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Georg Ringsgwandl. Foto: Bernd Schweinar

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Von Zustellsklaven und Mikroplastik

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„Schawumm“: Georg Ringsgwandl nach fünf Jahren mit neuem Album
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Wenn man 45 ist, Kardiologe, gesettel­ter Oberarzt an einem Krankenhaus, kündigt man dann, um als Musiker, Theaterregisseur und Buchautor auf der Bühne seine Zukunft zu finden? Der vielfach preisgekrönte Georg Ringsgwandl hat das getan. Im Nachhinein betrachtet, sei das vielleicht sogar ein paar Jahre zu spät passiert, resümiert er im Gespräch. Das ist inzwischen runde drei Jahrzehnte her. Erst kürzlich wurde er für sein Lebenswerk mit dem Bayerischen Kabarettpreis ausgezeichnet. Nach fünf Jahren veröffentlicht er dieser Tage mit „Schawumm!“ wieder ein neues Album. Dazwischen lagen die Pflege seiner später verstorbenen Frau, das grandiose Buch „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“ (DTV) und Theaterproduktionen.

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Unzählige Kulturschaffende hatten während Corona mit der Existenz zu kämpfen. Georg Ringsgwandl blickt völlig konträr darauf zurück: „Für mich war diese ganze Covid-Zeit ein Segen. Ein Segen! Ein reiner Segen!“ Warum er das so unterstreicht? „Ich habe einfach Jahrzehnte durchgearbeitet und in einer Intensität und mit unglaublicher Geschwindigkeit.“ Er sei ständig unter Dampf gewesen. „Nicht weil ich musste, sondern weil es mir einfach Spaß gemacht hat.“ Und weiter: „Du kommst dann in einen Mechanismus, der sich selbst perpetuiert.“ Deshalb sei er dankbar gewesen, „dass die Staatsfrau (Anm. Angela Merkel) gesagt hat: Stopp! Alle daheimbleiben!“

Danach sind erste schöne Lieder entstanden. An daheim zu produzieren war aber nicht zu denken. Denn zu dieser Zeit ist auch seine Frau an Krebs erkrankt und dann im Sommer 2022 verstorben. Er hat sie zu Hause selbst gepflegt. „Wenn du es nicht selbst gemacht hast, weißt du nicht, was das heißt. Und ich war ja wirklich lange Zeit in der Medizin gewesen. Ich war 15 Jahre auf der Intensivstation tätig. Aber was das wirklich heißt, das merkst du erst, wenn es in deinem Privatleben passiert.“

Ohne es aktiv zu benennen, drehe sich ein Song des Albums um seine Frau: „Wenn Du es auch durchgemacht hast, wirst Du es erkennen“. Er zeigt sich im Lied „Wo bist Du“ sehr offen und verletzlich, spricht auch weiter mit ihr. Subjektiv gehört ebenso der Titel „I wui di“ seiner Frau. Der Kontrapunkt zum Tod. Eine wunderschöne Liebeserklärung. Auf der Slidegitarre begleitet vom langjährigen Buddy Nick Woodland. Und dann ist da noch das eingedeutschte „Lied für Dich“, im Original als „A Song For You“ von Leon Russell. Georg Ringsgwandl: „In einem der letzten gemeinsamen Urlaub mit meiner Frau habe ich diesen Songtext mal übersetzt“. Er sei dann dagesessen mit seinen über 70 Jahren und habe sich gedacht: „Mann oh Mann, Du kannst das gar nicht besser ausdrücken!“ Es ist mehr als Respekt, wenn er fortfährt: „Der Russell war damals quasi noch Teenager, als der einen solchen Text geschrieben hat. Was braucht es für ein Gemüt, wenn ein Mensch in so jungem Alter so vorausschauende Zeilen zur späteren Lebensrealität schreibt.“ Das gelte auch für Bob Dylan oder Paul McCartney und dessen „When I‘m Sixty-Four“.

Der spitzfindige Zyniker

Das neue Album „Schawumm“ reflektiert aber auch wieder den spitzfindigen Zyniker Georg Ringsgwandl. In „Götterbote“ seziert der den Konsum als Allmacht, labelt die Ausbeutung der unterbezahlten Zustellsklaven („bist Du der Hermesbote, fliegst für DHL...schawumm“). Das Songkürzel „HSP“ steht für „Handy, Schlüssel, Portemonnaie“, und damit für die zentralen Existenzutensilien einer Gesellschaft, die sich aus vielem schon mal selbst aussperrt.

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Georg Ringsgwandl. Foto: Bernd Schweinar

Georg Ringsgwandl. Foto: Bernd Schweinar

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Ein Meisterwerk ist „Microplas-tique“. Phonetisch so französisch gesäuselt, wie geschrieben. Aber eben nicht ungefährlich: „Nanopartikel in deiner Blutbahn, kleine Pfeile, die in dir ‚rumfahrn“. Ein hinterfotzig gehauchtes Umweltepos, das er im Interview mit den Worten ergänzt: „Die Idee von dem Song ist, dass er verschiedene Verrücktheiten darstellt.“ Eine Stellung brauche er politisch nicht mehr zu beziehen, weil das Plastik schon da ist.

Seriosität im Anzug von 2005

Als Oberarzt ist er in den achtziger Jahren in Strumpfhose auf der Bühne in Plastiksäcke gesprungen, hat in hautengen Leggins dem Begriff Schrill ein „Hoch 2“ hinzu definiert. Der Georg Ringsgwandl der Zweitausender steht im Zweireiher auf der Bühne – mit Trachtenhut. Warum hat er sich gewandelt? „Eine nicht ganz banale Frage, wie du und ob du im Bühnengeschäft alt wirst“, so seine Replik. Optisch ist er definitiv seriöser geworden. Hat längst auch mit seinen Theaterstücken von den Münchner Kammerspielen, diversen Stadttheatern deutschlandweit bis zum Tiroler Volksschauspiel seine Stücke inszeniert. Aber verbal ist der Georg Ringsgwandl, der am 15. November 2025 seinen 77. Geburtstag feierte, noch immer mit dem Skalpell auf der Tonleiter unterwegs. Er seziert dort die Gesellschaft. Überaus süffisant und gewürzt mit viel Zynismus. Er kann auch abseits konkret werden: „Spotify ist für mich die Pest! Da wirst du drangsaliert, geschoben und geschubst und hast plötzlich Sachen auf dem Handy, nach denen du nie gefragt hast und die du nicht haben willst.“

Existiert Rockmusik in fünf Jahren noch?

Er bereue nichts, beneide aber mit 77 Jahren auch jene nicht, die noch eine längere Wegstrecke auf der Bühne vor sich haben. Es könne sein, dass die Rock- und Popmusikszene, die er in seinem „Doris“-Buch beschrieben habe, „in fünf Jahren vielleicht überhaupt nicht mehr existiert“. Die Branche sei seit langem eine andere. Womit wir zum Schluss wieder beim für viele rational wenig nachvollziehbaren Schritt sind, den Oberarztjob für ein unsicheres Künstlerdasein aufzugeben. Das war 1993! Seine Antwort nach der Show in der Garderobe des Kleinen Theaters in Haar bei München: „Nein, ich habe das nie bereut. Es gab in diesen 32 Jahren, seit ich hauptberuflich Musik mache, höchstens fünf Tage, wo ich wirklich Kummer hatte. Dann aber wollte ich diesen schönen Job unbedingt weitermachen.“

Rückblickend hätte er seine Arztstelle eher noch ein paar Jahre früher aufgeben sollen, um sich nach dem Erfolg des Albums „Trulla-Trulla“ (1989) besser auf die Künstlerkarriere zu konzentrieren.

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