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Thomas Rietschel ist Geschäftsführer der Jeunesses musicales Deutschland und war als Mitglied der Vorbereitungsgruppe eine der treibenden Kräfte für das Zustandekommens der "Aktion Musik" auf der Klassik Komm. 1997 in Hamburg. Die nmz stellte fünf Fragen zur Sache.
nmz:Was versprechen Sie sich von Ihrem Engagement?
Rietschel: Es geht um etwas ganz Grundsätzliches: Kulturelle Bildung muß in unserer Gesellschaft wieder ein Thema werden. Sehr viele Menschen betrachten kulturelle Bildung als einen Luxus, den man sich leisten kann, wenn man das Geld dazu hat. Die "Aktion Musik" (wir sollten noch einen besseren Namen dafür finden) soll einen Umdenkungsprozeß einleiten: kulturelle Bildung und hier speziell die musikalische Bildung muß als etwas Überlebensnotwendiges für unsere Gesellschaft erkannt werden. Festmachen wollen wir diese Aktion am zunehmenden Abbau des Musikunterrichtes an den öffentlichen Schulen. Daß dieser Unterrichtsabbau ohne großen Aufschrei der Öffentlichkeit hingenommen wird, zeigt uns welch schwachen Stand die kulturelle Bildung im Moment hat. Das wollen wir verändern. Ein weiteres Ziel der "Aktion Musik" ist sehr viel kurzfristiger: wir wünschen uns, daß alle Kräfte, die im Musikbereich tätig sind ihre alten Grabenkämpfe aufgeben, und sich gemeinsam für diese Sache einsetzen. Wir haben in der Vorbereitungsgruppe der KlassikKomm erlebt, wie befruchtend die gemeinsame Diskussion von Vertretern der Medien, der Verbände und der Musikindustrie war, und wir haben festgestellt, daß es bei allen inhaltlichen Differenzen, die ja nicht beschönigt werden sollen, eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen gibt, die wir zusammen viel stärker und besser vertreten können.
nmz: Wie stellt sich aus Ihrer Sicht der Zusammenhang zwischen musikalischer Bildung und dem Engagement auf einer sogenannten CD-Hersteller-Messe dar?
Rietschel: Die Klassik Komm ist keine "CD-Herstellermesse". Die KlassikKomm versteht sich als Forum für das Thema Musik, als Ort an dem alle die mit Musik zu tun haben, miteinander in Gespräch kommen können. Es geht also nicht um kaufen und verkaufen, sondern es geht um Kommunikation. Die KlassikKomm soll das Forum sein, auf dem beide Seiten, die Musikindustrie und die Vertreter der musikalischen Bildung aufeinander zugehen. Gerade die Musikindustrie hat größtes Interesse daran, daß ihr mit der musikalischen Bildung nicht auch die Kunden von morgen weggespart werden.
nmz: Was wäre aus Ihrer Sicht das optimale Ergebnis der "Aktion Musik"?
Rietschel: Auf lange Sicht wünsche ich mir, daß kulturelle Bildung (und das schließt für mich alle anderen Kunstformen mit ein) auf allen politischen Ebenen - beim Bund, beim Land und bei den Kommunen - zur Pflichtaufgabe wird. In Zukunft dürfen nicht mehr die hohen Kosten der Kläranlage als Argument benutzt werden, um die Mittel der Musik-schule zu streichen. Die Gesellschaft muß nicht nur eine saubere Umwelt, sondern auch die Bildung der Menschen als ihre Pflichtaufgabe begreifen. Dieses Ziel ist nicht sofort erreichbar und die "Aktion Musik" kann hier nur einen langfristigen Prozeß anstoßen. Wir müssen in der breiten Öffentlichkeit ein Bewußtsein dafür schaffen, daß kulturelle Betätigung notwendig ist, überlebensnotwendig. Wenn wir nicht bereit sind, in die Entwicklung der Kreativität und in die Phantasie unserer Kinder zu intensivieren, wer soll dann die Probleme von morgen lösen?
nmz: Welche Themen und Projekte werden Sie auf dem Kongreß vorstellen bzw. anbieten?
Rietschel: Wir werden unsere allgemeine Arbeit auf einem Stand der Klassik Komm. vorstellen. Außerdem wollen wir den Jugendorchesterwettbewerb der Jeunesses Musicales Deutschland präsentieren, bei dem wir das kreativste und einfallsreichste Jugendorchester Deutschland gesucht haben. Über 60 Jugendorchester aus Deutschland haben sich an diesem Wettbewerb beteiligt, der kurz vor seinem Abschluß steht, und wir sind selber sehr überrascht über die Vielfalt und den Einfallsreichtum der eingereichten Wettbewerbsbeiträge. Wir wollen außerdem ausführlich unser Kinder- und Jugenkulturprojekt "Brundibár" vorstellen. Diese Kinderoper, die über 50mal im Konzentrationslager Theresienstadt gespielt wurde, soll 1998 von 100 Schulen und Jugendkulturinstituten in Deutschland produziert und aufgeführt werden.
nmz: Welche Veranstaltungen auf der Klassik Komm sind für Sie Pflicht, welche ein Vergnügen?
Rietschel: Pflichtveranstaltungen sind für mich auf der KlassikKomm einige der Kongreßdiskussionen, die mit interessanten Referenten und Diskutanten zentrale Themen des heutigen Musiklebens thematisieren. Ich denke da an die Themen Kulturförderung, Zukunft der Orchester und natürlich die "Aktion Musik". Welche dieser Veranstaltungen mir dann Vergnügen bereiten werden, das kann ich natürlich erst hinterher sagen.