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 Foto Pawel Sosnowski.
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Mit Glück auf dem Weg nach oben – Mischa Spolianskys Revuestück „Zwei Krawatten“ in der Staatsoperette Dresden

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Diese jüngste Premiere ist an der Staatsoperette Dresden nur ein wenig coronaverstolpert herausgekommen. Sie gab es immerhin gleich am zweiten vorgesehenen Vorstellungstermin. Schwein gehabt.

Es gibt etliche Musiknummern mehr als Komponist Mischa Spoliansky und Texter Georg Kaiser ursprünglich für ihr Revuestück „Zwei Krawatten“ zusammengemixt hatten. Man hat sie hier, abendfüllend auf knapp drei Stunden mit Pause aufgehübscht. Auch das Lied vom Anderssein, das gleichsam als erste heimliche Hymne der Homosexuellen gilt, gehört zu den mehr als ein Dutzend Musiknummern Spolianskys, mit denen Regisseur Matthias Reichwald und sein Team aus dem Revuestück „Die Revue vom großen Los“ gemacht haben, wie es im Untertitel jetzt heißt.

Die zwei Krawatten sind zwar zwei Fliegen – das würde als Titel aber ziemlich blöd klingen. Mit der gewaltigen, bühnenfüllenden Revuetreppe von Karoly Risz und viel Glitzer, Glamour und auch nackter Haut in den Kostümen von Alexandre Corazzola wurde das ganze in Dresden auch optisch auf den Revuepunkt gebracht. Die große Show mit Hintersinn war eine Spezialität der Endzwanziger. Auch wenn man mit dem Wissen von heute noch mehr Hintersinn darin sehen kann. Vor die in dem Schwulenlied herbeigesungene Normalität etwa hatten die Zeitläufte bekanntlich den Gang durch die Nazihölle und auch danach noch ein zähes Ringen um Gleichberechtigung gesetzt.

Im boomenden Unterhaltungsbetrieb bis zum Großen Krach 1929, also in den ja doch ziemlich wilden und nicht nur goldenen Zwanzigerjahren mischte Mischa Spoliansky (1898-1985) jedenfalls kräftig mit. Bis zu dem in Deutschland notorischen Bruch von 1933, der ihn vertrieb und seine Musik verbannte. Bei der Uraufführung aber hatte er immerhin Hans Albers für den Losgewinner Jean zur Verfügung und mit der damals noch unentdeckten Marlene Dietrich als Mabel auch den richtigen Riecher fürs Personal. Und auch die Comedian Harmonists gehörten damals zur Besetzung.

Da kam es auf eine wirklich plausible Handlung nicht so an. Bei all den geballten Unwahrscheinlichkeiten ist es eher schon erstaunlich, dass dahinter trotzdem ein paar tiefere Dinge lauern. Wir erfahren zum Beispiel einiges über den Schub jener Amerikaglorifizierung, die vor allem in dem Teil Deutschlands immer noch herrscht, in dem nach dem Krieg Amerikaner stationiert waren. Auch, dass die einen oben auf der Treppe von Reichtum und Glück stehen und die anderen zwangsläufig weiter unten stehen müssen, damit das Ganze funktioniert, gehört zum Hintergrund einer Geschichte, die von den Chancen handelt, diese Zuordnung zu durchbrechen.

Kellner Jean wird genötigt (und mit 1000 Mark bezahlt) seine Kellnerkrawatte (bzw. Fliege) gegen die eines Gastes auf der Flucht zu tauschen. In der neuen Identität gewinnt er dann das Los für eine Reise in die allseits gepriesene neue Welt, findet auch gleich eine zahlungskräftige und an (Reise-) Begleitung interessierte Amerikanerin und gelangt so ins Umfeld der Chicagoer Fleischkönigin Mrs. Robinson. Die rettet er mit seinem Kellnerwissen aus der Berliner Spelunkenszene vor einem hochmoralischen Senator, der in eine lockere Party mit viel Alkohol und wenig Kleidung fürs hüpfende Personal platzt und Mrs. Robinson gleich die profitablen Belieferungsverträge fürs Militär canceln will. Bis Jean mit seinem Spezialwissen eine plötzliche Meinungsänderung herbeiführt und reichlich belohnt wird. Aber wie gewonnen so zerronnen – er will nur noch zurück nach Berlin. Zu seiner Trude. Die war ihm aber nachgereist und stellte sich – als Mutter aller Unwahrscheinlichkeiten – auf der Überfahrt als die Millionenerbin heraus, die der Anwalt Bannermann (Elmar Andree gibt ihn als einen Verwandten im Geiste vom Unternehmer Giesecke aus dem Weißen Rössl) schon die ganze Zeit sucht. Und findet. Hier ist natürlich das Happyend gänzlich unausweichlich.

Matthias Reichwald setzt bei alledem auf Tempo, auf Witz – bis hin zu der legendären Antwort auf die Frage, wann eine Vereinbarung in Kraft tritt, mit dem berühmten „nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich“. Dazwischen vertreten dann die Wiedergänger der Comedian Harmonists als Herrenquintett, die Künstler auf der Suche nach dem Hollywood- oder Las-Vegas-Erfolg – da wäre Luft nach oben gewesen, denn hier müssen sie lediglich die amüsierwütigen Amerikaner als Klischee-Europäer mit Melancholie eher langweilen als unterhalten.

Dass die zwei Krawatten, die Jean und der Hochstapler tauschen keine sind, macht gar nichts. Dafür ist Jörn-Felix Alt als Jean auf der Reise nach Amerika und in den Reichtum und zurück genau der Richtige. Ein charismatisches Gesamtkunstwerk aus Tempo und Charme. Die Trude von Devi-Anander Dahm hatte wohl schon vor ihren ererbten Millionen in ihrer Beziehung mit ihm die Hosen an und das Sagen. Wobei es geradezu beispielhaft feministisch wirkt, dass die grandiose Silke Richter als fulminante Fleischkönigin Mrs. Robinson und Stefanie Dietrich als Mabel zwei so unabhängige und selbstbewußte Frauen verkörpern, wie sie auch nur in der Amerikaglorifizierung der Europäer existierten oder einen Moment lang für möglich gehalten wurden. Als weibliche Mittelpunkte in Amerika amüsiert das auch heute noch.

Zugegebenermaßen zieht sich die Handlung manchmal etwas, bleibt auch nicht immer auf dem Pfand der Binnenlogik, kann sich aber auf die Musiker verlassen, die rechts und links am Rande der Revuetreppe verteilt sind. Das Manko keinen echten Ohrwurm zu bieten gleichen sie zwar nicht aus, aber die recht vielseitigen Nummern für sich genommen zünden. Dafür sorgt vor allem Johannes Pell mit dem Orchester des Hauses. Wie immer sind die Damen und Herren des Balletts in Choreographie von Volker Michl für das Salz in der Suppe.

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