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Samuel Levine, Markus Francke, Opernchor des Theaters Ulm, Statisterie | Foto: Jochen Quast

Samuel Levine, Markus Francke, Opernchor des Theaters Ulm, Statisterie | Foto: Jochen Quast

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Habemus Opus! In Ulm wurde die Oper „Le petit pauvre d’assise“ von Charles Tournemire uraufgeführt

Vorspann / Teaser

Das Szenario dazu hätte sich selbst der gewiefteste Marketing-Stratege kaum besser ausdenken können: Kurz vor Beginn der Ulmer Premiere steigt weißer Rauch aus DEM Schornstein auf dem Petersplatz auf und nur Minuten vor dem ersten Akkord präsentiert sich der neue Papst der Öffentlichkeit: Leo XIV. Leo, das nur als Hintergrund, war eine der wichtigsten Figuren im Umfeld des heiligen Franz von Assisi, der Hauptfigur in Charles Tournemires Oper, die Stationen aus dem Leben des Heiligen in „Fünf lyrischen Episoden“ präsentiert. „Habemus Opus“ witzelte Intendant Kay Metzger denn auch hinterher, denn mit dem neuen Papst wurde auch das neue, allerdings schon 1939 komponierte Werk aus der Taufe gehoben.

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Im Theater der schwäbischen Metropole hat Metzger mit Tournemires Franziskus-Oper nun schon das zweite szenische Werk des französischen Komponisten ausgegraben und uraufgeführt. In der Spielzeit 22/23 hatte man das 1926 vollendete Opus „La Légende de Tristan“ auf die Bühne gebracht, nun war Tournemires Franziskus-Oper an der Reihe. Es ist das letzte vollendete Werk Touremires, das jedoch alsbald in der Schublade verschwand. Kaum vier Wochen nach Vollendung der Partitur ist der 1870 geborene Komponist unter mysteriösen Umständen im Atlantik ertrunken, so dass selbst Tournemire-Vertrauten wie Olivier Messiaen, der im Übrigen nicht – wie vielfach kolportiert – ein offizieller Schüler war, das Werk völlig unbekannt blieb.

Ein musikalisches Unikum

Dass ausgerechnet Tournemires Bruder im Geiste Messiaen dann ebenfalls gegen Ende seines Lebens eine Franziskus-Oper komponiert hat, ist eine umso erstaunlichere Koinzidenz, wie überhaupt Tournemire als Schlüsselkomponist zwischen den Generationen Francks und Messiaens ein ganz erstaunlicher Komponist ist. Genau genommen ist er der entscheidende Link zwischen dem spätromantischen Melos des „Pater seraphicus“ Franck, dessen Nachfolger als Titularorganist an der Pariser Kirche Ste. Clotilde er war, und der stilistischen Singularität eines Messiaen mit seinem von der katholischen Theologie durchdrungenen Oeuvre. Bei Tournemire findet sich beides, wiewohl der ebenso erzkatholische wie eigensinnige Geist stets völlig unbeirrt von den Strömungen seiner Zeit einen eigenen Weg gegangen ist. Bei ihm finden sich zum Beispiel Hindu-Modi ebenso wie exotische Skalen. Da war er in dieser Zeit nicht der Einzige, aber der bei weitem Individuellste, ebenso wie bei seiner höchst außergewöhnlichen, aus der improvisatorischen Praxis heraus gewachsenen Behandlung des Gregorianischen Chorals in seinem liturgischen Riesenzyklus L’Orgue Mystique.

Die stilistische Einzigartigkeit der Musik Tournemires wird an diesem Abend sehr deutlich. Mal besteht die gigantische Partitur aus nichts anderem als monodisch verdichteten Melodiegirlanden (sogenannte „Guirlandes alleluiatiques“ hat Tournemire zum Beispiel oft in L’Orgue Mystique verwendet), mal hört mal süffigste Klänge à la Messiaen. Doch in ihrer besonderen stilistischen Ausprägung ist Tournemires singuläre Musik wahrlich ein Unikum. 

Musikalisch erfährt der Premierenabend eine enorme Steigerung. Zu Beginn hört man das Orchester der Stadt Ulm noch deutlich mit der an dieser Stelle selbst für Tournemiresche Verhältnisse arg spröde wirkenden Partitur kämpfen. Da fügt sich kaum etwas zusammen, zudem klappert es hier und da durchaus noch. Zugegeben, der Komponist macht es Ensemble und Orchester nicht leicht. Selbst ausgewiesene Kenner der Materie sehen den Beginn der Franziskus-Oper, der sicherlich nicht zu Tournemires konzisesten Momenten gehört, durchaus mit kritischen Augen. Doch der sehr engagiert dirigierende GMD Felix Bender reißt „sein“ Orchester zunehmend mit, bindet das Ensemble auf der Bühne vorbildlich ein. Auch Tournemires Musik wirkt stetig konziser, stilistisch charakteristischer. Von der erotischen Klangsinnlichkeit mancher Zeitgenossen wie etwa Debussy oder Ravel ist sie gleichwohl weit entfernt. Dafür war der Maître, wie man Titularorganisten in Frankreich gerne nennt, wohl doch zu sehr ein spirituell inspirierter und musikalisch theologisierender Mystiker. Bender jedenfalls verdichtet die Musik selbst an den Stellen zu Momenten höchster Intensität und Stringenz, an denen Tournemire die Partitur bis hin zu völlig nackten Melodielinien ausdünnt, was wiederum mit Metzgers mehr und mehr packender Inszenierung kongruent geht.

Symbolhaftes Drama

In seiner Franziskus-Oper behandelt Tournemire die wesentlichen Fragen. „Wohin steuert die Menschheit?“ hatte er noch während der Arbeit daran geunkt, in einer düsteren Zeit, die Tournemire Düsteres befürchten ließ. Mit der Figur des Heiligen Franziskus präsentiert er eine Lichtgestalt, die allem Weltlichen entsagt und einen Stein ins Rollen bringt, der nicht mehr aufzuhalten ist. In Metzgers Inszenierung wird Franziskus zwar am Ende von seinen Weggefährten im Stich gelassen – nur seine Gefährtin Klara bleibt bis zum Schluss an seiner Seite – doch ist das bloß die halbe Wahrheit. Mit dem Orden der Franziskaner hat er eine Bewegung gegründet, die seinen Idealen der Armut, des Mitgefühls und der Hingabe an andere bis heute verpflichtet ist.

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Maryna Zubko | Foto: Jochen Quast

Maryna Zubko | Foto: Jochen Quast

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Den Weg des arroganten Schnösels aus reichem Hause zum Stigmatisierten zeichnet Metzger in durchaus schlüssiger Weise nach, obwohl die frömmelnde Romanvorlage des Mystikers und Rosenkreuzers Joseph Péladan Franziskus‘ Leben zwar schildert, im Grunde genommen aber keinen besonders dramatischen Plot bietet. Metzger findet aber immer wieder sinnige und am Ende sogar zutiefst ergreifende Bilder, die den Wandel von irdischem Bling-Bling, das etwas schrill in knalligem Pink in Szene gesetzt wird, hin zu abstrakter himmlischer Verklärung in treffender Weise illustrieren und verdichten. Das Empfangen der Wundmale Christi – der wohl dramatischste Moment in der Oper – ist so eine Szene, ebenso der Einfall, den schon entrückten Franziskus seine letzten Sätze aus dem Off singen zu lassen, oder eine Szene, in der Franziskus allen weltlichen Plunder samt jeglicher ihm übergepfropfter Erwartungen wie Jesus die Händler im Tempel barsch zurückweist. In dieser Szene lächelt dann auch Papst Franziskus von einem Bild an der stilisierten Portiunkula-Kapelle, eine rührende Szene, nicht zuletzt weil er dem Projekt noch wenige Wochen vor seinem Tod den päpstlichen Segen erteilt hat. Mit seiner inszenatorischen Handschrift bleibt Metzger sich jedenfalls treu: Schon die Sagengestalt des Tristan hatte er aus seiner ursprünglichen zeitlichen Verortung herausgelöst und in die Neuzeit verpflanzt. Bei Franziskus wird aus dem Mittelalter ein zeitloses, aller zu konkreten Gegenständlichkeit weitgehend enthobenes Kontinuum, was sich auch im symbolhaften Bühnenbild (Ausstattung: Heiko Mönnich) sehr deutlich zeigt.

Erfreulich: die vokale Seite

Last but not least: Sängerisch ist der Abend überaus erfreulich. Der von Nikolaus Henseler einstudierte Chor, aus dem auch einige kleinere Rollen besetzt sind, hat nicht viel zu tun, macht seine Sache aber vorbildlich. Sehr charakteristisch sind hier die schrill gekleideten und extrovertiert agierenden Musen besetzt, und auch das archaische Magnificat der Mönche bei Klaras Berufung – um nur mal ein Detail zu nennen – ist ebenso gewichtig wie profund. Samuel Levine als Franziskus macht seine Sache großartig. Er verkörpert den Franziskus in all seinen zum Teil widersprüchlichen aber eben auch zutiefst menschlichen Facetten ausgesprochen vielschichtig, mit bestechender Präsenz und darstellerisch wie stimmlich schlichtweg herausragend. Ein Ereignis und zweifellos der stärkste Sänger an diesem Abend! Aber auch Maryna Zubko als seine Gefährtin Klara macht mit ihrem dramatisch-wuchtigen Sopran eine außergewöhnlich gute Figur und zeigt auch darstellerisches Gewicht. Ferner tragen unter anderem die mit Milcho Borovinov als Guidoy, Cornelius Burger als Bernadone, Dae-Hee Shin als Favarone und Markus Francke als Bernard exzellent besetzten Nebenrollen und auch alle anderen Mitglieder des Ensembles zum Gelingen dieser alles in allem wahrlich denkwürdigen Aufführung bei. Man kann es nicht anders sagen: was da gerade in Ulm passiert, ist musikhistorisch betrachtet eine Sensation.

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