2016 die Intendanz, wie das in Österreich so schön heißt, übernahm, hat „Jazz & The City“ nochmal ganz neuen Zug bekommen. Offenheit, Experiment und Begegnung stehe seither ganz oben auf der Agenda. Als geborene Netzwerkerin brachte Heine nicht nur die wichtigsten Kreativen der Musikstadt unter den Hut des veranstaltenden Altstadtverbandes, sondern auch gleich ihr Hamburger Team und die wichtigsten Exponenten der jungen internationalen Jazzszene.

Anders als bei den meisten Festivals spielen die Musiker nicht ein Konzert herunter und verschwinden dann wieder. Die meisten bleiben mehrere, wenn nicht alle vier Tage und präsentieren sich in mehreren Besetzungen oder Projekten auch bei „Blind Dates“ oder Jam Sessions spontan mit anderen Teilnehmern: Begegnungen, aus denen bereits Projekte (und Beziehungen, teilweise sogar mit Kindern) hervorgegangen sind. Außerdem erwies Heine erneut ihr Gespür des genius loci. Mehr als hundert Konzerte in bis zu 50 Spielorten nur in der Altstadt demonstrierten so nicht nur die Vitalität der Jazzmusik, sondern auch die Einmaligkeit dieser doch eigentlich so kleinen Mozartstadt.

Auch wenn wegen Corona die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen, hat sich die diesjährige Ausgabe den Kern dieser Veranstaltungsidee erhalten. Es gab – eingerahmt vom Entertainment des swingend-singenden Spaßvogels Ian Shaw und dem Salzburg Swing Orchestra als Eröffnungs- und Schlusskonzert – bei den 58 Konzerten in 17 Spielorten immer noch eine Crème de la Crème vor allem der europäischen Progressiven zu erleben: von Oli Steidles „Killing Popes“ bis zur „Kuhlen Wampe“ mit dem einzigartigen, in der Tradition Jandls, Qualtingers oder H. C. Artmanns stehenden Performer Christian Reiner; von Marius Neset bis Pascal Schumacher; von den französischen Bands von Leon Phal, Edward Perraud oder Gaultier Toux bis zu Jas Kayser, Myele Manzanza oder Fergus McCreadie aus der angesagten britischen Szene; von Festival-Stammgästen wie Max Andrzejewski oder Almut Kühne bis zu Newcomern wie Rosie Frater-Taylor oder Victoria Antons „Leleka“. Viele kamen mit diversen und neuen Besetzungen: Johanna Borchert etwa mit Pamela Stickney am Theremin, Asja Valcic im Duo mit Raffael Preuschl und im Trio mit Klaus Paier und Gerald Preinfalk, das Pablo Held Trio mit dem brasilianischen Gitarristen Nelson Veras, Daniel Erdmann nicht nur mit Aki Takase (neben Maria João so etwas wie die einzigen Altstars), sondern auch mal wieder mit „Das Kapital“. Fast immer waren die Säle oder Plätze voll, mit Jazzfans teilweise von weither, mit Kollegen, aber nicht zuletzt mit einem interessierten Laufpublikum, das so die immer noch viel zu wenig allgemein bekannte Weitung des Jazzbegriffs mitbekam. Denn „Jazz & The City“ ist vor allem ein Fes­tival für die Salzburger selbst, ein Gegengewicht zum Mozart-Kult und zur „Getreidegassenhauer-Kultur“ für die Touristen. Es wäre jammerschade, wenn die jetzt wieder sehr sparwütigen Politiker und sonstigen Amtsträger das übersehen und das Festival kleinholzen – was auch hier wie aktuell überall zu befürchten steht.

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