Mit der Uraufführung der Oper „Adam und Eva“ von Mike Svoboda eröffnete die künstlerische Leiterin Cornelia Bend die 73. Ausgabe der 1952 gegründeten Schwetzinger Festspiele. Zu deren Traditionen gehört neben wiederentdeckten Barockopern und Kammermusik mit internationalen Stars schon immer auch das Innovative: Zur musikalischen Vielfalt zählt auch die Neue Musik als unverwechselbares Markenzeichen der Schwetzinger SWR Festspiele, dem, laut SWR-Programmdirektorin Anke Mai, „wichtigen Aushängeschild des SWR“.

Nicht biblisch: Génesis Betriz López Da Silva und Sebastian Hufschmidt als Einhornpärchen. Foto: Fernando Fath
Alte Geschichte, neue Oper
Seit 1957 präsentieren sich Komponisten und Komponistinnen mit jeweiligen Statements zur Gegenwartsmusik, die meist in Koproduktion mit größeren Opernhäusern entstehen. Vier Mal war Hans Werner Henze dabei, drei Mal Georg Friedrich Haas, viele illustre Namen brachten über die Jahrzehnte neue Musik in den Rokoko-Saal des Schwetzinger Schlosses. Ohne ihre Opern-Ouvertüren sind die unter neuem Namen firmierenden Schwetzinger SWR Festspiele nicht vorstellbar.
Warum dieses Jahr im Operngraben allerdings nicht das SWR Orchester saß und der SWR Chor „nur“ mit einer Zuspielung dabei war, kann nur gemutmaßt werden. Im Zweifel für den SWR: Engpässe in der Orchesterdispo können vorkommen, als fehlendes Commitment des SWR muss der Vorgang nicht gedeutet werden. Nächstes Jahr, so Cornelia Bend, seien SWR Chor und Orchester wieder mit dabei. In die Lücke, die die Abwesenheit des Orchesters aufriss, sprangen die Musiker des HR-Orchesters, gemeinsam mit einem sich sehr überzeugend präsentierenden Sonderchor des Linzer Landestheaters, das Koproduzent der diesjährigen Uraufführung war. Die Kooperationen mit anderen Theatern zählen ebenfalls zu den Schwetzinger Traditionen, und das aus gutem Grund: Im Gegensatz zu den Uraufführungsfestivals kann eine neue Produktion, die in Schwetzingen das Licht der Welt erblickt, sofort in den Spielplan des jeweiligen Partners aufgenommen werden. Die Wiederaufführung ist garantiert.
„Adam und Eva“ nach der Komödie des DDR-Dramatikers Peter Hacks ist nicht, wie man vermuten könnte, ein Aufguss der Geschichte des Sündenfalls, sondern eine heute noch gültige Parabel auf die Verhältnisse in der DDR der 70er-Jahre. Dass die ehemaligen DDR-Bürger ihr „Paradies“ inzwischen verlassen haben und ihre Geschicke seit 1990 selbst in die Hand nehmen, ist jüngste Geschichte. Die ostdeutschen Adams und Evas sind Bürger der Bundesrepublik Deutschland geworden, und zwar in allen denkbaren Ausprägungen vom Bürgerrechtler bis zum Problembürger.
Denkt man an 1989, fällt es schwer, Hacks 1972 verfasste biblische Komödie nicht in Zusammenhang mit dem Mauerfall und der Auflösung der DDR zu bringen. Unwissentlich hat Hacks das Ende des Kommunismus als praktiziertes System in seiner Komödie „Adam und Eva“ vorweggenommen. Die Librettistin Anne May Krüger stammt aus der DDR-Hauptstadt Berlin und war 11 Jahre alt, als die Mauer fiel. Sie erlebte die Vertreibung aus dem „sozialistischen Paradies“ als Teil ihrer eigenen Biographie. Zudem war sie mit Hacks Hörspielen für Kinder aufgewachsen und ist von daher mit seiner Sprache und seinem Denken vertraut.
„Adam und Eva“ ist ein archetypischer Stoff, jedes Kind kennt die Geschichte und jeder Mensch hat in seinem Leben schon einmal im übertragenen Sinne in einen Apfel gebissen, wenn er eine schwere Entscheidung zu treffen hatte und hinterher vielleicht klüger war. Davon profitieren Komponist und Residenzkünstler Mike Svoboda und seine Librettistin. Mit Hacks teilen beide auch das Schreiben und Vermitteln ihrer Klänge an ein junges Publikum: Vier Kinderopern hat Svoboda bereits komponiert, „Erwin, das Naturtalent“ (2005/07), „Die Katze, die ihre eigenen Wege ging“ (2019), „Robin Hood - too good to be true“ für Mezzosopran und fünf Blechbläser (2012) und „Der unglaubliche Spotz“ (2007).
„Adam und Eva“ ist Svobodas erstes Projekt, bei dem er auch an ein erwachsenes Publikum gedacht hat, als Altersangabe steht im Programmbuch „ab 15 Jahren“. Ganz so hart wie in einem CinemaxX-Film geht es aber deshalb nicht zur Sache. Ein Stoff für Erwachsene ist es nicht nur wegen der vieldeutigen Vorlage von Peter Hacks, sondern weil Svoboda hier scheinbar gerne die Gelegenheit ergreift, Oper für Erwachsene zu schreiben – opulent, farbenreich, raffiniert in den Wirkungen, auch dem Festivalmotto folgend „verführerisch“. Svobodas Musik erzählt, unterhält, ist einfallsreich, treibt die Handlung voran und bietet vor allem den Solistinnen und Solisten bei jeder Arie, bei jedem Duett Gelegenheit, sich zu zeigen. Svoboda profitiert von exzellenten Protagonisten und diese wiederum von seiner Musik, die er ihnen auf den Leib geschrieben hat. Auch darin steht die neueste Festival-Produktion in der „höfischen Tradition“ des Schwetzinger Rokoko. Koloratursopranistin Morgan Heyse stellt mit glockenhellen, goldenen Tönen einen naiv-gottesfürchtigen Erzengel Gabriel dar, der sich zur Freude des Publikums von Satanael musikalisch aufs Kreuz legen lässt. Der Mezzo von Manuela Leonhartsberger als Satanael kann zusammen mit den Partien des Adam Svobodas Melodienseligkeit ausleben. Unangestrengt meistert Leonhartsberger anspruchsvolle Partien und dem, was Hacks an Komödie, Witz und Ironie bereithält, gibt ihr Satanael noch in einer Art musikalischen Tiefenschicht Empfindung und Emotion.
Alexander York als Adam glänzt als naiver Tor mit makellosem Tenor, und Tina Josephine Jaeger als Eva ist weniger sinnliche Verführerin als Kindfrau, deren Melos sich ganz an Adams starke Stimme anschmiegt.
Den Opernchor bester Linzer Qualität ergänzt der Komponist um das verfremdende Element zweier Einhörner, Génesis Betriz López Da Silva und Sebastian Hufschmidt, die mit absurd-grotesken Duetten die Handlung zum Stillstand bringen und das Publikum zum Schmunzeln und Nachdenken. Dass die Musik präsent und räumlich ist, ist nicht nur dem perfekten Zusammenklang aller Beteiligten – Dirigent, Orchester und Solisten – zu verdanken, sondern auch den Fähigkeiten der Tonmeister des SWR Experimentalstudios Freiburg, das den SWR Chor aus dem Gehölz in den Zuschauerraum spielt.
Gott kann alles, nur nicht singen. Sebastian Hufschmidt bringt einen allmächtigen und zugleich bemitleidenswerten Gottvater auf die Bühne, der damit klarkommen muss, dass seine Kinder sich von ihm emanzipieren.
Die Zuseherinnen folgen dem bunten Treiben auf der Bühne mit bekannt schlechtem – oder doch dialektisch gesehen gutem – Ausgang und sind dabei von Kopf bis Fuß eingehüllt in Svobodas verführerisch-schöne Musik, bei der ihm – in Anlehnung an einen seiner Hausgötter, den Komponisten Erik Satie – möglicherweise die Form eines wohlschmeckenden Apfels vorschwebte.
- Alle Veranstaltungen wurden von SWR Kultur aufgezeichnet oder live übertragen. Ab 29. November 2025 ist die Produktion „Adam & Eva“ in der BlackBox im Linzer Musiktheater zu erleben.
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