Hauptbild
Denis & Katya | Bitna Song, Sherry Kim, Ks. Katja Bildt, Ks. Máté Sólyom-Nagy, Anastasia Rollo, Eugen Mantu. Foto: Lutz Edelhoff

Denis & Katya | Bitna Song, Sherry Kim, Ks. Katja Bildt, Ks. Máté Sólyom-Nagy, Anastasia Rollo, Eugen Mantu. Foto: Lutz Edelhoff

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Faktennebel in der Oper „Denis & Katya“ und am Theater Erfurt

Vorspann / Teaser

Bei der Hauptprobe am 29. Januar merkte man nichts von den Querelen um den nach 22 Intendanzjahren von der Stadt Erfurt beurlaubten und kurz darauf wieder bis zum Ende der Spielzeit 2023/24 eingesetzten Guy Montavon. Man vernimmt vor allem durch die Tageszeitung „Thüringer Allgemeine“ unter anderem, dass sich das Philharmonische Orchester Erfurt verletzt fühlt und der Landesfrauenrat am 31. Januar mit einer Solidaritätsaktion ein „Zeichen gegen Sexismus und Machtmissbrauch“ am Theater Erfurt setzt. Der MDR erwähnte am Vormittag des 30. Januar „Verdachtsfälle auf sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch“. „Die bisherige Verwaltungschefin Angela Klapp-Pallas soll ihren Posten räumen“ (MDR) und eine Stelle in der Stadtverwaltung erhalten. Die wichtige Durchlaufprobe von Philip Venables‘ Oper „Denis & Katya“ (Uraufführung war 2019 in Philadelphia) verlief trotzdem reibungslos, unbeeinträchtigt und auffallend ruhig. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Am Theater Erfurt sind die (Orchester-)Hauptproben für Medien und theateraffine Gruppen wie die Volkshochschule geöffnet. Das ist dort sogar bei kompliziertesten Partituren und Arbeitsprozessen üblich und wird von einigen als Gewohnheitsrecht betrachtet. Im Trubel um Noch-Generalintendant Guy Montavon passieren wenige Bestager*innen aus der kulturaffinen Bürgerschaft die vor wenigen Monaten in Pandemie-Nachwehen nur unter strengen Auflagen zugängliche Bühnenpforte. Das Sänger-Duo für Philip Venables‘ „Denis & Katya“ zeigt keine Nervosität oder Gereiztheit. Die Medienpräsenz ist angesichts der Begleitumstände und im Vergleich zu anderen Produktionen gering. 

Von gelungener und weniger gelungener Theater-, Orchester- und Personalarbeit spricht niemand in diesen Tagen. Dabei ist zum Beispiel der Dauerfrust des Philharmonischen Orchesters Erfurt bestens nachvollziehbar. Nachdem Joana Mallwitz von der GMD-Stelle in Erfurt zur Staatsphilharmonie Nürnbergs enteilte, erfüllte der von Montavon favorisierte Grieche Myron Michailidis bei Opern-Preziösen von Zandonais „Giulietta e Romeo“ bis Tschaikowskis „Jungfrau von Orléans“ die hohen Erwartungen nur äußerst selten. Nach einem weiteren gescheiterten Stellenbesetzungsfall gab der Amerikaner Alexander Prior die Erfurter GMD-Position nach einem Jahr auf mit dem Argument, er sei für Verwaltungsarbeit nicht geeignet. Jetzt steht ab März die Premierenfolge von Wagners Vierteiler „Der Ring des Nibelungen“ an und belastet die Planungsfreiheit eines neuen Leitungsteams. Vergessen ist derzeit, dass das unter Montavon entdeckungsfreudige Theater Erfurt es mit Reyers „Sigurd“ auf die Titelseite des Fachmagazins Opernwelt und mit Paul Dessaus „Lanzelot“ in Koproduktion mit dem DNT Weimar zu Opern-Entdeckung Jahres schaffte. Montavons „Griechische Spielzeit“ 2022/23 ist ohne weiteres ein imposanter Höhepunkt der mitteldeutschen Musiktheater-Geschichte nach 1989 und die dramaturgische Gegenwartsrelevanz der Studio.Box-Leitung vorbildlich. 

In deren Konzeption passt die erste Produktion von Philip Venables‘ Oper „Denis & Katya“ nach der deutschen Erstaufführung in Hannover optimal. Wie Parras und Raus „Justice“ in Genf handelt es sich um eine Dokumentation der außergewöhnlichen Opernart. Die Mezzosopranistin Katja Bildt und der Bariton Máté Sólyom-Nagy sind beide Kammersänger*in und Säulen der Ära Montavon. Sie singen und agieren als Stimmen mehrerer Personen auf der Suche nach der nicht ergründbaren Wahrheit aus Chats, Posts und Messages über den gewaltsamen Tod von Denis Muravyov und Katya Vlasova. Eine wahre Begebenheit: Die zwei russischen Jugendlichen steigerten sich 2016 nach einem Streit mit den Eltern in einer Jagdhütte in einen digitalen Rausch. Unter der Applaus-Befeuerung ihrer Followers eskalierte die Situation unter ungeklärten Umständen. Warum? Das bleibt bis heute ungewiss. Das Studio.Box-Team Markus Weckesser (Regie) und Mila von Daag (Ausstattung) konzentriert sich in der szenischen Vergegenwärtigung der digitalen und investigativen Recherche auf das Wesentliche. Wie auch Venables und sein Texter Ted Hoffman. Auf eine weißen Quadratfläche agieren die beiden Sänger als halb wissende Stimmen und Repräsentanten, an den Ecken sitzen vier Cellist*innen. Diese hält Dirigent Stefano Cascioli über akustische Signale in Präzision. Im Video-Design von Pierre Martin Orio sind das Wichtigste die Chat-Einblendungen zum irritierenden Tod der Jugendlichen. 

Wie die Lage des Theaters Erfurt bis heute kommuniziert und beobachtet wird, bleibt wie in „Denis & Katya“ der Farbspiegel von Fakten und Informationen vor allem nebelgrau. Die nächsten Premieren bleiben wie angekündigt. Also kann nicht alles doch nicht so schlecht gewesen – außer das Finanzloch durch den deutsch-französischen Domstufenfestspiel-Hit „Fausts Verdammnis“, nachdem die Penisattrappen im säkularen Ostdeutschland durch eine bischöfliche Gegenstimme für Bagatellskandalisierung im Sommerloch 2023 herhalten mussten. Seitdem hängt der Haussegen am Theater Erfurt auch in der öffentlichen Wahrnehmung unmissverständlich schief. 

  • Premiere am 01.02.2024 – Weitere Termine: 21.02.2024, 20 Uhr | 22.02.2024, 10 Uhr | 09.03.2024, 22 Uhr | 17.03.2024, 18 Uhr | 07.04.2024, 20 Uhr | 30.04.2024, 20 Uhr | 16.05.2024, 19.30 Uhr, jeweils in der STUDIO.BOX 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!