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Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Zeitenwende – „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen

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Bereits wiederholt war „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen aber auch auf anderen Bühnen ein willkommenes Feld zum Einsatz bildender Künstler, wie etwa Günther Uecker oder Ernst Fuchs. Ein Bild Neo Rauchs wurde bereits einmal vom Schauspiel Leipzig als Bühnenbild adaptiert. Hier in Bayreuth gestaltete er zusammen mit seiner Frau Rosa Loy die Gesamtausstattung und wählte für das oft als Farbe Blau umschriebene Idiom der Musik in Wagners Romantischer Oper, wie vor ihm schon die Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang, die blaue Farbe als Grundton.

Die Lesart der Neuinszenierung lässt sich nicht einfach entschlüsseln, insbesondere auch, da die Bühne in den ersten beiden Akten sehr dunkel gehalten ist. Als Einspringer-Regisseur war Yuval Sharon spät zum Team um Christian Thielemann und Familie Rauch hinzugestoßen und beschränkte sich dann zumeist auf Tableaus vivants mit dem nur wenig bewegten Chor und den in großer Distanz voneinander kommunizierenden, den im Hintergrund stehenden Partner nach vorne singend ansprechenden Solist_innen.

Auf der Pressekonferenz der Bayreuther Festspiele hatte Frau Loy berichtet, dass Aufzeichnungen der „Lohengrin“-Inszenierungen von Werner Herzog und Hans Neuenfels zur Anregung der Ausstatter herangezogen worden waren, aber keine weiteren Beispiele der Umsetzungs-Geschichte dieser Romantischen Oper.

Nach Neuenfels’ Rattenmärchen bleibt auch die neue Inszenierung der Zoologie verbunden: die Herrschenden und auch „Lohengrin“ haben Insektenflügel, die Herren, für deren Kostüme Neo Rauch verantwortlich zeichnet, eher Libellen-, die Damen, deren Kostüme Rosa Loy geschaffen hat, eher Mottenflügel. Der Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund wird von Kinder-Doubles in der Luft ausgeführt (Lohengrin schlägt Telramund einen Flügel ab) und gemahnt an „Harry Potter“ oder den „Lord of the Flies“.

Die Bläue, so Rauch auf der Pressekonferenz, habe sich beim Anhören der Musik in ihm eingestellt; im Bild wuchert das Blau allerdings als „Blaukraut, das angerichtet wurde“ (Rauch). Sharon will die blaue Farbe auch als Traumatmosphäre und Märchenfarbe gedeutet wissen. In der dem Mittelalter verpflichteten Sichtweise (die Herrn mit Halskrause á la Frans Hals) sorgen einige Starkstromaggregate, wie ein Hochstrommast anstelle der Gerichtseiche, für Irritationen. Im zweiten Akt führt – als Mittel der Kunst im Bild – ein Maler mit Staffelei die Komplementärfarbe Orange ein. Die Bühnengassen des ersten Aktes sind nun umgedreht und zeigen ihre Rückseite in Orange. Dies will der Ausstatter möglicherweise als Hinweis auf Wagners Vormärz-Ideen gegenüber einem blinden Gehorsam für gesellschaftskonforme Strukturen verstanden wissen. Im statuarischen Spiel ist davon allerdings nichts zu merken.

Lacher evoziert, als sich im ersten Teil des zweiten Aktes in einem kleinen Häuschen das Fenster öffnet und gerade einmal das Gesicht von Elsa hindurchpasst, die hier ihr Dankgebet an die Lüfte entrichtet. Deutlicher und heller wird es im dritten Akt, der mit einigen Ungewöhnlichkeiten aufwartet. Den Brautchor singt – entgegen der Praxis einer Kammerbesetzung – der gesamte Chor als einen Schabernack á la Johannisnacht in den „Meistersingern“ oder dem Hochzeitsfest im „Fliegenden Holländer“. Sechs Damen drehen das zentrale Stromhäuschen um die eigene Achse, so dass innen eine ganz in Orange gehaltene Ausstattung sichtbar wird, das Brautbett mit Nachttischchen, aber auch eine Hochspannungsspule. An diese fesselt Lohengrin seine Braut mit einem orangefarbenen Kabel, nachdem sich das Paar durch die gemeinsame Nachtlektüre in kleinen grünen Büchern nicht näher gekommen war. Die eindringenden Edlen bei Telramunds Attentat-Versuch kriechen mit leuchtenden Spitzflügeln auf dem Rücken.

Auch das kriegsbereite Heer führt nun einige leuchtende Kampfobjekte mit sich, die aber flackernd sukzessive ihren Geist aufgeben. Elsa ist in der Schlussszene ganz in Orange gewandet, und anstelle seines Schwertes, das Lohengrin mit sich führt (plus den hier unsichtbar bleibenden Attributen Ring und Horn) übergibt Lohengrin Elsa als Erinnerungsstücke für den erwarteten Heimkehrer, den vermissten Bruder Gottfried, eine orangefarbige Notfallbox. Diese schnallt  Elsa sich als Tornister auf den Rücken. Gottfried schließlich erscheint als grünes Ampelmännchen (also dem, was uns aus der DDR-Epoche übrig geblieben ist), das ein blinkendes grünes Peace-Zeichen als Friedenspalme mit sich führt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Premierenpublikum aber bereits entschieden, dass die statische, allein der Musik und illustrierender Bildwelt angehörende Melange exakt das sei, was man von einer Bayreuther Aufführung erwarte. Die späten Denksportaufgaben des Regieteams um den Elektrospezialisten aus fernem Land wurden dabei subsumiert.

Das „Teamwork aus einem Guss“ (Sharon) wurde getragen von der musikalischen Basis durch Christian Thielemann, der mit dieser Partitur den Kanon der in Bayreuth erklingenden Werke Wagners für sich abgeschlossen hat. Originalität beanspruchen weniger sein Vorspiel als die vergleichsweise hell strukturierte Deutung des Vorspiels zum zweiten Akt (zu einem Monumental-Naturprospekt Rauchs) und das mit großem Temposchub zupackende Vorspiel zum dritten Akt. Klanglich wirkungsvoll der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor, der sich in dieser Produktion ohne Gesichtsmasken (Rattenköpfe) auf das Singen konzentrieren kann. Unter den Gesangssolist_innen erbringt Georg Zeppenfeld erneut als König Heinrich die unangefochtene Spitzenleistung. Anja Harteros, insbesondere an der Bayerischen Staatsoper gefeiert, verströmt Wohllaut für Elsa, während Waltraud Meier ihren Zenit merklich überschritten hat: die schrillen Ausbrüche sind bestenfalls noch als dramatisch überspitzte Bosheiten zu verkraften. Erfreulich rund und kräftig Egils Silins, der dem Heerrufer eine Wotansstimme leiht, wohingegen Tomasz Konietczny als Telramund belfert, als gelte es seine verlorene Position als brabantische Führungsperson durch Lautstärke wieder wett zu machen.

Nach Roberto Alanyas Absage ist Pjotr Beczala in der Titelpartie eingesprungen, mit schöner Mittellage, aber dünnerer, enger Höhe. Die spannendste Musik des Schlussakts war in Bayreuth leider für Dezennien gestrichen, bis Hans Neuenfels sie für seine Inszenierung wenigstens partiell wieder öffnen ließ, um wenigstens die Geschichte der verkorksten Liebesbeziehung zu Ende erzählen zu können. Nun ist auch diese Szene wieder gestrichen – vielleicht mit Rücksicht auf den Tenor, dessen merkliche Textprobleme zeigen, dass er diese Partie noch nicht verinnerlicht oder seit seinem Dresdener Debüt bereits wieder vergessen hat.

Gleichwohl ausschließlich Jubel des mit viel Prominenz aus Politik und Showbusiness untersetzten Premierenpublikums.

  • Weitere Aufführungen: 29. Juli, 2., 6., und 10. August 2018.

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