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Der Musik Raum zum Atmen geben

Untertitel
Ahmad Jamals Live-Alben der frühen 60er Jahre – Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus A. Woelfle
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„Ich habe jeden erdenklichen Kontext ausprobiert, aber das Trio ist am anspruchsvollsten. Es ist sehr schwierig, dem Trio einen orchestralen Klang zu entlocken, aber wir können es, weil ich orchestral denke. Das Trio lässt mir viel Freiraum. Ich kann solo Klavier spielen, Duette mit dem Bassisten, Schlagzeug und Klavier,“ erklärte Ahmad Jamal selbst zu seiner Lieblingsbesetzung. Kurz bevor er am 16. April dieses Jahres 92-jährig starb, wurden einige seiner Trio-Alben wiederveröffentlicht.

Als er 1958 in der Chicagoer Pershing Hall Aufnahmen machte, die seinerzeit auf dem Album „But Not For Me“ veröffentlicht wurden, hatte Ahmad Jamal Glück und Pech in einem. Worin das Glück bestand ist offensichtlich: Das Album, das mit „Poinciana“ einen großen Hit vorzuweisen hatte und zu einer Zeit entstand, als Live-Platten im Jazz noch nicht auf der Tagesordnung standen, befand sich 108 Wochen lang unter den 10 bestverkauften in den Charts. So etwas war im Jazz bislang nicht vorgekommen. Ahmad Jamal, zuvor ein nicht sonderlich bekannter Musiker, war plötzlich finanziell so erfolgreich, dass er in Chicago einen eigenen Club eröffnen konnte, „The Alhambra“, der ihm eine für bekannte Jazzmusiker seltene Lebensform ermöglichte: relative Sesshaftigkeit. Der Doppelsilberling The Complete 1961 Alhambra Performances vereint die Alben „Ahmad Jamal’s Alhambra“ und das ebenfalls in seinem eleganten Club entstandene „All Of You“ mit weniger bekannten Studioaufnahmen von 1961 sowie 1958 kurz nach dem sensationellen Pershing-Erfolg eingespiel­t­en Stücken, die seinerzeit noch auf 78-er(!)-Scheiben veröffentlicht wurden.

Zweifellos präsentierte sich Jamal damals als einer der geschmackvollsten Pianisten seiner Zeit, der seine Virtuosität so dezent einsetzte, dass nur Kenner erkannten, wie atemberaubend sie war. Mit vielen Pausen und subtilsten dynamischen Schattierungen zelebrierte er eine Musik, die meist so leicht, luftig und leise daherkam, dass ihn – hier liegt das Pech – viele als Cocktail-Pianisten abstempelten. Dabei hatte Ahmad Jamal fast so etwas wie die Quadratur des Kreises gefunden: einen swingenden Jazz, der oberflächlich konsumiert, als angenehmes Hintergrundgeplätscher wahrgenommen und daher auch von Laien geschätzt werden konnte, dem aufmerksamen Kenner aber ein Universum an unermüdlichem Einfallsreichtum offenbarte. Zwar gab es schon immer Kritiker und Jazzhis­toriker, die erkannten, dass Jamal zu den stärksten Musikerpersönlichkeiten des Jazz gehört, doch letztlich mehrten sich erst in den letzten Jahrzehnten des hochbetagt noch aktiven Künstlers die Stimmen, die ihm den Rang als einem der größten Jazzpianisten aller Zeiten zuerkannten. (American Jazz Classics)

Auf dem gleichen hohen Niveau ist die Doppel-CD The Complete 1962 Ahmad Jamal At The Blackhawk, die gegenüber der LP „At The Blackhawk“ neun weitere Aufnahmen aus dem legendären Jazzclub in San Francisco enthält. In beiden Konzerten musizierte er mit dem Schlagzeuger Vernel Fournier und dem hervorragenden Bassisten Israel Crosby, der kurz darauf überraschend starb und eine Lücke riss, die nicht gleich zu füllen war. Nicht nur für John Hammond war das eine Rhythmusgruppe, die in ihrer Perfektion nur mit der von Count Basie verglichen werden kann. Das Ahmad Jamal Trio hatte nachhaltigen Einfluss auf Miles Davis. Er forderte seine Pianisten nicht nur auf, Jamal zu studieren, er wünschte, dass sie so spielen. Davis erklärte sein Bestreben, „der Musik mehr Raum zum Atmen“ zu geben als „Konzept, das ich von Ahmad Jamal übernommen hatte“. (American Jazz Classics)

Ein Gruß an den berühmten Gefolgsmann ist das Stück „One For Miles“ auf Jamals Album Naked City Theme, das 1964 nach zweijähriger Aufnahmepause in der neuen Besetzung mit Jamil Nasser (b) und Chuck Lampkin (d) entstand. Dieses Trio wirkte rhythmisch noch akzentuierter und vitaler; man ahnt die Entwicklung der späten Jahre zu noch kontrastreicherem, explosiverem Spiel. Auf der CD-Edition ist dieses Album gekoppelt mit dem Studio-Album Extensions, mit dem Vernel Fournier (dessen Vorname auf der Veröffentlichung durchgehend mit zwei l geschrieben wird), dieser extrem präzise und hellhörig spielende Drummer, kurzzeitig zu Jamal zurückkehrte.

Diese Alben dokumentieren die leider nur noch auf Tonträgern zu bewundernde Fähigkeit Jamals, uns mit Spielwitz und Brillanz immer wieder aufs Neue zu überraschen. (American Jazz Classics)

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