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Wer sich auf die Schneekönigin einlässt, läuft Gefahr, auf Dauer zu erstarren. An der Semperoper Dresden spielt der renommierte Bass Georg Zeppenfeld die „Snow Queen“ mit diabolischer Grandezza. Foto: Mark Schulze Steinen/Semperoper Dresden

Wer sich auf die Schneekönigin einlässt, läuft Gefahr, auf Dauer zu erstarren. An der Semperoper Dresden spielt der renommierte Bass Georg Zeppenfeld die „Snow Queen“ mit diabolischer Grandezza. Foto: Mark Schulze Steinen/Semperoper Dresden

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Eiskalte Schattenwelt – An der Dresdner Semperoper entzückt „The Snow Queen“ von Hans Abrahamsen

Vorspann / Teaser

Sie muss und sie will und sie wird: Kay retten, den besten Freund. Er ist ihr abhandengekommen, ging einer frostigen Macht auf den Leim. Hat den Blick verloren für das Gute und Wahre, hat sich verhärten lassen und ist nun weit, weit weg. Gerda erkennt ihre Mission. Das Mädchen bricht auf, zieht los. Mutig und erschrocken zugleich, wild entschlossen, allen Fährnissen zum Trotz. Sie geht über Grenzen, durchbricht Raum und Zeit und findet tatsächlich mitten im Sturm ihren, ja tatsächlich, Liebsten. Gerda wächst über sich hinaus. Sie verliert ihre Unschuld, weil sie versteht: dass da Gute sind, die sie leiten und tragen, dass da Böse sind, außen weiß und innen abgrundtief düster, dass aus Mitleiden Erlösung werden kann – für immer und ewig.

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Wieder und wieder ist diese Geschichte erzählt worden, ein Märchen von Hans Christian Andersen, so wahr wie schön. Ein Plot, der trägt im Film und auf der Bühne und eben auch im Musiktheater. In der Semperoper steht „Die Schneekönigin“ auf dem Winter-Spielplan, als Dresdner Erstaufführung der Oper „The Snow Queen“ des dänischen Komponisten Hans Abrahamsen. 2019 feierte er mit diesem Werk sein Debüt im Opernfach; zunächst in der dänischen Fassung an der Königlichen Oper Kopenhagen, dann in englischer Sprache an der Bayerischen Staatsoper in München. Nun also Dresden, wo dieses Werk am Abend des zweiten Adventssonntags das Premierenpublikum entzückt.

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Die Inszenierung von Immo Karaman entführt in eine Welt, in der die Ebenen von Traum und Wirklichkeit vielschichtig ineinandergreifen. Gerade noch lauschen Gerda und Kay der vorlesenden Großmutter, schon geraten sie mitten hinein in eine Schattenwelt, die fasziniert und befremdet zugleich. Fast scheint es, als blättere sich ein Bilderbuch auf der Bühne auf, so stark konturiert sind die einzelnen Szenen in Klang, Kulisse und Kostüm. Es entsteht ein großes Ganzes, das immense Sogwirkung hat. Sollte man hier einen Hauptakteur benennen, dann wäre es zuallererst Abrahamsens ungemein dicht arrangierte Musik. Als hochkomplex beschrieben (an einer Stelle braucht sie gar zwei Dirigenten!), ist sie beim hörenden Erleben so gar nicht kompliziert. Sie fasst an und reißt mit, unterstreicht die emotionale Zerrissenheit der jungen Gerda, gibt dem Sturm und der drängenden Eile den passenden Rhythmus, der Kälte ein klirrendes Flirren und verhallt am Ende im unermüdlichen Ticken der Uhr. Die Zeit vergeht, immerzu.

Im Orchestergraben überzeugt die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der umsichtigen Leitung von Titus Engel, der mit „The Snow Queen“ erstmals in der Semperoper am Pult agiert. Bravourös und souverän, es ist zu spüren, dass er die musikalische Sprache von Hans Abrahamsen kennt, versteht und vermitteln kann. Auf der Bühne brilliert die Sopranistin Louise McCelland Jacobsen als Gerda. Ihre Figur ist der rote Faden in dieser Coming-of-Age-Geschichte, die auch eine Erzählung über die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit ist. Selbstredend braucht es da eine Stimme, die enorm wandlungsfähig ist.

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Trügerische Idylle: Die Blumen wollen mit Gerda (Louise McClelland Jacobsen) nicht nur spielen ... Foto: Mark Schulze Steinen/Semperoper Dresden

Trügerische Idylle: Die Blumen wollen mit Gerda (Louise McClelland Jacobsen) nicht nur spielen ... Foto: Mark Schulze Steinen/Semperoper Dresden

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Den von Gerda unentwegt gesuchten und damit zugleich besungenen Kay gibt Valerie Eickhoff. Die Mezzosopranistin, seit der Saison 2024/25 fest an der Semperoper engagiert, zeigt ihre gesangliche und darstellerische Klasse in der anspruchsvollen Partie des Jungen, dessen Blick und Herz allmählich erstarren, sich schlussendlich aber doch wieder erweichen lassen. Große Freude macht Georg Zeppenfeld, der doppelt und dreifach zu erleben ist: als Schneekönigin (mit diabolischer Grandezza), als Rentier (mit altersweiser Bedächtigkeit) und als Uhr („Tick-tick-Tick“). Simeon Esper trumpft mit komischem Talent als Krähe auf, Christa Meyer als Großmutter, Finnenfrau und als die Alte Frau, die ihre Puppen, die marionettengleichen Blumen, tanzen lässt. David DQ Lee, Jasmin Delfs, Mario Lerchenberger, Anna Sax-Palimina und Maria König machen das Ensemble komplett. Dazu kommen die Abteilungen Chor (Einstudierung: Jonathan Becker), Tanz und Komparserie (Choreographie: Fabian Posca) sowie letztlich das gesamte Haus (Dramaturgie: Benedikt Stampfli). Es ist zu spüren, mit wieviel Leidenschaft hier etwas gemeinsam gestaltet worden ist.

Das stabil Vertraute gerät aus dem Lot

Das Bühnenbild (Arne Walther) setzt auf den Gegensatz von draußen und drinnen, von Nähe und Ferne. Hier öffnen und schließen sich Räume. Versatzstücke greifen ineinander; es entstehen bedrohliche Fluchten. Das stabil Vertraute – mit Bett, mit Stuhl, mit Tisch – gerät ganz offensichtlich aus dem Lot. Was die Effekte von Licht (Fabio Antoci) und Videosequenzen (Philipp Contag-Lada) wirkungsvoll unterstreichen. Nicola Reichert hat die Märchenfiguren herrlich fantasievoll ausstaffiert: die Raben mit einem schwarzen Federwedel, die Schneeflocken brautähnlich in Weiß, die Lausbuben in wollenen Ringelpullis und Gerda zumeist in einem sonnengelben Kleid. Der Dress der jungen Heldin wird mit dem Kind erwachsen – vom Kopf bis zum Fuß in den später roten Pumps.

Anrührend ist das Finale, eine Rückschau von Gerda und Kay, ein Blick (vielleicht) auf das innere Kind. Denn natürlich lässt sich das Märchen zunächst psychologisch deuten. Es geht um Werden und Wachsen, um ein Reifen, das sich in Krisen bewährt. Um Ja sagen und Nein, um Emanzipation und Wirksamkeit. Diese Oper mag aber auch als Mahnung taugen. Sie hat durchaus eine politisch-gesellschaftliche Moral, ist ein Plädoyer für Aufmerksamkeit und Mitgefühl. Beides hat die Kraft, im Miteinander der eiskalt berechnenden Saat von Zwietracht und Ausgrenzung etwas entgegenzusetzen: Klugheit, Weitsicht, Liebe.

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