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Über zeitlose Sehnsucht – Matthias Davids inszeniert Leonard Bernsteins „West Side Story“ in Hannover

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Das Musical „West Side Story“ von Leonard Bernstein ist seit seiner Uraufführung 1957 – mit 732 folgenden Aufführungen am Broadway – und besonders seit seiner Verfilmung 1961 ein weltberühmtes Stück. Zu Recht, denn das Shakespeares‘sche Romeo und Julia-Thema hat auch heute nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil. Die wild-rhythmische Kraft und die ebenso schrille wie lyrische, auch durchaus schwülstige Zugkraft der Musik Bernsteins lässt kaum etwas an Patina der fünfziger Jahre aufkommen. Das bewies zumindest die mit stehenden Ovationen bejubelte Premiere an der Staatsoper Hannover unter der feurigen musikalischen Leitung von Joseph R. Olefirowicz, einem erfahrenen Musicalspezialisten.

Dem Regisseur Matthias Davids, der seit 2012 die Musical-Sparte am Landestheater Linz leitet, gelang ein mitreißender Abend. Davids machte keinen überdrehten Versuch der Aktualisierung, sondern vertraute einfach darauf, dass die Story von sich aus hochaktuell ist. Und er vertraute darauf, dass die Musik einfach gut ist und funktioniert. Einheimische und fremde Gangs stehen sich feindlich gegenüber, es kommt zu Morden, wenn die Emotionen außer Kontrolle geraten. Doch im Unterschied zu Shakespeare, bei dem die Liebenden beide tot sind und sich die Familien sich versöhnen, überlebt Maria bei Bernstein und fängt, wie auch immer, ein neues Leben an, ein Leben „als Amerikanerin“, wie sie sagt. Zur Versöhnung der Gangs führt die Tragödie bei Davids nicht, allerhöchstens zur Reflexion.

Die Aufführung lief eher zäh an, die energiegeladene Choreographie von Simon Eichenberger und die Inszenierung zeigten viele Klischees und man verstand einmal mehr, wie schwer es ist, eine Wirklichkeit auf der Bühne zu zeigen, die zunehmend unseren Alltag zu bestimmen scheint. Und es dauerte zu lange, bis hinter den Unterhaltungsszenen das Problem der Geschichte erkannt werden kann. Doch nach und nach profilierten sich die TänzerInnen als Individuen, von denen jeder seine eigene Geschichte tanzt – hier ist ein Sonderlob für die TänzerInnen fällig. Das geht ebenso unter die Haut wie die Schicksale der Protagonisten: Stella Motina als Maria und Michael Pflumm als Tony sind Lichtgestalten, die hinreißend singen, und die Tendenz der Inszenierung, weniger ein Stück der schwer erträglichen Realität als eines zeitloser Sehnsucht zu gestalten, großartig umsetzen. Marias Halluzinationen und die Parodie auf die Polizei haben einen eigenen Stellenwert. Auch Carmen Danen als schwerstens gedemütigte Anita findet Momente, die den Atem stocken lassen. Ein wandelbares Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau, das die Großstadt ebenso zeigt wie Fabriken, unterstützt den szenischen Ansatz bestens. „Eine bewegende amerikanische Oper“ wollte Bernstein schreiben. Das ist seine „West Side Story“ noch immer und, schaut man auf die Spielpläne, immer wieder. 

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