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Vier immer kleiner werdende Wanddurchlässe enden direkt im dunklen Wald. Eine Frau in einem weißen Kleid (der Saum verdreckt) steht verstört an dessen Schwelle.

In Wuppertal bekommt in „Erwartung / Der Wald“ das Wurzelwerk seine düsteren Schatten zurück. Und das Publikum eine neue Stückkombination, die mutig ist, und sich lohnt. Mariya Taniguchi (Röschen) ist eine der starken Frauenstimmen, die den Abend bestimmen. Foto: Björn Hickmann

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Wovor wir uns fürchten: Der Oper Wuppertal gelingt ein Erfolgsabend mit Schönbergs „Erwartung“ und Ethel Smyths „Der Wald“

Vorspann / Teaser

Den Wald laden sich die Deutschen ordentlich auf: Freizeitparadies, Rohstofflieferant und Klimaretter. Wenn die Sonne aber sinkt, versammelt sich hier alles, wovor wir uns fürchten. Die Oper Wuppertal hat Arnold Schönbergs „Erwartung“, dem Waldangststück der Moderne schlechthin, mit einem vergessenen Einakter der britischen Komponistin Ethel Smyth kombiniert: „Der Wald“, 1902 entstanden, sieben Jahre vor Schönbergs Monodram. Beide Bühnenwerke ergänzen sich gut.

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In „Erwartung“ begleiten Schönberg und seine Librettistin Marie Pappenheim eine namenlose Frau auf ihrer nächtlichen Suche nach ihrem Geliebten. Verzweifelt stolpert sie durch den finsteren Wald, nur um einen leblosen Körper zu finden. „Das ganze Stück kann als ein Angsttraum aufgefaßt werden“, schreibt Schönberg 1930 an die Berliner Krolloper. Stattdessen beschäftigten sich die Exegeten mit dem gestammelten Selbstgespräch der Protagonistin und hängten ihr bald die Diagnose „Hysterie“ um, zumal die legendäre „Anna O.“, an der Siegmund Freud seine „Studien zur Hysterie“ vornahm, mit Schönbergs Librettistin verwandt war.

Aufregende Intensität im gebändigten Holz

Man kommt dem Werk näher, wenn man sie als selbstbewusste Frau im Ausnahmezustand auffasst, die sich aus der geordneten Welt des heimischen Gartens in die Unsicherheit des Waldes wagt und nach dem blutigen Fund vor einem katastrophischen Neuanfang steht. In der Oper Wuppertal verzichtet Julia Katharina Berndt gleich ganz auf einen Wald. In ihrer 50er-Jahre-Hotellobby ist der Wald domestiziert, Parkett und Vertäfelung aus edlem Holz schrecken nur Innenarchitekten. Umso grausiger brechen die Angstvisionen aus Hanna Larissa Neujoks hervor. Die Mezzosopranistin gehörte mehrere Jahre zum Ensemble in Hannover und gastiert seit 2017 in ganz Deutschland. Die herausfordernde Schönberg-Partie singt sie nuancenreich und mit großer Phrasierungskunst. Trotz einer gewissen Textundeutlichkeit spielt sie ihre Rolle mit aufregender Intensität. 

Regisseur Manuel Schmitt erzählt die beiden pausenlos aneinandergefügten Stücke als eines. Die junge Smyth ertrotzte sich einst bei ihrem Vater per Hungerstreik den Besuch des Leipziger Konservatoriums. Ihre zweite Oper greift ungeniert auf die deutsche Tradition zurück: „Der Wald“ übernimmt in 60 Minuten Spieldauer zahlreiche Motive und musikalische Charaktere aus dem „Freischütz“, um dann das Duett auf dem Venusberg im „Tannhäuser“ zu variieren. Das Libretto schrieb die britische Komponistin selbst – auf Deutsch! Darin steht Heinrich zwischen seiner Verlobten Röschen und Jolanthe, der Geliebten des Grafen, die den Verdatterten schnurstracks ins Bett zerren will. Da Heinrich gewildert hat, ist er in ihrer Hand. Gleichwohl entscheidet er sich für die Treue zu Röschen und wird gerichtet – von der Frau aus „Erwartung“, ein Alter-Ego Röschens. Klingt seltsam, geht auf der Bühne aber auf. Viele Handlungsdetails überschneiden und erhellen sich: Viel Irrationales bei Schönberg erhält eine handfeste Deutung, viel Herumposaune bei Smyth taucht ab ins Zwielicht. Schmitt arbeitet das alles sehr genau aus und reagiert insbesondere in „Erwartung“ auch klug auf kleine musikalische Gesten.

Junge Präzision und weibliche Wagnergröße

Patrick Hahn, der junge Chefdirigent der Wuppertaler Oper, dirigiert Schönberg mit großer Präzision. So beweglich und zart hört man diese Partitur, die im Schnitt alle vier Takte ihren Puls modifiziert, selten. Es lohnt sich eben, das Stück in einem Opernhaus zu präsentieren, für das es auch geschrieben wurde. Ein Glücksfall, dass der Deutschlandfunk die Premiere am 7. April live mitgeschnitten hat. Bei Smyth hingegen lässt Hahn den überschwänglichen Melodien und der saftigen romantischen Harmonik freien Lauf. Das Orchester braust auf (und verklebt leider die Erinnerung an die Schönheit von Schönbergs Musik). Es bedarf Wagnerstimmen, um sich hier auf der Bühne zu behaupten. Und vor allem die Frauenstimmen, Mariya Taniguchi als Röschen und Edith Grossman als Jolanthe, liefern sie auch. Insgesamt ist es ein starker Frauenabend, musikalisch, vor allem aber inhaltlich: Im Verhältnis zwischen Jolanthe und Heinrich drehen sich die Geschlechterklischees vollständig um. Smyth hat das mit großer Freude komponiert und Edith Grossman ist die glaubhafte Sängerdarstellerin dafür. 

Der Doppelabend „Erwartung / Der Wald“ in Wuppertal ist das Ergebnis mutiger Programmplanung. Da war nichts, vor dem man sich gefürchtet hat. Sogar im Foyer warten Blättergrün und ausgestopfte Tiere. Das Publikum ist gebannt dabei und bedankt sich mit großer Begeisterung. Dem Wuppertaler Team ist Erfolg zu wünschen. 

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Eine Treppe mit ein paar Efeuranken und einem ausgestopften Fasan.

Das Bühnenbild zieht sich bis ins Foyer. Foto: Christoph Becher

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