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«Ich denke nur noch an Wotan» - Dramatiker Tankred Dorst wird 80 - Bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen 2006 wird er den «Ring des Nibelungen» neu inszenieren.
München (dpa) - «Ich bin zurzeit gar nicht in der Lage, an etwas anderes zu denken als an Wotan und Brünnhilde», sagt Tankred Dorst schmunzelnd. In einem Alter, in dem andere längst den Ruhestand genießen würden, hat sich der deutsche Dramatiker und Regisseur nochmal eine große Aufgabe aufgeladen: Dorst, der am Montag (19. Dezember) seinen 80. Geburtstag feiert, wird bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen 2006 den «Ring des Nibelungen» neu inszenieren.
Für Dorst ist es die erste Opernregie. «Es war in meiner Biografie eigentlich nicht vorgesehen, dass ich den "Ring" inszeniere», sagt er. Zu mythischen und märchenhaften Stoffen hat Dorst, einer der meistgespielten Gegenwartsautoren an deutschsprachigen Bühnen, aber durchaus eine enge Beziehung. Als sein schönstes und größtes Drama gilt «Merlin oder Das wüste Land». Immer wieder fühlen sich namhafte Bühnen von dem 1981 am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführten achtstündigen Monumentalwerk aus der König-Artus-Welt herausgefordert.
Dorsts Panoptikum um den Zauberer und Teufelssohn Merlin besticht bis heute mit seiner bilderreichen Sprache. «Von "Merlin" kann man eine gewisse Beziehung zum "Ring" herstellen», sagt der Büchner- und Max-Frisch-Preisträger. «Das war der eigentliche Grund, warum ich für die Inszenierung nach Bayreuth geholt wurde.»
Dorst wurde am 19. Dezember 1925 in Oberlind bei Sonneberg in Thüringen als Sohn eines Fabrikant geboren. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1947 studierte er zunächst Germanistik und Theaterwissenschaften. Den Weg zum Theater fand er über eine studentische Münchner Marionettenbühne, für die er seine ersten Stücke schrieb. In über vier Jahrzehnten verfasste Dorst mehr als 35 Dramen. Seit Anfang der 1970er Jahre arbeitet er künstlerisch eng mit seiner Lebensgefährtin Ursula Ehler zusammen, die ihm auch bei der Arbeit am «Ring» in Bayreuth zur Seite steht. Bereits 1960 hatte die lange, fruchtbare Zusammenarbeit mit Peter Zadek begonnen, aus der auch Fernsehfilme wie «Rotmord» und der «Der Pott» resultierten.
In seiner Arbeit entzog sich Dorst stets der Einordnung in bestimmte «Schubladen». Der in München lebende Autor griff mythische oder historische Stoffe auf, schrieb Märchenstücke und Parabeln und reagierte auch auf aktuelle politische Entwicklungen. Zu seinen bekanntesten Werken neben «Merlin» zählen das Revolutionsstück «Toller» (1968 uraufgeführt), die Trilogie «Auf dem Chimborazo»/«Die Villa»/«Heinrich oder Die Schmerzen der Fantasie» (1975-1985), «Karlos» (1990) und «Herr Paul» (1994).
1999 wurde in München das unter dem Eindruck des Bosnienkrieges geschriebene Stück «Große Szene am Fluss» uraufgeführt. Im Februar 2005 feierte der Dramatiker mit der Uraufführung seines Dramas «Wüste» in Dortmund einen weiteren Erfolg - ein Meisterwerk voller Altersweisheit, Nachdenklichkeit, Skepsis und Humor.
Derzeit denkt Dorst noch darüber nach, wie er in Bayreuth das Ende der «Götterdämmerung» gestalten wird - Ende der Welt oder Aufbruch in eine neue, bessere Zeit? «Ich selbst schwanke zwischen Optimismus und Pessimismus», sagt Dorst. «Jeder Mensch hat eine persönliche Utopie, wie das Leben sein sollte, und erlebt dann eine Enttäuschung, dass es nicht so ist.»
Stephan Maurer