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Von vielen immer noch fast unbemerkt wird der Rahmen für Kulturpolitik in zunehmendem Maße auf der europäischen Ebene gestaltet. Die Richtlinien für die nationale Urheberrechtspolitik werden in Europa bestimmt. Die Steuerharmonisierung und damit die Angleichung der Ausnahme-tatbestände wird auf der europäischen Ebene betrieben. Die Wettbewerbspolitik findet nicht nur beim allseits bekannten Beispiel der Buchpreisbindung ihre Anwendung, sondern ebenso in anderen kulturwirtschaftlichen Bereichen. So wird zum Beispiel der Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Wettbewerbshütern immer wieder in Frage gestellt. Alle genannten Politikfelder beeinflussen die Spielräume der nationalen Politiken und wirken auf diese Weise auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Kulturpolitik in Deutschland.
Fast umgekehrt proportional zu der Bedeutung, die die europäischen Rahmenbedingungen für die nationale Politik haben, ist bislang das Interesse an europäischer Politik. Die Strukturen und Zusammenhänge der unterschiedlichen europäischen Entscheidungsgremien wie Europäisches Parlament, Europäische Kommission und Ministerrat sind den wenigsten geläufig. Für viele ist Brüssel immer noch weit weg und wird zumeist mit Skandalen und Skandälchen, mit Subventionen für die Landwirtschaft oder auch mangelnder Nahrungsmittelkontrolle in Verbindung gebracht.
Kultur als europäisches Thema
Die niedrige Beteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament hat gezeigt, daß sowohl bei den Bürgern als auch bei den Parteien das Bewußtsein für die Tragweite europäischer Entscheidungen noch nicht tief verankert ist. Der Wahlkampf zur Europawahl war von nationalen Fragestellungen überlagert, europäische Themen wurden nur am Rande und dann auf der Folie der deutschen Politik thematisiert.
Werden in Deutschland europakulturpolitische Fragen diskutiert, ist zusätzlich mit den Argusaugen der Länder zu rechnen, die sehr schnell einen Angriff auf ihre Kulturhoheit wittern, auch wenn der vermeintliche Angreifer noch nicht einmal an Angriff gedacht hat, geschweige denn dafür gerüstet ist. Denn eines ist klar, in dem Bereich, in dem die Länder vornehmlich kulturpolitisch tätig sind, nämlich in der Förderung von Kultureinrichtungen sowie der individuellen Künstlerförderung, ist der Etat der Europäischen Union so minimal, daß von hier aus wirklich keine Konkurrenz oder gar Gleichmacherei der Länder zu erwarten ist. Im Gegenteil, die Wahrung der Vielfalt der Kulturen ist in den Vertragswerken zur Europäischen Union ausdrücklich festgelegt worden. Die direkte Kulturförderung ist im Vergleich zu den finanziellen Leistungen, die in Deutschland die Länder und Kommunen erbringen, verschwindend gering. Die direkte Kulturpolitik der Europäischen Union findet also in einem eng begrenzten Rahmen statt.
Von herausragender Bedeutung ist aber die indirekte Kulturpolitik der Europäischen Union. In Politikfeldern wie der Urheberrechts-, der Steuer- und Wettbewerbspolitik wird wirkungsvoll Kulturpolitik gemacht. Damit die Bedeutung der Entscheidungen in diesen Politikfeldern für die kulturelle Entwicklung in Europa und nicht zuletzt in Deutschland deutlich werden, ist eine klare Artikulation deutscher kulturpolitischer Interessen auf der europäischen Ebene erforderlich. Die Mitgliederversammlung des Deutschen Kulturrates hat darum in ihrer Entschließung „Kulturpolitik in Europa stärken!“ folgende Forderungen aufgestellt.
„Zur Stärkung der Kultur in Europa fordert der Deutsche Kulturrat
* das Europäische Parlament auf, auch in seiner neuen Legislaturperiode wieder einen Ausschuß für Kultur und Medien einzurichten. Dieser Ausschuß ist unerläßlich für die parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Kommission hinsichtlich der Beachtung der Kulturverträglichkeit.
* den Ministerrat auf, sich bei der Zusammensetzung der neuen Europäischen Kommission für eine Generaldirektion für Kultur und Medien einzusetzen. Innerhalb dieser Kommission sollte der Bereich Kultur eine erhebliche Stärkung erfahren.
* die künftigen deutschen EU-Kommissare auf, für die Verknüpfung der Kulturpolitik mit den anderen Gemeinschaftspolitiken und die Prüfung der Kulturverträglichkeit bei den Gemeinschaftspolitiken einzutreten.
* die neue Kommission und das Europäische Parlament auf, künftig mindestens einen Euro pro Bürger der EU pro Jahr an Kulturförderung bereitzustellen. Die bisherigen europäischen Kulturförderungsmittel sind davon noch weit entfernt.
* die künftige Kommission auf, transparente und nachvollziehbare Verfahren zur Vergabe der Kulturfördermittel einzurichten. Die Antragsformulare müssen direkt auch in deutscher Sprache vorliegen. Die Mitglieder der Auswahlkommission sowie deren Entscheidungskriterien müssen öffentlich bekanntgegeben werden. Die Entscheidung über die Bewilligung von Projekten und die Auszahlung der Mittel muß schnell erfolgen.
* die Kommission auf, die Pilotphase zum Rahmenprogramm Kultur 2000 zu nutzen, um zu überprüfen, ob das geplante Programm den erwünschten Erfolg bringen wird. Der Deutsche Kulturrat sieht mit großer Sorge, daß durch das Rahmenprogramm Kultur 2000 keine Vernetzung europäischer Kulturinstitutionen mehr dauerhaft gefördert werden kann, sondern nur kurz- und mittelfristige Projektvorhaben.“
In seiner Stellungnahme fordert der Deutsche Kulturrat die Bundesregierung auf, sich für diese Forderungen nachhaltig auf europäischer Ebene einzusetzen.
Der Deutsche Kulturrat sieht sich selbst in der Verantwortung, an der Vernetzung der nicht-staatlichen Kulturorganisationen in der Europäischen Union mitzuwirken. Ein Zusammenschluß der demokratisch legitimierten Verbände zu einem Europäischen Kulturrat ist notwendig. Nur demokratisch legitimierte Strukturen werden auch für eine Demokratisierung europäischer Entscheidungen eintreten können. Unabhängige Interessenvermittlung ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie.
Mit dem Verweis auf das Erfordernis, sich in demokratisch legitimierten Institutionen zusammenzuschließen, wird der Finger auf eine Wunde europäischer Politik gelegt. Bis auf das Europäische Parlament, das zwar mit dem Amsterdamer Vertrag in seinen Kompetenzen gestärkt wurde, dennoch mit nationalen Parlamenten westlicher Demokratien nicht vergleichbar ist, sind die Entscheidungsstrukturen in Europa nicht direkt durch die Bevölkerung legitimiert.
Den europäischen Institutionen fehlt also bislang noch ein wesentliches Element westlicher Demokratien. Es ist darum von großer Bedeutung, daß der Bereich der freiwilligen, demokratisch legitimierten Zusammenschlüsse, die dem Non-Profitsektor zuzurechnen sind, gestärkt wird. Dies kann und muß durch die Zusammenschlüsse selber geschehen. Der Deutsche Kulturrat wird hier in der nächsten Zeit aktiv werden.
Ebenso sind die Europäischen Institutionen gefordert, den Dritten Sektor zu stärken. Hierzu gehört auf der Ebene der Gestaltung der Rahmenbedingungen, die Gemeinnützigkeit nach deutschem Vorbild zu erhalten. Weiter gehört dazu, Aufgaben, die von den Europäischen Institutionen nicht selbst wahrgenommen werden können, Organisationen des Dritten Sektors zu überlassen. Das Subsidiaritätsprinzip ist im Europäischen Einigungsvertrag von Amsterdam festgeschrieben worden. Dieses Prinzip sieht vor, daß Aufgaben zunächst von Organisationen des Dritten Sektors wahrgenommen werden und erst danach andere Ebenen wie Kommunen, Länder, der Bund oder die Europäische Union greifen.
Cultural Contact Point
Mit der Einrichtung des Cultural Contact Points, dem Informationsbüro für die Europäischen Kulturprogramme beim Deutschen Kulturrat, einer Organisation des Dritten Sektors, hat die Europäische Kommission das Subsidiaritätsprinzip konsequent angewandt, und der Erfolg dieser Einrichtung gibt ihr recht. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein Büro eingerichtet und hat seine Arbeit aufgenommen. Täglich wenden sich viele Ratsuchende an den Cultural Contact Point. Konkrete Hilfestellung bei der Antragstellung kann geleistet und ebenso die Chancen, aber auch Grenzen der Europäischen Kulturförderung aufgezeigt werden.
Dabei erweist sich einmal mehr die Nähe zur Kulturszene als Vorteil. Die Kenntnis der Sorgen der Antragsteller und eine nicht-hoheitliche Herangehensweise sind Voraussetzung für den Beratungserfolg. Eine Stärkung der Europäischen Kulturpolitik muß beides beinhalten: Die bessere Vertretung kulturpolitischer Interessen auf der europäischen Ebene und die konsequente Wahrnehmung von Aufgaben durch Organisationen des Dritten Sektors im Sinne des Subsidiaritätsprinzips.
Europa lebt von der Vielfalt seiner Kulturen. Diese Vielfalt spiegelt sich nicht allein in den Mitgliedsstaaten, sie zeigt sich nicht nur in der Unterschiedlichkeit der Bundesländer, sie findet ihren Ausdruck in einem vielfältigen kulturellen Leben, das getragen ist von staatlichen Einrichtungen, privaten Initiativen, der Kulturwirtschaft und dem Dritten Sektor.
Diese Vielfalt zu ermöglichen, zu erhalten und zu stärken, ist Aufgabe europäischer Kulturpolitik.