Beim Stuttgarter „Éclat“-Festival traten auch die Sängerinnen und Sänger des SWR Vokalensembles mehrfach auf. Unter anderem in einer mobilen Komposition des Brasilianers Flo Menezes mit dem Titel „Retrato Falado das Paixoes“.
Die singenden Künstler mussten immer wieder durch den Raum wandeln, treppauf, treppab. Dabei skandierten sie leise gleich zu Beginn einen anspielungsreichen Satz, der lautete: „Wer singt, vertreibt das Übel.“ Das könnte man durchaus eindeutig zweideutig verstehen. Das SWR Vokalensemble wird seit geraumer Zeit vom „Übel“ bedroht in Form allmählicher Kürzungen der Mitgliederzahl von einst 36 Positionen auf einen Endstand von 24. Dass dabei der Chor seinen Klangcharakter verliert, zu einem Kammerchor schrumpft, für den zugleich das erarbeitete Repertoire nicht mehr realisierbar ist, braucht nicht weiter diskutiert zu werden. Wir haben dazu schon auf der ersten Seite dieser Ausgabe das Notwendige gesagt. Ob dabei das „Singen“ das „Übel“ in Gestalt uneinsichtiger Rundfunkherren und Rechnungsprüfer „vertreibt“, bleibt abzuwarten. Vorerst kann man ja versuchen, wenigstens erst einmal zu singen. Das SWR Vokalensemble dafür zu rühmen, hieße, die besagten Eulen nach Athen zu tragen.
Gleichwohl kann eine Aufmerksamkeit in Gestalt eines von außerhalb kommenden Preises nicht schaden. Das Europäische Kulturforum und die Europäische Kulturstiftung mit Sitz in Straßburg, Baden-Baden, Freiburg und Colmar luden das Ensemble in die ehrwürdige Frankfurter Paulskirche zu ihrer Europäischen Kulturpreisverleihung ein, unter der Schirmherrschaft des Präsidenten des Europarates, Mevlüt Çavuşoglu. Das Vokalensemble konnte den Europäischen Chorpreis entgegennehmen (weitere Preisträger waren unter anderem die Sopranistin Anja Silja, die den Opernpreis erhielt, sowie die Landesbischöfin a.D. Dr. Margot Käßmann, die für ihre „Zivilcourage“ geehrt wurde).
Begleitet wurde die Auszeichnung des Vokalensembles durch den Laudator Hans Zender, der als einer der wichtigsten Komponisten und kompetentesten Dirigenten der Gegenwart am besten beurteilen kann, was die Musik, ob alt oder neu, mit diesem Chor für ein kostbares Juwel besitzt. Entsprechend verband Zender seine Lobrede zugleich mit einer deutlichen Kritik an den Verantwortlichen in den Sendehäusern. Ob das gegen das „Übel“ etwas helfen wird, bleibt abzuwarten. Auf der demnächst in Frankfurt stattfindenden Musikmesse wird es am ConBrio-Stand auch eine Diskussion über das Thema „Klangkörper im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ geben. Es könnte der Zeitpunkt gekommen sein, dass man energischer auf die Bedeutung und die Funktionen der öffentlich-rechtlichen „Klangkörper“ hinweisen muss.
Dem SWR Vokalensemble oblag auch die Aufgabe, die Preisverleihung in der Paulskirche musikalisch zu gestalten. Dabei konnte sich das Ensemble auf das kurz zuvor in der Stuttgarter Gaisburg-Kirche gegebene Sonderkonzert mit Alma- und Gustav-Mahler-Transkriptionen für Chor a cappella von Clytus Gottwald stützen. Gottwalds Genialität, mit der er solistische Lieder oder Instrumentalsätze, denen er oft entsprechende Texte unterlegt, in Chorklang überträgt, bedarf nicht mehr des Rühmens.
Im SWR Vokalensemble unter Marcus Creed findet er aber auch immer den Meistersingerchor, der seine Intentionen grandios in große Musik verwandelt. Zu diesem Abend in der Gaisburg-Kirche hatte das „Übel“ keinen Zutritt.